New Work verspricht Wertschätzung, Erfüllung und Teilhabe in der Arbeitswelt (Illu: Adobe Stock / josefmicic)
New Work verspricht Wertschätzung, Erfüllung und Teilhabe in der Arbeitswelt (Illu: Adobe Stock / josefmicic)

New Work - Das neue Arbeiten

New Work – dieser Begriff geistert seit einiger Zeit durch die Arbeitswelt. Es geht um Wertschätzung, Erfüllung und Teilhabe, um mehr freie Zeit und weniger „leben, um zu arbeiten“. Wie geht das mit einer Branche zusammen, die von langen Tagen, wenig Freizeit, unterdurchschnittlicher Bezahlung geprägt ist – und der nichts Geringeres als der personelle Kollaps droht? fizzz mit drei Beispielen für neues Arbeiten in der Gastronomie. 

Text: Jan-Peter Wulf

Dieser Text erschien ursprünglich in fizzz #02-22. Für diese Veröffentlichung wurde er gekürzt und leicht angepasst. Die Printausgabe können Sie hier bestellen.

unfckd, Berlin: Rotationssystem und gleiche Löhne
"unfckd"-Gründerin Laura Schilling und Chief Operator Christian Kästner (Foto: unfckd)
"unfckd"-Gründerin Laura Schilling und Chief Operator Christian Kästner (Foto: unfckd)

Poppig, farbenfroh und undogmatisch: mit dem Unfckd wird ein neues Kapitel veganer Speisekultur aufgeschlagen, bei dem Verzicht keine Rolle spielen soll. Fast Food next level!

So nämlich entstünden weniger schnell Engpässe, falls jemand krank wird – vor allem aber sorge es für Abwechslung und Ausgleich. Zwar setze man die Mitarbeiter schon mit Berücksichtigung der individuellen Talente ein, aber grundsätzlich gilt das generalistische Prinzip. Branchentypische Probleme, Personal zu finden, habe man überhaupt nicht, erklärt Schilling: „Wir sind unfassbar glücklich, dass wir so gute Leute gefunden haben“. Die flache Hierarchie spiegelt sich auch darin wider, dass alle der zurzeit rund 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bis auf die Restaurantleitung das gleiche Gehalt bzw. den gleichen Stundenlohn bekommen. Für einen „proof of concept“ ist es noch zu früh, hat das „unfckd“ doch erst im November 2021 eröffnet – doch der Ansatz der Rotation ist zweifelsohne innovativ. 

einsunternull, Berlin: Vier-Tage-Woche

Nur ein paar Kilometer entfernt befindet sich das Restaurant „einsunternull“. Sterneküche mit regionalem Fokus, bei der viel fermentiert und eingemacht wird, sodass auch in der wachstumsarmen Jahreszeit die „eingefangene Saison“ auf die Teller gebracht werden kann. Auf diesem Level lässt sich freilich nicht rotieren, dafür hat man hier ein anderes New-Work-Modell für sich gefunden: mehr freie Zeit. Seit dem vergangenen Herbst gilt für das Team die Vier-Tage-Woche von Freitag bis Montag. Die zuvor fünf Öffnungstage wurden testweise auf vier reduziert, um die Kapazitäten im Sommer besser auszulasten. 

Man blieb dabei, weil es rechnete und sich positiv auf das Teamwork ausgewirkt hat: „Wir arbeiten ausgeruhter und mit mehr Energie, performen aktiver und beraten besser“, berichtet Küchenchef Silvio Pfeufer. „Es macht uns auch mehr Spaß, wenn das Restaurant ausgebucht ist – als Musiker trittst du ja auch lieber in einem komplett vollen Club auf.“ Drei aufeinander folgende freie Tage sind im Gastgewerbe nach wie vor eine Seltenheit. „Es entschleunigt enorm“, berichtet der junge Küchenchef. Ein Umdenken sei zwingend notwendig, wenn die Branche wieder einen Reiz auf junge Menschen ausüben wolle. Die innovative Vier-Tage-Woche spiele man durchaus als Trumpf beim Recruiting aus. In Zeiten extremer Nachfrage ist sie ein echtes Asset.

fizzz #02-22: Moritz Meyn und Wolfgang Hingerl, fotografiert von Jörg Mette
fizzz #02-22: Moritz Meyn und Wolfgang Hingerl, fotografiert von Jörg Mette
Die Printausgabe
fizzz #02-22

In der Februar-Ausgabe haben wir Moritz Meyn und Wolfgang Hingerl, die Macher der Münchner Mural-Objekte im Porträt. Mit dem Leitsatz "eat local - drink natural" und bald fünf verschiedenen Locations setzen sie stilvoll-lockere Akzente in der Isarmetropole. 

Außerdem im Heft:

  • New Work
  • Spirituosentrends 2022
  • Einblicke ins Frauennetzwerk Foodservice
  • Designtrends
  • und viele weitere spannende Themen!

Gearbeitet wird rund zehn Stunden am Tag, Mehrarbeit wird ausgeglichen. Die Arbeit selbst beschreibt Pfeufer als nun kompakter und  unterstützender. Es wird insgesamt postenübergreifender gearbeitet, was auch die Kommunikation und Kreativität fördere. Wichtig findet er, den Veränderungen Zeit zu geben: „Man muss es über längere Zeit ausprobieren. Wir haben uns ein Modell geschaffen, mit dem wir den Beruf wieder attraktiver machen können.“ Betriebsferien im Sommer und über die Weihnachtszeit wurden im „einsunternull“ in diesem Zuge übrigens auch eingeführt.  

Die Mitarbeiternot vieler Kolleginnen und Kollegen kennt die Mahavi Group kaum. „Wir haben momentan sogar einen Überschuss an Köchen“, sagt Markus Bauer, und stellt zufrieden fest: „Wir stehen wie ein stabiler Leuchtturm.“ Wie sie das geschafft haben?

Gastro Urban, Goslar: Geben und Nehmen
Alexander Scharf,  Geschäftsführer der Gastro Urban GmbH (Foto: Gastro Urban)
Alexander Scharf, Geschäftsführer der Gastro Urban GmbH (Foto: Gastro Urban)

Ein großes, übergeordnetes Thema dabei ist das Trading-up, die Aufwertung von Leistungen mitsamt Erhöhung der Preise – vor dem Hintergrund dauerhaft steigender Branchenlöhne. Scharf ist sich sicher, dass die Steigerung auf beiden Seiten nur dann funktioniert, wenn „noch emotionalere Gasterlebnisse“ erzeugt werden. Es gehe um eine „Übererfüllung der Erwartungen“ der Gäste, so Scharf, um perfekten Service und fachliche Sicherheit. „Geben und Nehmen“ lautet das Prinzip: was die Gastro Urban GmbH ihren Mitarbeitern zu bieten bzw. zu geben hat, wird in einem weiteren öffentlichen Dokument festgehalten: bezahlte Überstunden, Einstiegsboni, Personalrabatte, Freizeitregelungen, finanzielle Anreize für Nichtraucher, aber auch Möglichkeiten der Weiterentwicklung etwa. „Das Nehmen muss man aber auch mitdefinieren“, so Scharf: gleicher Wissens- und Kenntnisstand, Beherrschen der Rezepturen bzw. Speise- und Getränkekarten, drei Teller auf einmal tragen können, Anforderungen an das Erscheinungsbild im Dienst – vieles mag fast selbstverständlich klingen, doch ist es das? „Stillschweigende Erwartungen funktionieren nicht. Du kannst nichts erwarten, was du deinen Leuten nicht kommunizierst“, so Scharf. 

Nach den Corona-Lockdowns ächzt die Gastro-Branche unter zu wenig Personal. Nun starten erste Betriebe eigene ehrgeizige Ausbildungs- und Personaloffensiven.

Das oft etwas mystisch klingende New Work – hier ist es sehr bodenständig und klar formuliert. Ergebnis sind Transparenz, wechselseitiges Vertrauen und eine positive Arbeitskultur. Nur mit Wertschätzung, Positivität und einer guten Feedback-Kultur schaffe man ein Arbeitsumfeld, welches Freude und Erlebnisse für die Gäste erzeugen kann, erklärt Scharf: „Und genau das suchen die Menschen. Wer, wenn nicht wir, kann ihnen dieses bieten?“

fizzz 04/2024

Themen der Ausgabe

Juliane Winkler, Berlin

Juliane Winkler, die Restaurantleiterin des „Nobelhart & Schmutzig“ in Berlin liebt ihren Beruf. Und setzt sich mit
#proudtokellner dafür ein, dass er mehr Wertschätzung erhält.

Aperitivo-Konzepte

Die Aperitif-Kultur ist auf dem Vormarsch – wir zeigen brandaktuelle Gastro-Beispiele.

Le Big TamTam

Der neue Hamburger Food-Markt setzt Maßstäbe − auch bei der Zusammenarbeit der Betreiber.