Thierry Valette ist mit seinem Clos Puy Arnaud einer der Pioniere des Bioweinbaus in Bordeaux; Foto: Clos Puy Arnaud
Thierry Valette ist mit seinem Clos Puy Arnaud einer der Pioniere des Bioweinbaus in Bordeaux; Foto: Clos Puy Arnaud

Ausgerechnet Bordeaux

Ob beim Sommelier Summit im November oder am folgenden Tag bei Meininger’s Finest 100: Bei beiden Events steht in diesem Jahr Bordeaux im Rampenlicht. Warum? Weil sich die Region gerade neu erfindet.
Text: Sascha Speicher

Noch ist längst nicht alles Gold was glänzt, doch um die Veränderungen wahrzunehmen, die sich aktuell im Bordelais abspielen, muss man kein großer Bordeaux-Kenner sein. Wie Paul Kern in seiner Reportage in dieser Ausgabe recherchiert hat, wird an sehr unterschiedlichen Schrauben gedreht, um einen der großen Klassiker der Rotweinwelt zu retten, oder sagen wir lieber zukunftsfähig zu machen. Neue (alte!) Rebsorten, ein bisschen Piwi und ganz viel Bio oder Biodynamie, aber ebenso neue Weinbereitungsideen, die Bordeaux auch mal als unkomplizierten, süffigen Wein ohne großen Anspruch definieren, sind hier zu nennen. Auch die Agrofortswirtschaft spielt im Canon der Maßnahmen eine kontrovers diskutierte, aber ernst zu nehmende Rolle. Ein Beispiel ist der Ceres von Claire Villars-Lurton, Château Haut-Bages Libéral. 

Oft ist es nicht ein Baustein, sondern die Kombination mehrerer, wie unsere Verkostung von rund 50 neuen, innovativen, individuellen Weinen aus Bordeaux zeigte. Der rote Faden, der sich dabei durchzieht, ist das Thema der biologisch-organischen oder -dynamischen Bewirtschaftung. Von den zwölf besten Weinen der Probe sind nur drei nicht bio-zertifiziert. Oder besser gesagt noch nicht. Denn sowohl Château Bouty wie Château Robin (im Besitz der Familie Thienpont) sind ab der Ernte 2023 bio-zertifiziert. Jan Thienpont experimentiert auf Château Robin mit Hühnern im Weinberg als Alternative zur Beweidung mit Schafen: „Schädlinge verspeisen, düngen und den Boden bearbeiten – das sind gleich drei positive Effekte der Hühner.“

Ein anderer Aspekt von Nachhaltigkeit auf sozialer Ebene gilt als Pionierleistung von François Des Ligneris. Der war bis in die frühen 2000er Besitzer von Château Soutard. Da er sich weigerte, den Säureabbau gezielt so früh einzuleiten, damit Parker und Co. Gefallen an den Weinen finden konnten, gehörte er jahrelang zu den am schlechtesten bewerteten Crus Classés von Saint-Émilion. Das war ihm egal: Er wartete geduldig ab, bis der Säureabbau natürlich einsetzte. Das Mitglied der kommunistischen Partei kehrte auch zum Konzept der Manntage (l‘hommée) zurück, unterteilte seine Flächen in Parzellen, die ein Arbeiter am Tag bewältigen kann, um dadurch die Zufriedenheit zu steigern. Nach dem Verkauf an die Versicherungsgruppe La Mondiale setzte diese Véronique Corporandy als Managerin ein und die führt das Werk Des Ligneris fort. Inzwischen bearbeiten Pferde die Parzellen und dazwischen sind zur Abgrenzung Büsche gepflanzt.

Viele dieser Weine erinnern trotz ihrer innovativen Art an das kühle, würzige, kernige Bordeaux des letzten Jahrhunderts, nur eben zeitgemäß interpretiert. Es lohnt sich für Sommeliers auf alle Fälle, dem Thema Bordeaux mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als dies in den letzten Jahren der Fall war.

Biologisch-organisches und biodynamisches Bordeaux

93 Punkte

2020 Clos Puy Arnaud, Castillon Côtes de Bordeaux, Demeter

BordeauxWaldbeeren, satt, balanciert, gute Würze im Hintergrund, Brombeere; dicht, samtig, gerundete Tannine, feine, süße Frucht, extrem einnehmend, charmant

 

 

 

2019 Cuvée Paul, Château Haut-Bergey, Pessac-Léognan, Demeter

Bordeauxkernige, dunkle Würze, schwarze Johannisbeere; zieht sich auch am Gaumen durch, gute Länge, viel Grip, sehr feingliedrig, wie aus einem Guss, griffige, aber nicht grüne Tannine

 

 

 

2019 Château Fonroque Grand Cru Classé, Alain Moueix, Saint-Émilion, Biodyvin

Bordeauxelegante Frucht, Wildkirsche, leicht pfeffrig, expressiv; sehr klar; feingleidrig, elegant, Rosmarin, dann wieder feine Frucht, geschliffene Tannine

 

 

 

2016 Château Falfas Le Chevalier, Côtes de Bourg, Biodyvin

Bordeauxedle Würze, sehr reif, Sattel, Zedernholz, Unterholz, Herbstlaub; fein gereift, Tannine bleiben haften, das kühl-maskuline auch, viel Tabak, old school

 

 

 

92 Punkte

2020 Château Doyac Cru Bourgeois Supérieur, Haut-Médoc, Demeter

Bordeauxsatte dunkle Würze, Brotgewürz, schwarze Frucht, schwarzer Tee; voll, fleischig, dicht, viel Extrakt, gerundete Tannine, saftes Mundgefühl, schokoladige Länge, schon trinkreif

 

 

 

2019 Château Haut-Bergey, Pessac-Léognan, Demeter

Bordeauxintensive Cassisfrucht mit Holunder, Lakritz, sehr dunkle Art, dunkle Schokolade, Kaffee, klassische Vinifikation, solide Struktur, balanciert

 

 

 

2018 Château Mangot, Todeschini, Saint-Émilion Grand Cru, bio

Bordeauxdichte Nase, dunkle Frucht, auch Trockenfrüchte; gute Gerbsäurefrische, hochfloorig, gerundete, aber präsente Tannine, klassische Saint-Émilion-Wucht

 

 

 

91 Punkte

2020 Clos d‘Hervé, Beynat, Castillon Côtes de Bordeaux, bio

Bordeauxschwarze Oliven, Weihrauch, dunkle Frucht, kernige Würze; am Gaumen dann Cassis, samtige Textur, softe, wenngleich präsente Tannine

 

 

 

2020 Château La Brande, Famille Todeschini, Castillon Côtes de Bordeaux, bio

Bordeauxdicht, dunkle Würze, satte Holunderfrucht; konzentriert und kraftvoll, die typische Fülle von Castillon, auch florale Anklänge, leicht trocknend

 

 

 

2019 Aux Quatre Vents, Château Guibeau, Puisseguin Saint-Émilion, bio

Bordeauxetwas speckig, Preiselbeere, etwas Johannisbeere; moderne Machart, sehr rund, sehr balanciert, gute Frische, Thymian, Echinacea

 

 

 

2019 Château Jean Faux, Bordeaux Supérieur, Demeter

Bordeauxwarme Frucht, Piment, gegrillte Paprika, leicht pfeffrig, offen und einladend, Zimt; stoffig, hoch­floorig, extremer Charmeur, reife Gerbstoffe

 

 

 

90 Punkte

2019 Cru Godard, Carine & Franck Richard, Francs Côtes de Bordeaux blanc, bio

Bordeauxklassisch Bordeaux, vegetabil, gelungener Holzeinsatz, Dill; würzig, geschmeidig, stoffig und mit milder Säure

Neues Bordeaux: Individuell und innovativ

93 Punkte

2018 Château Soutard Grand Cru Classé, Saint-Émilion

Bordeauxkernige Würze, tintig, auch leicht blutig, Wildkirsche; milde Säure, aber dennoch balanciert, dank griffiger, reifer Tannine, gute, harmonische Länge, sehr feine, leicht süßliche Frucht

 

 

 

92 Punkte

2019 Château Robin, Castillon Côtes de Bordeaux, bio ab Ernte 2023

Bordeauxpfeffrige Würze, sehr dunkle Frucht, aber stets in Balance; gerundete Tannine, verspielt, sehr charmant, Schwarztee, guter Grip, leicht salzig

 

 

 

2020 Le Pot de Terre, Le Clos du Mounat, Côtes de Bourg, bio

Bordeauxfeine, offene Nase, dunkle Kirsche, Weihrauch, Zedernholz, etwas Luft, leicht natural; feiner Grip, eine Spur Flüchtige, mittlere Kraft und Tiefe, Charmeur

 

 

 

2020 Ceres, Claire Villars-Lurton, Haut-Médoc, bio

Bordeauxelegante Nase, Wildkirsche, pikant-floral; saftig, sehr elegant, feine Art, jederzeit mit angenehmer, atlantischer Kühle, saftig und frisch, extrem animierend

 

 

 

2017 Château Bouty, Castillon Côtes de Bordeaux, bio ab Ernte 2023

Bordeauxviel schwarze Johannisbeere, Teenote, dicht, stoffig, aber gleichzeitig feiner Säurenerv, macht das ganze saftig, Preiselbeere, feine Herbheit, leichtfüßig

 

 

 

90 Punkte

2019 Origine, Château les Graves de Viaud, Côtes de Bourg, Demeter

Bordeauxeher naturaler Stil, offen, Zwetschge, kernige Würze; pikant pfeffrig, griffig, gerundete Tannine, dennoch Struktur

Neues Bordeaux: Unkompliziert und trinkig

91 Punkte

2021 Impro, Clos la Providence, Bordeaux

Bordeauxschöne Paprika-Nase, auch Cassis; saftig, hochelegant, milde, gerundete Gerbstoffe, jetzt schon offen, einladend, die Würze bleibt und gibt Spannung

 

 

 

2022 La Bastane Malbec, Côtes de Bordeaux, bio

Bordeauxeher vegetabile Note, leicht schotig, grüne Bohnen, Bohnenkraut, Veilchen; überraschend viel Grip, leicht salzig, expressiv, aber nicht kitschig

 

 

 

89 Punkte

2021 Château Vilatte, Cuvée Baies entières, Bordeaux Supérieur, bio

Bordeauxsatte dunkle Beerennote, Holunder, Wacholder, etwas rote Paprika, weich, rund, cremig, warmer Typ, Schoko und Merlot-Charakter

 

 

 

88 Punkte

2021 Le Piaf, Château Daugay, Saint-Émilion

Bordeauxtoller, würziger, pfeffriger Duft, kühl, Koriandersamen, Tabak, leider am Gaumen etwas flach, wenig Tiefe, moderate Gerbstoffe, etwas tintig

 

 

 

2020 Petit Merle, Famille Lacoste, Cadillac Côtes de Bordeaux, bio

Bordeauxintensiv, dunkle Beerenfrucht, eher modern-internationale Machart; geschliffene Tannine, Veilchen, Zedernholz, saftige Länge, keine ganz große Komplexität

 

 

 

87 Punkte

2019 La Marotte, Cuvée du Comptoir, Côtes de Bordeaux, bio ab 2023

Bordeauxklassischer, runder, charmanter Typ, aber sehr trinkig und balanciert, gute Würze, klare Frucht

Mehr zur Neuerfindung Bordeaux'

Langsam öffnet sich auch die nicht gerade des Wankelmuts verdächtigte Region Bordeaux der Biodynamie und alternativen Rebsorten.

01-24

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

PROFILE

Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

PROBE

Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote