Sebastian  Bordthäuser arbeitet als Sommelier, Moderator, Berater und Autor. Als Kolumnist legt er den Finger in die Wunden der Kulinarik.
Sebastian Bordthäuser arbeitet als Sommelier, Moderator, Berater und Autor. Als Kolumnist legt er den Finger in die Wunden der Kulinarik.

Trinkgeld

Der junge Mann war etwas außer Atem, als er mich nach drei Blocks im hochsommerlichen Tokyo eingeholt hatte, um mir das Trinkgeld zurückzugeben, das ich hatte liegen lassen. Ich hatte völlig vergessen, dass Tip in Japan nicht nur nicht gewünscht, sondern eine Beleidigung ist, und der Kellner sich hätte umbringen müssen, hätte er es angenommen. Anders ist es in Kalifornien, wo 18, 20 oder 25 Prozent Tip bei jeder Rechnung bereits zur Auswahl ausgezeichnet sind. Doch wieviel Trinkgeld gebe ich in Norwegen, Thailand oder Holland? Zahle ich es denen das nächste Mal heim, dass sie immer nur Kupfergeld liegen lassen?

Trinkgeld variiert von Land zu Land, wobei die Zufriedenheit des Gastes mit der Leistung über die Höhe entscheidet: Trinkgeld – die kleine Aufmerksamkeit für den netten Abend als Anerkennung. Doch es verläuft ein tiefer Graben zwischen öffentlicher Wahrnehmung und Realität: Trinkgeld ist (ich spreche hier für Deutschland) keine kleine Nettigkeit, sondern ein fixer Bestandteil des Entgelts, der ebenso wie Netto- oder Bruttogehalt und Urlaubstage verhandelt wird. Es macht 30 bis 50 Prozent des Einkommens einer Servicekraft aus, je nach Status im jeweiligen Betriebsgefüge. Da Servicepersonal zum Niedriglohnsektor zählt, ist aus einer vermeintlichen Freundlichkeit ein essentieller Teil der Entlohnung geworden. Ein marodes System, das bereits im Falle der Nichtbeschäftigung ins Wanken gerät. Kollabiert ist es spätestens während Corona. Bei 3000 € netto sind in der Regel 1000 € Tip, bleiben 2000 €. Davon gehen 25 Prozent (steuerfreie) SNF-Zuschläge runter, bleiben 1500 €. Dann kam Kurzarbeit und es ging runter auf 67 Prozent, macht 1000 €. Davon ist schlecht Miete zahlen, auch mit dem Kaviar zum Sol-Ei wird’s eng.

Im § 107 Berechnung und Zahlung des Arbeitsentgelts GewO steht: „Trinkgeld ist ein Geldbetrag, den ein Dritter ohne rechtliche Verpflichtung dem Arbeitnehmer zusätzlich zu einer dem Arbeitgeber geschuldeten Leistung zahlt.“ Das heißt, es wird eine freiwillige Leistung des Kunden integriert in die Vergütung, allerdings ohne den Arbeitgeber in die Pflicht zu nehmen. Gut für den Arbeitnehmer, gut für den Service, denkt man, denn das Trinkgeld ist schließlich steuerfrei. Ist es aber eben nur bedingt: Werden Servicepauschalen berechnet, muss der Tip versteuert werden, ebenso verhält es sich bei Ausschüttungen nach dem Tronc-System, einem großen Topf, aus dem nach einem betriebsinternen Schlüssel unter den Mitarbeitern aufgeteilt wird. Nur wenn das Trinkgeld der persönlichen Beziehung zwischen Gast und Service entspringt und dessen Leistung monetär zusätzlich vergütet, ist der Tip steuerfrei. Und auch nur, wenn er bar gezahlt wird, denn bei Kartenzahlungen gilt Trinkgeld, das immer öfter in Form fixer Pre-Settings auftaucht, als zu versteuernde Betriebseinnahme, für die Lohnsteuer- und Sozialabgabe-Pflicht besteht.

„Geschenke, Kleidung, Hubschrauberflüge –was deutsche Minister dürfen und was nicht“, so stand es letztens im Spiegel. In allen anderen Bereichen ist geregelt, was man annehmen darf. Stecke ich dem Pflegedienstleiter 200 Euro zu, um zu gewährleisten, dass mein Krankenhausaufenthalt angenehm wird, macht der sich strafbar. Und eigentlich ist das richtig. Es ist richtig, Menschen so zu bezahlen, dass sie ihren Job gerne machen. Sie nicht noch um die Gunst des Gastes winseln zu lassen, und sich trotz Tip dennoch selbst um die Rente kümmern müssen, weil ihre Sozialabgaben den Tip eben nicht mit einbeziehen. Man bekäme wahrscheinlich anderes Personal mit anderer Motivation, ihre Arbeit bekäme einen anderen Wert.

Müssen wir Tip also abschaffen und die Leute bloß anständig zahlen? Dann können wir die Preise nicht halten. Preise, die Verbände wie die DeHoGa eben niedrig halten wollen. Letztlich entscheidet der Gast. Der möchte natürlich, dass die Sauen für’s Schnitzel nicht leiden. Kostet das aber nicht mehr 30, sondern 60 €, bleibt er eben weg. Ein Teufelskreis. Eine Regelung müsste verbindlich für die gesamte Branche gelten. Bis das nicht passiert, hat die Angelegenheit eben ein gewisses Geschmäckle.

 

01-24

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

PROFILE

Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

PROBE

Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote