Sascha Speicher, Chefredakteur Meiningers Sommelier
Sascha Speicher, Chefredakteur Meiningers Sommelier

„The wine formerly known as Großes Gewächs“

Kommentar

„The wine formerly known as Großes Gewächs“

Gut gemeint … Jeder kennt das Sprichwort. Der Rheingauer Weinbauverband, der auch 1999 mit der Bezeichnung „Erstes Gewächs“ Fakten geschaffen hatte, ging nun mit einem weitaus größeren Wurf erneut in die Offensive. Die Bezeichnungen „Grosses Gewächs“ und „Erstes Gewächs“ wurden auf Antrag Hessens durch den Bundesrat in die Weinverordnung aufgenommen. Der wilden Verwendung der Begriffe sollte mit Inkrafttreten der WeinVerordnung mit dem Jahrgang 2024 ein Ende gesetzt werden.

In Hessen hat man sich immerhin im Vorfeld auf einige wichtige Regelungen verständigt. Zum Beispiel, dass für beide Bezeichnungen nur Weine aus jenen 1.100 Hektar Einzellagen verwendet werden dürfen, die in der Gütekarte des Rheingaus als klassifiziertes Terroir ausgewiesen sind. Immerhin. Andere Fragen blieben offen. Zum Beispiel ist auch im Rheingau die Maschinenlese für ein „Erstes Gewächs“ noch nicht ausgeschlossen.

Weit dramatischer dürften die Auswirkungen in vielen anderen Anbaugebieten sein, wo die Schutzgemeinschaften noch keine Regelungen erlassen haben. Dort könnte theoretisch ab 2024 aus jeder Einzellage (oder kleineren geografischen Einheit) ein Erstes Gewächs erzeugt werden, sofern der Wein trocken, die Trauben mit 11,0 %vol. (entspricht mindestens 82°Oe) gelesen und der Hektarertrag maximal 60 hl/ha beträgt. Entspricht weitestgehend den Regelungen des „Erfolgsmodells“ Selektion, nun aber mit dem klangvollen Namen Erstes Gewächs.

Und das Große Gewächs? Das entspricht künftig mehr oder weniger der Spätlese trocken aus einer Einzellage, nur dass eine (zusätzliche) Anreicherung nicht explizit ausgeschlossen aus. Der Hektarhöchstertrag ist auf 50 hl/ha (Steillage 60 hl/ha) begrenzt (plus 10 Prozent Toleranz).

Denn wer glaubt ernsthaft, dass sich die Schutzgemeinschaften in den Anbaugebieten nachträglich auf ernsthafte, qualitätssichernde Einschränkungen verständigen werden? Ihnen obliegt es nun, die zugelassen Einzellagen nach erst einmal neu zu definierenden Kriterien einzuschränken und die zugelassenen Rebsorten festzulegen oder Handlese vorzuschreiben. Die „verpflichtende sensorische Prüfung“ klingt in diesem Schreckensszenario nach der schlimmsten Drohung, wenn man an den Status Quo der Qualitätsweinprüfung denkt.

Und was macht der Verband Deutscher Prädikatsweingüter, der in den vergangenen zwei Jahrzehnten das VDP.Grosse Gewächs zum internationalen Aushängeschild des trockenen deutschen Weins entwickelt hat? Schon bitter: Kaum haben der Verein und seine 200 Mitglieder ihre Große-Lage- und Erste-Lage-Flächen zwar zum Teil ein wenig nach Gutsherrenart, aber immerhin glasklar abgegrenzt und digital unter „weinbergonline“ für jedermann anschaulich gemacht, fliegt ein fetter Stein in das schöne Schaufenster. Alles vergebens? Einigermaßen schockiert und zähneknirschend begibt sich der VDP schon einmal vorsorglich auf die Suche nach einem neuen Namen für sein VDP.Grosses Gewächs und sein VDP.Erstes Gewächs. Prince hat da seiner Zeit eine passende Vorlage geliefert. Passt aber nur abgekürzt auf’s Weinetikett: TWFKAGG.

Noch bleibt genügend Zeit, dieses Schreckensszenario abzuwenden. Politik und Verbände sind gefordert. 

01-24

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

PROFILE

Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

PROBE

Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote