Der Sommelier spricht Themen aus der Gastro-Szene an, die ihm am Herzen liegen.
Der Sommelier spricht Themen aus der Gastro-Szene an, die ihm am Herzen liegen.

Panem et circenses

Teuer darf es sein, bloß kosten darf es nix. Das Paradoxon wird immer größer. Während unzählige Menschen ihr Profilbild mit dem Spruch „gemeinsam schaffen wir das“ schmücken, sind es oftmals genau jene, die an ihren lokalen Geschäften und Wirtshäusern blindlings vorbei fahren. Sie müssen rechtzeitig zuhause sein, um ihre Pakete in Empfang zu nehmen. Sollte dies nicht erwartungsgemäß erfolgt sein, sind sie im Umkehrschluss rechtzeitig zuhause, um sich unverzüglich in den Internet-Foren ihres Vertrauens lauthals in BLOCKBUCHSTABEN zu echauffieren, dass das Amazon Paket schon wieder zwei Tage länger gebraucht hat. Auf Antworten zu jenem Beitrag werfen sie dann, innerlich mit Schaum vor dem Mund masturbierend, wahllos mit beschimpfenden Kommentaren um sich, bevor sie sich, mit der Fresshand eingeklemmt im Familienglas Nutella, vor lauter Palmölvöllegefühl in Rage schlafen.
Kommentare sind übrigens kein Äquivalent zu einem Dialog, sondern vielmehr Logorrhoe, kognitiver Sprechdurchfall und haben keinerlei Wert jeglicher Art für jedweden Beteiligten. „Those who can‘t do, comment.“ - Pandolph.
So sitzen sie in ihren Fertighäusern und verlangen förmlich danach, von großen Konzernen verarscht zu werden. Die kleine Stickerei auf dem Cardigan rechtfertigt doch den dreistelligen Preis, um sich jenes Kleidungsstück über die Schultern werfen zu dürfen. Natürlich ist jedes Smartphone nach drei Monaten veraltet, das neue Modell kostet 30 Prozent mehr, ist dafür jedoch nicht mehr mit voriger Software oder Anschlüssen kompatibel. Ein Glück zahlen die keine Steuern hier. Selbstverständlich kostet ein, über seine bloße Existenz vor Scham zutiefst bestürzter, Fast-Food-Hamburger mehr, als ein neuer Kleinwagen – am Gewicht gemessen. Wo kämen wir denn hin, wenn wir die Industrie hinterfrugen?
Wenn aber die Gastronomen um die Ecke, aufgrund besonderer Vorkommnisse, von Seiten des Staates eine Verringerung des Mehrwertsteuersatzes zugesprochen bekommen, um ihre Angestellten halten zu können sowie ihr Geschäftsleben zu ermöglichen …
Ja dann gehen sie auf die Barrikaden, gebündelt als Stimme des wohlhabenden Bürgers der gebildeten Mittelschicht. Dann werden Foren gegründet und Petitionen ins Leben gerufen, die anklagen, dass der Gast dann gefälligst auch niedrigere Preise erhalten sollte, alles andere Abzocke sei und man nicht „fein damit ist“, dass der Gastronom die übrigen 12 Prozent „einbehalte“. „Fein mit etwas sein“ ist übrigens der größte Murks misslungener Rückübersetzung seit Menschengedenken.
Pah! Gastronomen! Gaukler, Gauner, Halunken und Betrüger!
Kollegen. Ich liebe Euch von ganzem Herzen.

01-24

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

PROFILE

Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

PROBE

Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote