Die Riesling-Stilfrage

Mosel, Rheingau, Nahe, Rheinhessen und die Pfalz standen auf dem Programm

Spätestens rund um die Vorpremiere der Großen Gewächse der VDP.Prädikatsweingüter in Wiesbaden kocht sie hoch. Die Riesling-Stilfrage. Wie sollte ein typischer Rheingau-Riesling schmecken? Wie einer von der Mosel? Wie prägend muss oder darf die Handschrift des Winzers sein? Ist die Herkunft schmeckbar? Welche stilistischen Trends sind im Sinne der bestmöglichen Qualität wegweisend? Anders ausgedrückt: Muss ein Pfälzer Riesling anders an- und ausgebaut werden, um das Maximum an Qualität und Ausdruck herauszukitzeln, als einer von der Nahe? Stichworte Süße, Säure, BSA, Holz, Spontangärung und so weiter. Die ganze Klaviatur eben.

Auf den Versuchsaufbau hatten wir uns schnell verständigt. Beide Initiatoren der Probe nominierten aus den fünf maßgeblichen deutschen Rieslinganbaugebieten (von Nord nach Süd: Mosel, Rheingau, Nahe, Rheinhessen, Pfalz) jeweils drei stilprägende Weine. Nicht zwingend die drei besten des Gebietes, aber möglichst drei unterschiedliche Ausdrucksweisen und Handschriften, die in ihrer Art als erstklassig anzusehen sind. Die Wahl wurde zur Qual: Drei sind verdammt wenig. Drei Pfälzer Rieslinge, wenn sich sechs oder gar sieben Betriebe nahezu auf Augenhöhe bewegen. Nur als Beispiel.

Am Ende standen also 30 Weine, die nicht zwingend von VDP-Betrieben stammen mussten, auf dem Verkostungstisch. Kein Weingut sollte doppelt vertreten sein, bei Überschneidungen wurde ein neuer Kandidat nachnominiert. Die 30 Weine waren vor der Verkostung bekannt, nicht aber die Reihenfolge. Sowohl Dirk Würtz als auch ich benannten drei „Sekundanten“, die ebenfalls an der Verkostung teilnahmen. Die neunte im Bunde war Janina Wilsch aus der Redaktion.

Am Ende waren – wie zu erwarten – viele Vorurteile widerlegt. Beispiel Weingut Schäfer-Fröhlich. Tim Fröhlich wird immer wieder von einigen Unbelehrbaren nachgesagt, seine GGs schmecken alle ähnlich, die Handschrift sei zu stark ausgeprägt. In unserem Praxistest hatte allerdings jeder zuvor bereits mindestens zwei Weine der vermeintlichen Handschrift von Tim Fröhlich zugeordnet, ehe tatsächlich der Felseneck ins Glas kam. Allen voran – und das war keine Überraschung – Niederberg-Helden von Schloss Lieser, den acht der neun Verkoster an der Nahe verorteten. Mit den Drehern Mosel/Nahe war natürlich zu rechnen. Das Terroir auf den Schieferböden in oberen Nahetal ist bekanntlich dem an Mosel und Saar recht ähnlich. Mit anderen Worten ein verzeihlicher Fehler.

Gebietscharakter: Pfalz überraschend vorne

Fast schon als Sensation zu werten ist die Tatsache, dass die sechs Pfälzer Rieslinge am deutlichsten der Region zugeordnet werden konnten. Bei fünf der sechs Weine erkannten mindestens fünf der neun Verkoster die Pfälzer Herkunft, darunter der in seiner Individualität sehr markante Buntsandstein von Odinstal, der von fast allen Verkostern identifiziert wurde. Einzige Ausnahme: „Ganz Horn“ im Sonnenschein von Rebholz, der von sieben Teilnehmern dem Rheingau zugeschanzt wurde. Niemand in der Runde tippte auf Pfalz, weil der Wein mit seiner schlanken Art nicht dem Klischee eines Pfälzer Rieslings entsprach.

Per Zufall hatten Dirk Würtz und ich gleich drei Rheingauer Rieslinge mit markantem Holzeinsatz ausgewählt (St. Nikolaus von Kühn und Spreitzer, Wisselbrunnen von Barth). Holz als Stilmittel ist nun einmal wesentlich markanter als jede Bodencharakteristik, das zeigte die Verkostung sehr deutlich. Dass alle drei aus dem Rheingau stammten war vielleicht eine kleine Schwäche des Versuchsaufbaus. Die (richtige) Zuordnung erfolgte in diesem Fall über die Handschrift und nicht über die Herkunft. Es wäre sicher interessant gewesen, ein Großes Gewächs von Von Winning dabei zu haben. Dazu kam noch der unverwechselbare Nussbrunnen von Ress, der von allen neun Verkostern erkannt wurde. Bei den beiden restlichen Rheingauern sah es anders aus. Besonders krass beim Gräfenberg, der vermutlich aufgrund seiner strukturierten Art gleich sechsmal in Rheinhessen verortet wurde.

Auch im Fall der Nahe konnten zwei Weine klar zugeordnet werden: Tim Fröhlichs Felseneck und das Goldloch von Joh. Bapt. Schäfer. Beim Steinberg von Gut Hermannsberg wurde die Herkunft viermal erkannt, fünfmal lenkte vielleicht der Porphyr die Verkoster auf die falsche Spur Richtung Rheinhessen. Das war übrigens bei vielen Weinen zu beobachten: Oftmals verteilten sich die Tipps auf zwei Herkünfte, weil die Weine Charakteristika aufwiesen, die ganz offensichtlich viele am Tisch mit diesen Gebieten assoziierten. Nicht immer war die richtige Herkunft dabei. Beim Burgberg von Diel verleitete die ausgeprägte Mineralität gleich achtmal zur falschen Annahme Mosel. Dummerweise kam die rauchige Salzigkeit und steinige Würze vom Quarzit und nicht vom Schiefer. Bei Dönnhoffs Dellchen lotste das Zusammenspiel von Frucht und griffiger Stoffigkeit fünf Teilnehmer Richtung Rheinhessen.

Fehlen noch zwei Gebiete. Dass Rheinhessen nicht leicht über einen Gebietscharakter zu verorten sein würde, war fast zu erwarten und bestätige sich bei der Verkostung. Da die ausgewählten Winzer auch die Handschrift eher maßvoll dosieren und den Weinen mehr Eleganz verliehen haben, greifen hier die alten Rheinhessen-Schubladen nicht mehr. Bei keinem Wein wurde von mehr als zwei Verkostern die Herkunft Rheinhessen erkannt. Zu unterschiedlich sind einfach die Terroirs am roten Hang, rund um Westhofen, in der rheinhessischen Schweiz und ganz im Süden Richtung Zellertal. Nur bei einem Wein gab es eine wirklich klare Tendenz: Der Frauenberg von Battenfeld- Spanier wurde gleich sechsmal in die Pfalz verlegt. Ebenfalls nachvollziehbar ist das Ergebnis bei Gunderlochs Rothenberg: Neben zweimal Rheinhessen wurde je dreimal Nahe (wegen der ausgeprägten Mineralität und Frische) und Rheingau (wegen der Fruchtausprägung) vermutet. Ein sehr gutes Beispiel für eine wichtigste Erkenntnis der Probe: In den Köpfen sind mit jedem Gebiet bestimmte Attribute verbunden und über die herrscht sogar weitgehender Konsens in Fachkreisen. Erfüllt ein Wein diese, wird er automatisch in die Gebietsschublade gesteckt.

Ein Paukenschlag ist allerdings, wie schwer es allen fiel, die Mosel zu erkennen. Klingt absurd und nach einer Ansammlung von verkostungstechnischer Inkompetenz, was meine Mitstreiter und ich jedoch weit von uns weisen. Doch wie ist das Ergebnis zu erklären? Ok, Niederberg Helden wurde, wie bereits geschrieben, achtmal der Nahe und mehrheitlich Schäfer-Fröhlich zugeordnet. Wäre der echte Felsenberg früher in der Verkostungsreihenfolge aufgetaucht, wäre dieser Fehler vermutlich ausgeblieben. Julian Haarts Goldtröpfchen wurde sechsmal dem Rheingau zugeordnet. Ergibt ein Lehrmeister aus Rheinhessen (Klaus-Peter Keller) und ein klassisches Moselterroir unter dem Strich eine Handschrift, die an Rheingau erinnert? Vorstellbar. Schwerer zu erklären ist, dass von Schuberts Abtsberg fünfmal für einen rheinhessischen Riesling gehalten wurde (Ich wasche in diesem Fall meine Hände in Unschuld).

Wer hat die stärkste Handschrift? Wer am meisten Struktur?

Ferner baten wir alle Teilnehmer, bei den 30 Weinen anzugeben, wie stark Herkunftscharakter, Handschrift, Fruchtausprägung und Struktur ausgeprägt sind. Die nach Meinung der Verkoster am stärksten herkunftsgeprägten Weine der Probe waren Morstein von Wittmann, Felseneck von Schäfer-Fröhlich sowie Niederberg- Helden von Schloss Lieser und Burgberg von Schlossgut Diel.

Widersprechen sich starke Handschrift und Herkunftscharakter? Spreitzers St. Nikolaus und der Buntsandstein von Odinstal sprechen für diese Annahme, beide gehörten zu den Weinen mit den höchsten Werten bei Handschrift und den geringsten Werten für Herkunftscharakter. Das Gegenbeispiel zu dieser These ist der Niederberg-Helden, der auch mit die höchsten Werte für die Stärke der Handschrift erhielt. Eine prägnante Signatur des Winzers wurde auch dem Halenberg von Emrich-Schönleber, dem Wisselbrunnen von Barth und natürlich dem Nussbrunnen von Ress attestiert.

Interessante Erbegnisse liefert die Einschätzung der Fruchtintensität. Frucht gleich Pfalz, sollte man denken. Am Tisch assoziierten jedoch ganz offensichtlich viele Teilnehmer der Probe Frucht mit dem Rheingau. Zu den vier Weinen mit besonders starker Fruchtausprägung gehörten Julian Haarts Goldtröpfchen und der Ganz Horn von Rebholz. Beide Weine wurden von der Jury ebenso fälschlich wie übereinstimmend dem Rheingau zugeordnet.

Struktur durch großes Holz

Als besonders strukturiert wurden sechs Weine empfunden: Steinberg von Gut Hermannsberg, Halenberg, Niederberg-Helden, Nussbrunnen, Idig und Pechstein. Sie verteilen sich auf vier verschiedene Anbaugebiete und ebenso unterschiedliche Böden und Ausbauarten, wenngleich meist eine Spur gebrauchtes Holz im Spiel ist. Holzfass als Struktur-Boost ist keine Überraschung, allerdings offensichtlich nur, wenn keine Neuholzaromatik diesen Effekt überlagert.

Zu guter Letzt sollte auch der „Sex-Appeal“ bewertet werden, wir hätten es Trinkanimo oder Lustfaktor nennen können. In diese Frage ragte eine Region ganz klar heraus: Von den sieben Rieslingen mit dem größten Sex-Appeal stammten vier von der Nahe (Burgberg Diel, Goldloch Joh. Bapt. Schäfer, Halenberg Emrich-Schönleber und Felseneck Schäfer-Fröhlich), dazu noch der Niederberg-Helden von Schloss Lieser, den acht der neun Verkoster für einen Nahe-Riesling hielten. Dazu gesellten sich Klaus-Peter Kellers Morstein und der Pechstein 2014 von Dr. Bürklin Wolf.

Am Ende der Probe stand wieder einmal die Gewissheit, dass die Herkunft im Sinne von Boden, Mikroklima und geografischer Lage sehr schwer zu identifizieren ist. Zwei Thesen machten die Runde: Wären Gutsweine in einer verdeckten Probe leichter dem Anbaugebiet zuzuordnen als trockene Weine aus großen Einzellagen? Wird es mit etwas Reife von drei oder vier Jahren leichter, die Herkunft der Weine zu identifizieren? Wir werden es testen. ss

An der Probe teilgenommen haben: Richard Grosche, Janina Wilsch, Kai Schätzel, Julian Haart, Tim Fröhlich, Jochen Becker-Köhn, Wilhelm Weil, Dirk Würtz, Sascha Speicher

01-24

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

PROFILE

Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

PROBE

Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote