Der viel gereiste  Sommelier und heutige Wirt spricht mit spitzer Feder Themen aus der Gastro-  und Wein-Szene an,  die ihm persönlich am Herzen liegen
Der viel gereiste Sommelier und heutige Wirt spricht mit spitzer Feder Themen aus der Gastro- und Wein-Szene an, die ihm persönlich am Herzen liegen

Quastenflosser Weintourismus

Peter H. Müller spricht über radelnde Weintouristen.

Keineswegs möchte ich dem Quastenflosser zu nahe treten oder das gute Tier gar beleidigen. Es drängt sich allerdings ein zwingender Vergleich auf zwischen jener Gattung unserer Spezies – über die ich nun berichten mag – und dem rezenten „lebenden Fossil“. Auch beim sogenannten Hohlstachler fragt sich die Wissenschaft, wie dieser Fisch, als Urahn der Landwirbeltiere, es bis heute geschafft hat zu überleben. So auch bei den Silberrücken des Weintourismus, um welche es heute geht.

Diese treten allerdings zumeist in Rudeln auf. Zu Land. In Weinbauregionen. In ihrer Körperform zu groß geratener Kegel sind sie außerdem leicht zu erkennen an ihren rot leuchtenden Wangen und Knollennasen. Aufgrund ihres – in der Gruppe auftretenden – aufgebauschten Selbstbewusstseins, schmücken sie sich in neonfarbenen Radfahrer-Uniformen mit Polsterung am Podex. Diese sieht man häufig im Partnerlook und dermaßen eng anliegend, dass man selbst die Struktur der Äderchen entlang des zierlichen Schaftes des Alpha-Männchens durch deren Stoff erkennen kann. Ihr stets leicht schwankender Gang und, in regelmäßigen Abständen auftretendes, bellendes Gelächter lassen leicht auf sie aufmerksam werden. Einen schnellen Blick erhaschen auf diese vergessen geglaubte Art kann man, wenn sie Rast machen, um auf der Radwanderwegkarte nach der nächstgelegenen kostenfreien Einkehrmöglichkeit zu suchen. Stehend. Mit hochpreisig ausgeliehenen E-Bikes. Mitten in einem Kreisverkehr. Auf einer Bundesstraße.

Entlang der Weingärten ist für Winzer ­höchste Vorsicht geboten, wenn diese zum Beispiel mit Quad und Rückenspritze Brennnesseltee in ihren Rebzeilen spritzen. Denn wenn er nicht gerade mit kleinstmöglicher Trittfrequenz bei höchstmöglicher Unterstützung auf dem E-Bike pirscht, um Unfälle zu verursachen, so kann der gemeine debile Domina­trinker dennoch an jeder Ecke lauern, um, Trauben stehlend, hilflose Winzer in irrelevante, oftmals postfaktische Gespräche zu verwickeln.
Wie Harald Schmidt sagte: Ahnungslosigkeit ist die Objektivität der schlichten Gemüter. Vom Quastenflosser Weintourist wird diese nur zu gerne als Waffe genutzt. Mit jener stets ungesichert im Halfter trifft man sie dann an. Sonntags. Nachmittäglich. Mit einem Fuß in der Terrassentür und erhöhtem Speichelfluss mit leichter Schaumbildung kleben sie an den Wohnzimmerfenstern unbescholtener Familien­weingüter.

Ob man wohl etwas probieren könne. Man sei zu sechst – damit es sich auch rentiere, möglichst viele Flaschen aufzumachen. Man habe durchaus Zeit mitgebracht. Es sei ja schließlich Sonntag – und man ja schließlich im Urlaub hier – des Weines wegen. Man sei ja selbst aus einer Weinregion. Es dürfe ruhig etwas mehr sein. Man wolle den edlen Tropfen schließlich auch erschmecken können. „Der ist jetzt aber gut!“ Ob es wohl auch etwas Brot gäbe. Und Schinken. Und Käse. Und Grissini – ganz viel Grissini. Und vielleicht einen Dip. Man probiere diesen und jenen nochmals nach – das bisschen in der Flasche brauche man ja nicht aufheben. Man müsse nun aber wirklich weiter zum nächsten Weingut. „Super Weine! Wo sind die Toiletten?“ Man müsse noch für ein paar Königstiger. Man könne natürlich dieses Mal nichts mitnehmen. Man sei ja schließlich mit dem Fahrrad da.

Unkaputtbar ist sie, diese faszinierende und einzigartige Unterart unserer seltsamen und doch so herrlich facettenreichen Spezies Mensch. Wichtig, ja gar essentiell für die wertfreie Betrachtung jener speziellen Gattung ist die Erkenntnis, dass sie im Grunde zwar lästig sein kann, im Grunde doch vollkommen harmlos ist – und gerade deswegen fast ein bisschen knuffig noch dazu.

01-24

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

PROFILE

Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

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Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote