Für Julien Morlat bedeutet ein Küchenchef-Wechsel auch einen Neuanfang; Foto: David Maupilé
Für Julien Morlat bedeutet ein Küchenchef-Wechsel auch einen Neuanfang; Foto: David Maupilé

"Kein Küchenchef sollte alles dirigieren"

Der französischstämmige Wahlmünchner Julien Morlat ist seit gut zehn Jahren als Sommelier im zweifach besternten Dallmayr-Restaurant Alois tätig. Im Interview spricht er über punktgenaue Weinbegleitung, die Zusammenarbeit mit Küchenchefs und wie sich ein Neuanfang nach all den Jahren anfühlt.

Im Oktober 2022 trat Max Natmessnig die Nachfolge von Christoph Kunz im ­Münchner Zwei-Sterne-Restaurant an. Der Österreicher kochte zuletzt als ­Küchenchef im Hotel Rote Wand in Lech am Arlberg. Prägend für seine aromenstarke Produktküche mit japanischem Einschlag waren die Jahre bei César Ramirez im Chef‘s Table at Brooklyn Fare.


Sie haben vier Jahre mit Christoph Kunz als Küchenchef zusammengearbeitet und arbeiten jetzt seit gut vier Monaten mit Max Natmessnig zusammen. Was hat sich für Ihre Arbeit geändert?
So gut wie alles hat sich geändert, weil es ein anderes Konzept ist und er ganz anders kocht. Dementsprechend muss man sich auch als Sommelier verändern und den Koch und seine Handschrift erst einmal kennenlernen. Ist es klassisch französisch oder gibt es asiatische Einflüsse? Gibt es Schärfe oder Süße? Wie ist die Balance, die Intensität? Christoph Kunz kocht filigran und subtil. Max Natmessnig hat seine ganz eigene Handschrift und seine Gerichte haben Charakter und Kraft, er reduziert seine Saucen sehr stark. Dem muss ich Struktur und Rückgrat entgegensetzen. Unterm Strich liegen wir jetzt bei Tiefe und Würze der Weine etwas höher.

Reicht es Ihnen aus, die Produkte und Zubereitungen zu hören und zu lesen oder müssen Sie jeden Gang probieren?
Unbedingt! Ich probiere jeden Gang und Max Natmessnig probiert jeden Wein. Entscheidend ist wirklich die Intensität, die Konzentration und das Wechselspiel. Dieser Austausch ist sehr wichtig. Manchmal finden wir den Wein dazu super, aber man muss am Gericht ein bisschen justieren, um beides sensorisch noch mehr zu optimieren.

Max Natmessnig passt seine Gerichte an Ihre Weine an?
Das kann passieren. Aber da geht es um Nuancen, einen Tick mehr Säure, einen Tick mehr Salz, ein bisschen mehr oder weniger Saucenreduktion. Viel darf man natürlich nicht verändern. Im besten Fall unterstützen sich Wein und Essen gegenseitig und man hat am Gaumen einen langen Eindruck von beidem.

Einige Küchenchefs würden das wohl nicht mitmachen und sich auf den Schlips getreten fühlen, wenn ihnen ein Sommelier sagt, wie sie kochen sollen.
Heutzutage muss man von so etwas wegkommen. Es geht ja nicht um den Küchenchef oder um den Sommelier, sondern darum, dem Gast ein tolles Erlebnis zu schenken. Und das funktioniert nur im Team. Das gilt auch für die ganze Brigade. Bei uns probiert jeder mal ein Glas Wein, nicht nur der Küchenchef und Sommelier. Sechs Köpfe sind eben kreativer als nur einer. Die Zeit sollte vorbei sein, in der ein Küchenchef alles dirigiert.

Das Menü im Alois besteht derzeit aus 17 Gängen. Wie fängt man das in einer Weinbegleitung ein?
Das war zu Beginn die größte Herausforderung. Auf der einen Seite hat jeder Gang eine eigene Handschrift, die ich gerne mit dem Wein würdigen möchte. Auf der anderen Seite können wir natürlich keine 17 Weine in der Weinbegleitung ausschenken. Am Anfang fassen wir Gänge zusammen, die sich stilistisch ähneln. Derzeit zum Beispiel rohe Hamachi, Aguachile, Jalapeño sowie Auster, Codium, Kaviar. Beide spielen mit grünen Elementen und da findet man einen gemeinsamen Wein. Aber ab der Hälfte gibt es dann doch fast zu jedem Gang einen eigenen. Am Ende sind es meistens acht Weine.

Was bereitet Ihnen als Sommelier mehr Freude, Weinbegleitung oder Flaschen verkaufen?
Beides macht gleich viel Spaß! Etwa 70 Prozent nehmen die Weinbegleitung. Da kann ich die Gäste den ganzen Abend begleiten und ihnen immer wieder Neues zeigen. Wir versuchen auch Weine auszuwählen, die nicht so bekannt sind und die der Gast vielleicht nicht aktiv bestellen würde. Aktuell zum Beispiel einen ligurischen Weißwein aus Bosco und Albarola. Aber wenn jemand mal Liger-Belair oder Rayas trinken möchte und man kann die Flasche aufmachen und einen Schluck probieren, macht das natürlich schon Spaß. Wenn ich privat essen gehe, bestelle ich übrigens immer gerne Flaschen, weil ich mich hier gerne entspannen und den Wein genießen möchte, ohne zu viele verschiedene Weine zu degustieren.

Sie bieten neben der einfachen Weinbegleitung noch eine Raritätenbegleitung für 220 Euro an. Was verbirgt sich dahinter?
Wir haben nach dem ersten Lockdown damit angefangen, weil wir das Gefühl hatten, die Nachfrage nach etwas Besonderem ist jetzt da. Eine Rarität definiert sich für mich nicht nur über den Preis. Der erste Wein ist zurzeit ein 2014er Bourgogne Blanc von Roulot. Klar ist der teuer, aber man darf nicht nur Sassicaia, Mouton Rothschild oder Yquem erwarten. Etikettentrinker werden mit der Raritätenbegleitung überrascht, denn wir schenken auch Weine aus, die kaum jemand kennt, weil sie sehr selten sind. Einen halbtrockenen Veltliner von Knoll zum Beispiel, der in der Gärung steckengeblieben ist und eigentlich ein Smaragd werden sollte. Davon gibt es nur ein paar hundert Flaschen und der Wein ist gar nicht wirklich auf dem Markt. So etwas ist für mich eine Rarität!

Überall spürt man die Krise und die gestiegenen Lebenshaltungskosten regen viele zur Sparsamkeit an. Werden auch bei Ihnen weniger hochpreisige Flaschen bestellt?
Im Gegenteil. Ich habe noch nie so viel hochwertigen Wein verkauft, wie im vergangenen halben Jahr. Große Weine im gehobenen Preissegment, die früher vielleicht alle paar Monate bestellt wurden, schenke ich jetzt häufiger aus. Bei uns sieht es so aus, als würden die Gäste hochpreisige und besondere Weine sogar mehr schätzen als zuvor.

Vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Paul Kern

01-24

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