Hier fing in den 1940er-Jahren alles an: Vigna di Castiglioncello; Foto: Davide Bischeri
Hier fing in den 1940er-Jahren alles an: Vigna di Castiglioncello; Foto: Davide Bischeri

Auf Spurensuche

Ganz gleich ob Sassicaia oder Guidalberto – die Fragen, die sich stellen, sind die gleichen: Warum schmecken die Weine der Tenuta San Guido so anders als alles, was rundherum in die Flaschen kommt? Woher kommt diese Eleganz, Frische und Selbstverständlichkeit? Antworten liefert ein Besuch vor Ort.
Text: Sascha Speicher

Guidalberto ist vielleicht der gastronomischste Wein der toskanischen Küste. Er stammt hauptsächlich von jenen Weinbergen der Tenuta San ­Guido, die außerhalb der eigenen DOC ­Bolgheri Sassicaia liegen. Sie sind im Durchschnitt auch jünger als die Weinberge, die für die Produktion des Sassicaia bestimmt sind. Der 40 prozentige Merlot-Anteil sorgt zudem für eine größere Zugänglichkeit bereits in der Jugend. „Das war von Anfang an unser Ziel, wir wollten mit Guidalberto einen Wein erzeugen, der bereits in seiner Jugend großes Trinkvergnügen bereitet“, betont Priscilla Incisa della Rocchetta, „allerdings haben mehrere Vertikalproben gezeigt, dass Guidalberto dennoch sehr gut reifen kann.“

Mit einem Gastropreis von unter 50 Euro bewegt er sich zudem im gut kalkulierbaren Preisbereich und ist sogar für die Wein­begleitung einsetzbar. „Das ist eine bewusste Entscheidung. Wir möchten, dass der Wein eine gute Verbreitung in der Welt der Gastronomie bewahrt.“ Dabei handelt es sich keineswegs um ein Produkt, das sich über die Menge definiert: Für die Produktion von Sassicaia stehen 90 ha Weinberge in der DOC Bolgheri Sassicaia zur Verfügung. Die ältesten Reben wurden in den 1970er-Jahren angelegt, der älteste Block datiert aus 1963. Das gesamte Gebiet dieser exklusiven DOC mit nur einem einzigen Erzeuger umfasst 450 Hektar, wovon jedoch nur ein Fünftel mit Reben bestockt ist. Weitere 25 Hektar Weinberge der Tenuta San Guido befinden sich außerhalb dieser DOC, wovon allerdings einige Junganlagen noch nicht oder nicht voll im Ertrag stehen. Hier dreht sich alles um Guidalberto, für den auch einige der Sassicaia-Flächen verwendet werden, zum Beispiel, wenn es sich um jüngere Anlagen handelt.

 

Priscilla Incisa della Rocchetta; Foto: Davide Bischeri
Priscilla Incisa della Rocchetta; Foto: Davide Bischeri
Nicola Politi, der Mann der Reben; Foto: Davide Bischeri
Nicola Politi, der Mann der Reben; Foto: Davide Bischeri

Der erste Jahrgang war 2000, damals noch mit einem kleinen Anteil an Sangiovese. Seit 2004 lautet die Formel 60 Prozent Cabernet Sauvignon, 40 Prozent Merlot. Einzige Ausnahme bildet der Jahrgang 2020, in dem beide Sorten den gleichen Anteil einnehmen. In den ersten Jahren wurden für die Produktion des Guidalberto vom benachbarten Castello di Bolgheri noch Merlot-Trauben zugekauft, weil diese Sorte auf der Tenuta San Guido traditionell nicht angebaut wurde. Inzwischen stehen acht Hektar Eigenfläche zur Verfügung. Die jungen Guidalberto-Anlagen sehen identisch aus wie die Sassicaia-Parzellen und werden auch gleich bewirtschaftet. Die Pflanzabstände betragen 80 x 230 cm, was eine Dichte von 5.500 Stöcken pro Hektar ergibt. Nur der Tonboden wird in Richtung Meer zunehmend sandiger und ist weniger mit Steinen durchsetzt. Die jungen Cabernet-Anlagen stammen vom eigenen Klon (Cabernet Castiglioncello). Er geht auf den Ur-Weinberg der Tenuta San Guido zurück, der in den 1940er-Jahren von Priscillas Großvater Mario Incisa della Rocchetta weit oben in den Hügeln auf 300 Metern Höhe in Südost-Ausrichtung angelegt wurde und ursprünglich nur für den Eigenverbrauch gedacht war. Doch zurück zu Guidalberto: Auch dieser Name hat mit der Familien­geschichte zu tun, allerdings mütterlicherseits. Guidalberto della Gherardesca  legte die berühmte Zypressenallee an, die schnurgerade vom Meer zum Dorf Bolgheri führt und bis heute ein Wahrzeichen des Weinbaugebiets darstellt.

Fehlen noch die Antworten auf die eingangs gestellten Fragen, die sich nach der Verkostung des Guidalberto umso deutlicher stellen. Was macht die Tenuta San Guido so einzigartig? Sind es die Böden, das Terroir? Oder das Rebmaterial? Die Bewirtschaftung? „Es ist vermutlich eine Kombination aus allen Punkten. Wir machen eben die Art von Weinen, die unserer Familie immer schon am besten geschmeckt hat. Möglicherweise ernten wir einen Tick früher als viele Nachbarn. Aber das ist nur eines von vielen Elementen“, erklärt Priscilla Incisa della Rocchetta. Auch Bewässerungsanlagen sucht man auf dem Weingut vergebens: „Für die DOC Bolgheri Sassicaia ist die Bewässerung ohnehin nicht erlaubt und auch für Guidalberto haben wir gar keine Anlagen. In 2017, als es außergewöhnlich heiß und trocken war, mussten die Junganlagen für den Guidalberto von Hand bewässert werden, damit sie überleben.“ Übrigens zeigt auch dieser herausfordernde Jahrgang die Klasse und Eigenständigkeit dieses Weins: saftig und mit guter Frische. Kein klassischer Zweitwein oder kleiner Bruder des Sassicaia, sondern ein vollwertiges Familienmitglied der Tenuta San Guido.

Interesse geweckt? Hier geht es zu den Verkostungsergebnissen der Guidalberto-Vertikale

 

Die Mini-Vertikale aus Weinen von 2015 bis 2021 zeigt, dass Guidalberto mehr ist als Sassicaias kleiner Bruder.

01-24

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

PROFILE

Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

PROBE

Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote