Sebastian Bordthäuser arbeitet als  Sommelier, Moderator, Berater und Autor. Als Kolumnist legt er den Finger  in die Wunden der Kulinarik.
Sebastian Bordthäuser arbeitet als Sommelier, Moderator, Berater und Autor. Als Kolumnist legt er den Finger in die Wunden der Kulinarik.

Service - das neue Gold

Sebastian Bordthäuser spricht über Service-Wandel und ausgediente Vorbilder in den USA.

In Amerika geben die Leute standardmäßig 10 % Tip!“, so lautete eines der Mantras in den 1990er-Jahren, als der Service in Deutschland begann, langsam wieder zur alten Größe zu erwachsen. Damals war der Gast noch König, die Bedienung das Fräulein und Trinkgeld oftmals Schmerzensgeld im unteren Bereich. „Servicewüste Deutschland!“ hieß es damals oft, die Kellner sollten mal nach Amerika gehen, da lerne man, was Service bedeutet.

Das ist inzwischen 35 Jahre her und natürlich haben sich die Vorzeichen gewandelt – in Deutschland überwiegend zum Guten. Zwar ist Trinkgeld als verhandelbarer, aber dennoch vom Gast zu bestreitender Gehalts-Beitrag eine Begleiterscheinung, über die ich mich bereits ausgelassen habe. Dennoch ist der Service als Lehrberuf zweifelsfrei die zweite Hälfte, die im Zusammenspiel mit der Küche erst die Glocke des Glücks in voller Klarheit erklingen lässt. Und Amerika ist dabei ziemlich auf der Strecke geblieben.

Service ist eine Chimäre, und der Tip hat die Leute fett gemacht. Sie sind satt, selbstreferenziell und wenn man Glück hat, bekommt man einen seelenlosen Roboter, der einem die obligatorische Kanne Leitungswasser hinstellt, von der einem sofort die Augen tränen, weil die Plörre so hart gechlort ist wie das Hallenbad nach dem Kinderschwimmen. Man wird von jeder Servicekraft über das ganze Land hinweg ausnahmslos genderneutral mit „You Guys“ angeredet, damit sich niemand mehr merken muss, ob es nun Mann, Frau oder Divers bedient. Noch dazu redet der Service in Zungen, mit dieser eigentümlichen Service-Stimme, wie die eines Schauspielers, die den Menschen hinter der Rolle des Dienstleisters verbirgt. Diese Stimme quittiert wirklich jede Order mit einem „Aaaawwwesome!“, als handle es sich bei der Bestellung von zwei Eiern mit Speck auf Toast um eine Master-Arbeit, die man bei Bestellung erfolgreich bestanden habe.

Aber der Mindestlohn, höre ich die berechtigten Einwände. Der Mindestlohn in der Gastro liegt unter den definierten Mindestlöhnen landesweit einheitlich bei 2,13$. Statt Mitleid mit dem Service zu haben, wäre jedoch die Frage angebracht, wie ein Unternehmen auf die Idee kommt, dass dessen Gäste quasi komplett sein Personal bezahlen. Erfolgreiche Modelle werden nämlich gerne übernommen. Bei meinem letzten Besuch 2019 in meiner Stammkneipe in Maine waren die Tips im Terminal noch mit 18, 20 und 25% skaliert, jüngst waren es unverhohlene 20, 25 und 30% – nach Steuer, selbstredend.

„Can I get you anything else?“, fragte der Service-Roboter und bringt uns neben den Eiern mit Speck und Kaffee direkt die Rechnung. Früher hätte er mit der Frage anstandshalber gewartet, bis man aufgegessen hat. Man kann aber nicht schöner „Verpisst Euch!“ sagen, als die Rechnung zu bringen, noch bevor man überhaupt einen Happen zu sich genommen hat. In einem leeren Laden.

Das amerikanische Service-Modell ist völlig marode und hat als Vorbild ausgedient. Tipping is out of control, deformiert und korrumpiert den Service. Gastfreundschaft ist nicht skalierbar und deshalb tot: Ein herzlicher, persönlicher Service, das ehrliche Willkommen eines Gastgebers, der mein Auftauchen nicht ausschließlich als die Möglichkeit eines zustandekommenden Geschäfts zu lesen weiß. Denn natürlich wird es das, schließlich gehe ich in eine Kaschemme, habe Hunger, Durst und Geld dabei. Die Gäste glänzen zu lassen, ihnen eine gute Zeit zu bereiten und mit Stolz seine Speisen und Getränke zu servieren, sich darüber hinaus vielleicht auf einer persönlichen Ebene zu begegnen? Totale Fehlanzeige. Zero empathy, zero interest, und trotz Reservierung ist euer Name leider auch egal: „See you next time, guys!“

01-24

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

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Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

PROBE

Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote