Tim Plasse, Partner beim Beratungs- und Managementunternehmen F&B Heroes
Tim Plasse, Partner beim Beratungs- und Managementunternehmen F&B Heroes

„Eine neue Art von Gastro“

Gastro Digital – Wohin geht die Reise? Ist das sich selbst führende Lokal eine Zukunftsvision – oder schon bald eine Selbstverständlichkeit? Gastro-Pioniere über ihre Erfahrungen, Tipps und Visionen in Sachen Digitalisierung.
#02: Tim Plasse, Gastronom und Coach.

Interview: Barbara Becker

Wie hilft die Digitalisierung im täglichen Gastro-Business, welche Erfahrungen hast Du gemacht?

Tim Plasse: Ich bin überzeugt, dass die Digitalisierung unserer komplexen, anspruchsvollen und emotionalen Branche dabei hilft, sich stärker zu professionalisieren und mit anderen Industrien mitzuhalten. Ich bin außerdem davon überzeugt, dass digitale Technologie und Automatisierung für die Hospitality-Branche denselben umwälzenden und verändernden Effekt haben, wie sie es bereits für unseren normalen Alltag hatten. Nicht wegen der Technologien an sich, sondern weil sie unser Verhalten und unsere Erwartungen verändern. Das gilt für Gäste, Mitarbeitende sowie Gastronominnen und Gastronomen.

Die Veränderungen durch Digitalisierung durchziehen alle Bereiche unserer Arbeit. Sie können aber nicht die Interaktion mit den Gästen am Tisch oder die Kreativität der Küche ersetzen, sondern übernehmen wiederholende, monotone Tätigkeiten und unterstützen durch fehlerfreie Verarbeitung von Daten in Echtzeit, womit sie Transparenz im Datenwust schaffen.

Es ist schwierig, im Dschungel der Versprechungen und Lösungsideen valide und für die jeweiligen Betriebe optimale Produkte zu finden. Die Kluft zwischen Verkaufsversprechen und Realität ist leider oft noch zu groß. Aber auch die Erwartungshaltung der User ist natürlich eine Herausforderung für die Anbieter. Die intuitiven Benutzerführungen von Amazon, Apple und dergleichen haben verwöhnte Kunden aus uns gemacht. 

Die Digitalisierung ist natürlich kein Selbstzweck. Sie dient meiner Meinung nach vor allem dazu, Transparenz für datenbasierte Entscheidungen zu schaffen, Effizienz zu steigern und Mitarbeitende zu entlasten. Und Gästen die Freiheit der Entscheidung zu geben, ob sie digitale Tools oder lieber analogen Service nutzen möchten. Auch wenn wir noch am Anfang der Digitalisierung unserer Branche stehen, bin ich überzeugt, dass der Nutzen sich bereits täglich zeigt. Mehr und mehr werden wir uns wieder auf das konzentrieren können, wofür alle in der Branche angetreten sind: ein großartiges Erlebnis für unsere Gäste zu schaffen.

Was setzt Du an Tools ein und was bringen sie konkret?

Tim Plasse: Hier ein kleiner Auszug: Im Front of House-Bereich setzen wir Self Ordering Lösungen wie SO’USE ein, die schon eine Vielzahl von Kassenintegrationen aufweisen und extrem guten Customer Support bieten. Oder auch QR Code Payment-Lösungen wie billplease, die TSE konform sind und durch die das Trinkgeld für die Mitarbeitenden sogar steigt. Als neuen Ansatz mit AI Unterstützung sehen wir das Reservierungssystem von ALENO. Es lernt durch die User und versteht die Komplexität unterschiedlicher Tisch-Settings je nach Wochentag oder Tageszeit. Im Back of House sehen wir neben Flowtify für HACCP und Prozessmonitoring digitale Kreditorenbuchhaltung wie Cisbox oder Billbox schon quasi als Standard an. Bei den HR-Lösungen halten wir uns gerne an die bekannten Größen wie Gastromatic oder E2N. Das Thema Inventory Management ist meiner Meinung nach noch nicht wirklich gelöst. Keiner will eine Warenwirtschaft einführen oder unterhalten, jeder will nur das Ergebnis daraus. Hoffen wir, dass bald unkomplizierte Lösungen für die Warenwirtschaft auf den Markt kommen.

Wir sehen die Zukunft in Business-Intelligence-Lösungen wie sell & pick oder auch ECHT Gastro Partner, die sich Daten aus den Peripherie-Systemen ziehen, zentral verarbeiten und automatisiert darstellen. Ich behaupte, das Kassensystem spielt zukünftig nicht mehr die dominierende Rolle als zentrales System einer Gastronomie.

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Wie wird sich die Digitalisierung in der Gastronomie Deiner Meinung nach noch entwickeln?

Tim Plasse: Bisher waren viele Lösungen und Produkte auf den Consumer ausgerichtet, wie beispielsweise Bestellplattformen oder Reservierungstools. Ich sehe jetzt eine Verlagerung hin zur Unternehmenssoftware und einen Fokus auf Struktur und grundlegende Back of House-Prozesse. Drei große Themenfelder ergeben sich hieraus:

1. Einkauf und Lieferketten: Einkauf und Lieferketten sind fragmentierte Prozesse in einer unübersichtlichen Systemlandschaft. Waren sind aber die zweitgrößte Kostenposition in der Gastronomie! Hier gilt es, Lösungen zu schaffen für den Prozess vom Handel hin zur Gastronomie und vom Feld hin zum Handel. Es geht um die passende Ware in der benötigten Menge zum geeigneten Zeitpunkt am richtigen Ort. Die aktuellen Lösungen der Einkaufsplattformen oder Warenwirtschaftssysteme schaffen in keinster Weise das Ergebnis, das die Gastronomie benötigt.

2. Mitarbeitende: Das Problem des Personalmangels und allen einhergehenden Prozessen braucht Lösungen, die über die Dienstplanerstellung hinausgehen. Es gilt, alle Touchpoints der Mitarbeitenden mit dem Unternehmen zu lösen. Also vom Einloggen in Systeme bis hin zur Abrechnung und Abmeldung. Die Mitarbeitenden sind quasi auch als Kunde zu sehen und ganzheitlich zu betrachten. Einher geht die Herausforderung, so viele Prozesse wie möglich in der Operative zu automatisieren, damit auch ungelernte Mitarbeitende schnell und einfach integriert werden können oder sich Entlastungen einstellen können. Die Branche ist gefordert, Lösungen für den Umgang mit dem Mitarbeitenden zu finden, denn wir werden ihn nicht beheben können.

3. Neue Art von Gastro: Die Annahme, eine Gastronomie bestehe nur aus einem physischen Standort, wird durch Cloud-Lösungen und Ghost Kitchens in Frage gestellt. Durch Technologie können sogar virtuelle Food Courts geschaffen werden! In der Verbindung von Gastronomie mit Software und damit unter anderem der Verknüpfung von on- und offline liegt die Innovation der „Neuen Gastronomie“. Manifesto (Order und Payment Plattform) oder Dodo Pizza (mit eigener Systemplattform) setzen hier Maßstäbe. Das Verquicken von Software-System und Konzept ermöglicht eine ungekannte Art der Skalierung und neuartige Geschäftsmodelle. Der Einsatz von AI, Augmented Reality, Block Chain, Product Service Systems etc. werden unserer Branche helfen, eine exponentielle Entwicklung zu machen. Transparenz und datenbasierte Entscheidungen lassen uns nachhaltig erfolgreich sein.

Gastro Digital – Wohin geht die Reise? Ist das sich selbst führende Lokal eine Zukunftsvision – oder schon bald eine Selbstverständlichkeit? Gastro-Pioniere über ihre Erfahrungen, Tipps und Visionen. #01: Andreas Steinbeißer von sell & pick.

Woran sollte man bei der Einführung eines digitalen Systems – z.B. hinsichtlich des Teams, etc. – besonders denken?

Tim Plasse: Leider ist es meistens erstmal Aufwand und Mühe. Deswegen fühlt es sich oft frustrierend an, weil die Implementierung eines neuen Systems so viel zusätzliche Energie kostet. Grundsätzlich sollte sich die Frage gestellt werden, wer welchen Nutzen haben soll. Oder anders ausgedrückt: Zahlt das neue Tool auf mehr Umsatz ein, wie z.B. ein gutes Reservierungssystem oder eine Upselling-Lösung? Oder senkt es Kosten wie z.B. durch Food Waste Tracking oder die Automatisierung von HACCP Prozessen? Es geht nur um das Ergebnis. Bringt es mir mehr Umsatz oder senkt es signifikant die Kosten? Die richtige Frage ist also: Was ist das Resultat? Und nicht: Was sind die Features? Es ist wie beim Sport. Jeden Tag ein bisschen Training führt zum Erfolg. Das Ergebnis zeigt sich meistens ca. nach drei Monaten.

Einen Appell möchte ich an die Softwareindustrie und Start-Ups richten: Das Wichtigste ist die User Experience für die, die jeden Tag mit dem digitalen Tool interagieren sollen. Es muss so mühelos und intuitiv sein, dass es keinerlei Erklärung bedarf. Unerlässlich ist außerdem ein herausragender Customer Support. Da verzeiht jeder Anwender auch mal einen Fehler. Genauso kennen wir das ja auch von unseren Gästen…

Matthias Balz, Projektleiter INTERNORGA:

„Getränke sind für den Umsatz im gesamten Gastronomie-Bereich erfolgsentscheidend. Als Trendinkubator versammelt die Internorga zahlreiche Neuheiten und Produkthighlights rund um heiße, kalte und alkoholfreie Getränke unter einem Dach und gibt damit wertvolle Impulse für das eigene Business. Von außergewöhnlichen Drinks über feine Spirituosen bis hin zu Limonaden und Softdrinks finden Besuchende hier die neuesten Trends. Außerdem zeigen wir, wie digitale Anwendungen, beispielsweise durch Robotik oder künstliche Intelligenz, den Betrieb optimieren und für zusätzliche Chancen in einem sich rasant verändernden Marktumfeld sorgen können. Mit neuen Formaten wie der Internorga Open Stage, auf der auch der Fizzz Panel Talk stattfinden wird, wollen wir zudem den Wissenstransfer in der Branche gezielt fördern.“

www.internorga.com

Über Tim Plasse:
Tim Plasse ist mit den vielen Segmenten der Gastronomie seit vielen Jahren vertraut, genau wie mit den Bedürfnissen aller ihrer Beteiligten. Seit der ausgebildete Zimmermann 1999 in Frankfurt den legendären Kingkamehameha Club miteröffnete, hat ihn die Gastro nicht mehr losgelassen. Erfolgreiche Konzepte wie VAIVAI, Sullivan, das Café Hauptwache oder das Beyond am Frankfurter Flughafen folgten. Mit seinen Konzepten, die er gemeinsam mit Partnern entwickelt, umgesetzt und betrieben hat, hat er die Gastronomie in Frankfurt bis heute geprägt. Seine Schwerpunkte als Partner beim Beratungs- und Managementunternehmen F&B Heroes: digitale Vernetzung, Bau und Immobilienentwicklung, Gastronomie der Zukunft. www.fbheroes.de

fizzz 04/2024

Themen der Ausgabe

Juliane Winkler, Berlin

Juliane Winkler, die Restaurantleiterin des „Nobelhart & Schmutzig“ in Berlin liebt ihren Beruf. Und setzt sich mit
#proudtokellner dafür ein, dass er mehr Wertschätzung erhält.

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Der neue Hamburger Food-Markt setzt Maßstäbe − auch bei der Zusammenarbeit der Betreiber.