Wo bestellt der Kunde: Bei Lieferando oder beim Gastronomen direkt? Das ist nicht immer eindeutig zu erkennen. (Foto: AdobeStock)
Wo bestellt der Kunde: Bei Lieferando oder beim Gastronomen direkt? Das ist nicht immer eindeutig zu erkennen. (Foto: AdobeStock)

Delivery-Spezial: Lieferando und die Schatten-Websites

In Zeiten der maximalen Abhängigkeit von Order-Plattformen wird eine fragwürdige Lieferando-Praxis publik. Sogenannte Schattenwebsites führen dazu, dass noch mehr Kunden über Lieferando statt über die Restaurant-eigene Website bestellen. In jedem dieser Fälle werden für den Gastronomen 13 % Provision fällig. Was ist da los?

Man könnte meinen, die Gastronomie hat dieser Tage Besseres zu tun, als sich mit technischen und vertraglichen Spitzfindigkeiten zu befassen und sich mit seinem Delivery-Partner zu streiten. Leider kriselt es in der Beziehung zwischen den beiden Partnern aber seit einer ganzen Weile. Spätestens seitdem die Gastronomie komplett auf das Mitnahme- und Liefergeschäft angewiesen ist, wird vielen Betreiberinnen und Betreibern bewusst, dass das Delivery-Modell für Restaurants in guter Lage mit entsprechender Pacht nur als sinnvolles Zusatzgeschäft, nicht jedoch als geschäftliche Grundlage funktioniert. Die Klage der Gastronomen über die hohen Provisionen der Plattform-Anbieter werden wiederum mit weiterhin negativen Gesamtbilanzen von Lieferando & Co. gekontert. Sprich: So richtig glücklich wird in der Beziehung derzeit niemand.

Für einen handfesten Ehestreit sorgte nun in diesem Frühjahr allerdings eine Praxis des Marktführers Lieferando, die Recherchen des BR zutage gefördert haben. Diesen Recherchen zufolge hat der niederländische Mutterkonzern Just Eat Takeaway.com allein in Deutschland rund 50.000 Restaurant-Websites für seine Kunden angemeldet, bis zu sechs verschiedene für ein Restaurant. Diese sogenannte Schatten-Websites tragen dann ähnliche Namen wie die Original-Website, sind aber häufig besser SEO-optimiert als diese und erreichen daher bei der Onlinesuche eine bessere Sichtbarkeit und Platzierung. Die Folge: Kunden, die ganz gezielt nach einem Restaurant suchen, um direkt auf der Website zu bestellen, werden auf dem Weg dorthin gewissermaßen auf das Lieferando-Gleis umgeleitet. Mit dem Effekt, dass die Restaurant-Inhaberin oder der Pizzabäcker 13 % Provision abdrücken müssen.

Die Aufregung ist seit Bekanntwerden dieser Praxis groß. Die Verwunderung bei Brancheninsidern allerdings auch. Und zwar in erster Linie darüber, dass dieses Vorgehen erst jetzt breiter bekannt wurde. Denn glaubt man etwa Moritz Heininger, Co-Founder der Reservierungs- und Order-Plattform DiscoEat existieren solche Schatten-Websites schon fast seit zehn Jahren.

Was sagen die Beteiligten und was können die Gastronomen nun tun?

„Restaurants konkurrieren miteinander, auch auf Onlinekanälen wie Suchmaschinen. In diesem Wettbewerb sind große Gastronomieketten durch optimierte Bestellseiten und hohe Mediabudgets im Vorteil“, verteidigt Oliver Klug, Senior Communications Manager bei Lieferando, das Vorgehen des Marktführers. „Unsere Partnerseiten helfen insbesondere unseren kleinen Restaurantpartnern im Wettbewerb. Die meisten Gastronomen freuen sich über diesen inbegriffenen Zusatzservice, da er ihnen zusätzliche Umsätze verschafft ohne die Mehrkosten entsprechender Mediabudgets.“

Doch diese Robin-Hood-Rolle will dem Unternehmen nicht jeder abnehmen: „Lieferando verkauft sich als digitaler Berater kleiner Restaurants. Man könnte auch sagen, hier wird die digitale Unkenntnis einzelner Betreiber ausgenutzt, denn bei großen Ketten gibt es die Praxis wohl nicht“, sagt ein Gastronom, der ungenannt bleiben möchte. „Die meisten unserer Gastronomen betreiben entweder gar keine eigene Website oder bieten auf dieser keine Bestell- und Zahlungsoption“, ergänzt Oliver Klug und macht darüber hinaus auf Beispiele wie das „Kuchi“ in Berlin-Mitte aufmerksam, die die Besucher von der eigenen Website freiwillig auf die Lieferando-Partnerseite dirigieren.   

Zeitweise landeten die Nude-Fans statt auf dieser Restaurant-Website auf einer Schatten-Website von Lieferando.
Zeitweise landeten die Nude-Fans statt auf dieser Restaurant-Website auf einer Schatten-Website von Lieferando.

All das ändert nichts daran, dass viele Lieferando-Kunden irritiert bis verärgert sind. Daniel Debus aus Augsburg ist einer von ihnen. Dabei findet er die Idee von Lieferando eigentlich sehr gut. „Die Seite ist für den Besteller sehr einladend und praktisch. Sie hilft neue Gäste zu gewinnen“, sagt der Gründer und Geschäftsführer der Healthy-Food-Formel „Nude Food“. Seitdem er mitbekommen hat, dass Lieferando unter „augsburgnude.de“ eine Schatten-Website angemeldet hatte, hat seine Begeisterung allerdings etwas nachgelassen. „Stammgäste von einem Restaurant abzuziehen, die bewusst genau dort bestellen möchten, ist frech und alles andere als partnerschaftlich“, sagt er.

Doch ist das Ganze nur moralisch oder auch rechtlich bedenklich? Wie kommen diese Websites überhaupt zustande?

Aus Sicht von Lieferando sind diese Präsenzen ein vertraglich geregelter, klar kommunizierter und den Umsatz steigernder Service. „Der Service ist vertraglich geregelt“, erzählt Oliver Klug von Lieferando, „er wird sowohl im Anmeldeformular (inklusive Opt-Out-Option) angeführt, als auch in den AGBs auf Seite 1 sowie im Vertrag, sofern der Gastronom den Service nicht abgewählt hat. Zudem wird er im obligatorischen Anmeldegespräch erklärt, sowie jederzeit auf Nachfrage.“ Der betroffene Gastronom Daniel Debus hingegen sagt: „Nein, der Service wurde in keinem Anmeldegespräch thematisiert.“ Warum haben er und andere Gastronomen den „Service“ bei Vertragsunterzeichnung nicht einfach abgewählt, wenn dies so transparent und einfach möglich ist? Vielleicht liegt es an der Art und Weise, wie die Sache sprachlich verpackt wird. Die sieht nämlich folgendermaßen aus:

Der "Schatten-Website-Passus" im Lieferando-Anmeldeformular
Der "Schatten-Website-Passus" im Lieferando-Anmeldeformular

„Ich möchte keine kostenlose Domain erhalten, durch die meine Kunden noch schneller bestellen können und welche durch Lieferando registriert und verwaltet wird.“

Ein Schelm, wer hinter dieser Formulierung Böses ahnt. Rechtlich mag dies einwandfrei sein, allerdings werden die möglichen Folgen für die Gastronomen so maximal verschleiert. Ebenso könnte der Passus heißen: „Ich möchte keine kostenlose Domain erhalten, auf der Kunden landen können, die eigentlich meine eigene Website suchen, mit der Folge, dass ich 13 % Provision an Lieferando zahlen muss.“

Das Vorgehen wirft insgesamt kein gutes Licht auf Lieferando und zerstört Vertrauen in einer Zeit, in der die Gastronomie stärker denn je auf eine partnerschaftliche Zusammenarbeit angewiesen ist. An anderer Stelle, das sei fairerweise ebenfalls erwähnt, unterstützt Lieferando seine Kunden mit einem Corona-Hilfspaket, das u.a. die Provision für Selbstabholer ausgesetzt hat und zudem temporäre Rabatte gewährt.

Daniel Debus‘ Schatten-Website ist inzwischen abgeschaltet. Wer diesem Beispiel folgen möchte, kann Lieferando jederzeit per Opt-out-Option dazu auffordern, dies zu veranlassen.

(Text: Benjamin Brouër) 

Weitere Artikel im Delivery-Spezial: 
> "Ein Markt mit extrem dünnen Margen" - Interview mit Moritz Heininger (DiscoEat)
> Was will Wolt?
> Das rät der DEHOGA

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fizzz 04/2024

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