Text: Jan-Peter Wulf
Dieser Text erschien ursprünglich in fizzz #02-22. Für diese Veröffentlichung wurde er gekürzt und leicht angepasst. Die Printausgabe können Sie hier bestellen.
Rein veganes, buntes Fast-Food, ein ebenso buntes Interieur statt Vintage-Style, vorwiegend jüngeres Publikum, Ordering per App und ausschließlich bargeldlose Zahlung – das neue Restaurant „unfckd“ am Berliner Alexanderplatz ist konzeptuell ziemlich am Puls der Zeit, eine Gastronomie der Generation Z. Anders arbeiten - hat man sich auch für das Team in Küche und Service vorgenommen und ein Rotationssystem nach dem Motto "alle machen alles" entwickelt. „Es war unser Anspruch an das Personal, dass jeder im Prinzip alles kann“, erklärt Mitgründerin Laura Schilling.
So nämlich entstünden weniger schnell Engpässe, falls jemand krank wird – vor allem aber sorge es für Abwechslung und Ausgleich. Zwar setze man die Mitarbeiter schon mit Berücksichtigung der individuellen Talente ein, aber grundsätzlich gilt das generalistische Prinzip. Branchentypische Probleme, Personal zu finden, habe man überhaupt nicht, erklärt Schilling: „Wir sind unfassbar glücklich, dass wir so gute Leute gefunden haben“. Die flache Hierarchie spiegelt sich auch darin wider, dass alle der zurzeit rund 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bis auf die Restaurantleitung das gleiche Gehalt bzw. den gleichen Stundenlohn bekommen. Für einen „proof of concept“ ist es noch zu früh, hat das „unfckd“ doch erst im November 2021 eröffnet – doch der Ansatz der Rotation ist zweifelsohne innovativ.
Nur ein paar Kilometer entfernt befindet sich das Restaurant „einsunternull“. Sterneküche mit regionalem Fokus, bei der viel fermentiert und eingemacht wird, sodass auch in der wachstumsarmen Jahreszeit die „eingefangene Saison“ auf die Teller gebracht werden kann. Auf diesem Level lässt sich freilich nicht rotieren, dafür hat man hier ein anderes New-Work-Modell für sich gefunden: mehr freie Zeit. Seit dem vergangenen Herbst gilt für das Team die Vier-Tage-Woche von Freitag bis Montag. Die zuvor fünf Öffnungstage wurden testweise auf vier reduziert, um die Kapazitäten im Sommer besser auszulasten.
Man blieb dabei, weil es rechnete und sich positiv auf das Teamwork ausgewirkt hat: „Wir arbeiten ausgeruhter und mit mehr Energie, performen aktiver und beraten besser“, berichtet Küchenchef Silvio Pfeufer. „Es macht uns auch mehr Spaß, wenn das Restaurant ausgebucht ist – als Musiker trittst du ja auch lieber in einem komplett vollen Club auf.“ Drei aufeinander folgende freie Tage sind im Gastgewerbe nach wie vor eine Seltenheit. „Es entschleunigt enorm“, berichtet der junge Küchenchef. Ein Umdenken sei zwingend notwendig, wenn die Branche wieder einen Reiz auf junge Menschen ausüben wolle. Die innovative Vier-Tage-Woche spiele man durchaus als Trumpf beim Recruiting aus. In Zeiten extremer Nachfrage ist sie ein echtes Asset.
In der Februar-Ausgabe haben wir Moritz Meyn und Wolfgang Hingerl, die Macher der Münchner Mural-Objekte im Porträt. Mit dem Leitsatz "eat local - drink natural" und bald fünf verschiedenen Locations setzen sie stilvoll-lockere Akzente in der Isarmetropole.
Außerdem im Heft:
- New Work
- Spirituosentrends 2022
- Einblicke ins Frauennetzwerk Foodservice
- Designtrends
- und viele weitere spannende Themen!
Gearbeitet wird rund zehn Stunden am Tag, Mehrarbeit wird ausgeglichen. Die Arbeit selbst beschreibt Pfeufer als nun kompakter und unterstützender. Es wird insgesamt postenübergreifender gearbeitet, was auch die Kommunikation und Kreativität fördere. Wichtig findet er, den Veränderungen Zeit zu geben: „Man muss es über längere Zeit ausprobieren. Wir haben uns ein Modell geschaffen, mit dem wir den Beruf wieder attraktiver machen können.“ Betriebsferien im Sommer und über die Weihnachtszeit wurden im „einsunternull“ in diesem Zuge übrigens auch eingeführt.
Kaum jemand hat das Thema neues Arbeiten in der Gastronomie so systematisiert wie Alexander Scharf, Geschäftsführer der Gastro Urban GmbH aus Goslar mit zurzeit fünf Betrieben und über 90 Mitarbeitern. Ein öffentlich abrufbares Team-Handbuch definiert die Zusammenarbeit und den fairen, wertschätzenden Umgang. Mit „I Love Gastro“ hat der Gastronom 2020 eine Initiative für die Branche gestartet, die das Reizthema Ausbildungsabbruch anfasst; innerhalb seines eigenen Unternehmens finden Weiterentwicklungs-Workshops für das Team derzeit fast täglich (!) statt.
Ein großes, übergeordnetes Thema dabei ist das Trading-up, die Aufwertung von Leistungen mitsamt Erhöhung der Preise – vor dem Hintergrund dauerhaft steigender Branchenlöhne. Scharf ist sich sicher, dass die Steigerung auf beiden Seiten nur dann funktioniert, wenn „noch emotionalere Gasterlebnisse“ erzeugt werden. Es gehe um eine „Übererfüllung der Erwartungen“ der Gäste, so Scharf, um perfekten Service und fachliche Sicherheit. „Geben und Nehmen“ lautet das Prinzip: was die Gastro Urban GmbH ihren Mitarbeitern zu bieten bzw. zu geben hat, wird in einem weiteren öffentlichen Dokument festgehalten: bezahlte Überstunden, Einstiegsboni, Personalrabatte, Freizeitregelungen, finanzielle Anreize für Nichtraucher, aber auch Möglichkeiten der Weiterentwicklung etwa. „Das Nehmen muss man aber auch mitdefinieren“, so Scharf: gleicher Wissens- und Kenntnisstand, Beherrschen der Rezepturen bzw. Speise- und Getränkekarten, drei Teller auf einmal tragen können, Anforderungen an das Erscheinungsbild im Dienst – vieles mag fast selbstverständlich klingen, doch ist es das? „Stillschweigende Erwartungen funktionieren nicht. Du kannst nichts erwarten, was du deinen Leuten nicht kommunizierst“, so Scharf.
Das oft etwas mystisch klingende New Work – hier ist es sehr bodenständig und klar formuliert. Ergebnis sind Transparenz, wechselseitiges Vertrauen und eine positive Arbeitskultur. Nur mit Wertschätzung, Positivität und einer guten Feedback-Kultur schaffe man ein Arbeitsumfeld, welches Freude und Erlebnisse für die Gäste erzeugen kann, erklärt Scharf: „Und genau das suchen die Menschen. Wer, wenn nicht wir, kann ihnen dieses bieten?“