Der Generationswechsel macht es nötig: Eine Familie, geteilter Betrieb bei De Sousa; Foto: Eric Fanden
Der Generationswechsel macht es nötig: Eine Familie, geteilter Betrieb bei De Sousa; Foto: Eric Fanden

Wie sich die Champagne verändert

Die vergangenen Jahre haben im Weinbau Frankreichs und speziell in dem der Champagne tiefe Spuren hinterlassen. Der Klimawandel mit den entsprechenden Wetterphänomenen und die Coronakrise haben einen hohen Tribut gefordert. Sie zwangen viele Winzerinnen und Winzer zum Nach- und zum Umdenken. 
Text: Christoph Raffelt, Sascha Speicher

In der Champagne haben die Herausforderungen einerseits für einen sprunghaften Anstieg der Bioflächen gesorgt, andererseits aber auch für eine deutliche Verschiebung der Kräfte. Immer mehr Winzer geben auf, weil sie auf dem globalen Markt kaum noch bestehen können. So hat der Champagne-Kenner Tyson Stelzer im letzten Champagne Guide einen langen Artikel über dieses Phänomen mit dem Titel „The era of grower Champagnes is over“ verfasst. Die Dramatik mag verwundern, sie beruht aber auf guten Gründen. „Ich glaube, dass die Champagne in 20 Jahren nur noch 35 bis 40 Prozent ihrer Produktion in Frankreich und 60 bis 65 Prozent auf den Exportmärkten verkaufen wird“, prognostiziert Dominique Demarville, der nach einer kurzen Episode bei Laurent-Perrier die Leitung von Champagne Lallier übernommen hat, „und das wird das Gleichgewicht innerhalb der Champagne verändern.“

Die Entwicklung trifft die Winzer viel härter als die Häuser und Genossenschaften. Von den 15.800 Winzern der Champagne verkauften 2019 3.995 ihre eigenen Champagner, aber nur 1.336 exportierten ihre Cuvées außerhalb Frankreichs und nur 794 außerhalb Europas. Dort werde auf Dauer nur die Super-League einer kleinen Gruppe bestens aufgestellter Top-Winzer zusammen mit ihren Exporteuren bestehen können, meint Jean-Hervé Chiquet von Jacquesson, der selbst nicht zu den Winzern zählt, sondern zu den unabhängigen Häusern, obwohl er gemeinsam mit seinem Bruder Laurent sehr konsequent eine Philosophie der Domaine verfolgt. Eines von vielen Beispielen, zu denen auch Bruno Paillard, Philipponnat, Drappier oder Henri Giraud zählen, die dazu beitragen, dass die Unterscheidung zwischen Winzer und Handelshaus an Trennschärfe verliert.

Die Grenze zwischen Négociant und Winzer verschwimmt

Als Winzer wird derjenige bezeichnet, der das Kürzel RM für Récoltant Manipulant trägt, also Weine nur aus eigenen Trauben erzeugt. Ein NM, ein Négociant Manipulant, dagegen wurde in der harten Winzerchampagner-Szene schnell verdächtigt, eher auf Menge, denn auf bedingungslose Qualität zu setzen. Doch viele Winzer haben gar keine andere Chance mehr, als im Zweifel Trauben zuzukaufen oder ihr Weingut so umzustellen, dass man sich im Prinzip selbst Trauben abkauft. Ersteres kann man am Beispiel von Jérôme Prévost nachvollziehen, der mit seinen Meunier-Champagnern La Closerie weltberühmt geworden ist. Fast zwei Jahrzehnte hat er auf eigenen 2,2 Hektar Weinbergen gearbeitet und gerade, als er anfing, sein neues Weingut zu errichten, 80 Prozent der erwarteten 2017er Ernte durch Frost verloren. Also hat er umgestellt und einen zusätzlichen Champagner aus zugekauften Trauben auf den Markt gebracht. Folgerichtig firmiert er fortan als Négociant, als Händler, und nicht länger als Récoltant (Erzeuger).

Bérèche setzt beim Négoce-Projekt auf besondere Terroirs
Bérèche setzt beim Négoce-Projekt auf besondere Terroirs

Die Champagner von Bérêche & Fils gehören zu den gefragtesten der Champagne. Ein spontaner Einkauf vor Ort ist bei ihnen, wie bei den meisten Stars der Szene, kaum mehr möglich. Immerhin ist es ihnen gelungen, Flächen in Mailly Grand Cru zu erwerben. Der Ambonnay Grand Cru stammt jedoch von Zukauf, genau wie der Cramant Grand Cru, der ab dem kommenden Jahr das Sortiment um einen Blanc de Blancs von der Côte de Blancs erweitern wird. So hilft das neue zweite Standbein dabei, etwas Druck aus dem Kessel zu lassen. Denn die Notwendigkeit, Lieferungen an die Importeure in aller Welt zu kontingentieren, schmeckt nicht jedem Kunden. Es ist ein Kampf um jede Flasche bei den Top 100 der Champagnerwelt, ganz gleich, ob die Buchstaben RM oder NM auf dem Label stehen.

Die Änderung von RM auf NM hat bei einigen Winzern ihre Ursache in den Herausforderungen durch den Klimawandel. Bei anderen ist es das französische Erbrecht. Was in der Bourgogne mittlerweile zu immer mehr Verkäufen von alteingesessenen Weingütern an finanzstarke Investoren führt, ist auch in der Champagne ein Problem. Frankreich verfügt über eine der der höchsten Erbschaftssteuern der Welt, die ab einem Vermögen von 1,8 Millionen Euro zum Tragen kommt. Vereinfacht wird die erbende Generation mit 45 Prozent Steuern auf die Differenz des aktuellen Vermögens oder Firmenwerts im Vergleich zur vorherigen Generation belastet. Der exorbitante Wertzuwachs der Champagnerflächen hat dazu geführt, dass Erbschaftssteuern, die man früher mit einer Ernte abtragen konnte, heute ein ganzes Winzerleben belasten können.

So sind Familien wie die De Sousa buchmäßig mehrfache Millionäre, wenn man bedenkt, dass sie 11 Hektar Grand-Cru-Lagen in der Côte de Blancs besitzen und dass ein Hektar dort mit bis zu 3 Mio. Euro bewertet wird. Von diesem Wert haben sie zunächst einmal wenig, denn sie wollen das Land bewirtschaften und nicht verkaufen. Doch wenn die Eltern nicht vorsorgen, müssen spätestens die Kinder verkaufen, weil sie die Erbschaftssteuern nicht bezahlen können. Die De Sousas haben ihren Betrieb geteilt. Erick und seine Frau Michelle besitzen nun den Weinberg und ihre Kinder das Unternehmen. Bei einer solchen Teilung ist das Erbrecht gnädiger. Auswirkungen auf den Verkauf hatte diese Veränderung allerdings nicht, meint Charlotte De Sousa: „Die meisten haben den Unterschied nicht bemerkt, weil die Qualität die gleiche ist und die Marke die gleiche bleibt! Die Importeure, die Händler, die Kunden, sie vertrauen der Qualität und unserer Familie, also folgen sie uns bei dieser Veränderung.“

Gleitender Übergang

Einen anderen Weg wählt Pascal Agrapart, der parallel zum Familienbetrieb Champagne Agrapart & Fils gemeinsam mit seinem Sohn Ambroise eine zweite Gesellschaft Schritt für Schritt entwickelt. Diese hat Pascal vor zehn Jahren vorausschauend gegründet. Heute gehören 6,5 der insgesamt 14,5 ha, die von der Familie Agrapart bewirtschaftet werden, zu dieser neuen Firma. „Alles, was wir seither neu entwickelt haben, läuft unter dem Label Pascal Agrapart“, erklärt der Winzer, der den Familienbetrieb gemeinsam mit seinem Bruder übernommen und an die Spitze der Winzer-Szene geführt hat. Dazu gehört zum Beispiel der Complantée Extra Brut, ein gemischter Satz aus sechs verschiedenen Rebsorten, mit der Idee, den Einfluss des Terroirs auf den Charakter der Rebsorten schmeckbar zu machen. Beide Etiketten sind bis auf den Namen gleich gestaltet, sodass der Unterschied kaum auffällt. Und das macht auch Sinn. Schließlich stammen sie von ein und demselben Winzer, werden im gleichen Keller vinifiziert und gelagert.

 

Pascal Agrapart: Einer der Vordenker der Winzerchampagner-Bewegung
Pascal Agrapart: Einer der Vordenker der Winzerchampagner-Bewegung
Ein Winzer, zwei Labels: Einmal Pascal Agrapart, einmal Agrapart & Fils
Ein Winzer, zwei Labels: Einmal Pascal Agrapart, einmal Agrapart & Fils

Wenn man diese Umstände in ihrer ganzen Tragweite betrachtet, dann sind die Herausforderungen für die Winzer enorm. Auf den Märkten werden sie sich stärker denn je behaupten müssen, und es wird sich wahrscheinlich nur eine kleine Gruppe mit Spitzenqualitäten und gutem Marketing durchsetzen. Andere Winzer werden als Trauben-Erzeuger von den hohen Preisen profitieren, die die großen Erzeuger zu zahlen bereit sind. Die Probleme des Erbrechts sind durch vorausschauendes Handeln in gewissem Maße zu kompensieren, doch der Klimawandel nicht. Ein Winzer, der einige wenige Hektar an einem Ort besitzt, wird immer wieder durch Totalausfälle bedroht sein, wodurch die klassische überregionale Assemblage aus verschiedenen Crus wieder stärker an Bedeutung zulegen wird.

01-24

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

PROFILE

Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

PROBE

Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote