Aus einer Schublade

Peter H. MüllerEs gab eine Zeit, in der es für den Herrn Mode war, rosa zu tragen. Auffallend großflächig rosa. Im extremen Fall im Schwedenlook mit Segelschuhen und hellblauem Cardigan. Männer aller Altersklassen und sozialen Schichten trugen rosafarbene Polos, fliederfarbene Hemden oder pinke Shorts.
 
Zu dieser Zeit schmeckte ein Chablis wie ein Chablis. Anders gesagt; ein Chablis schmeckte so, wie die Menschen sich vorstellten, dass ein Chablis zu schmecken habe. Zu dieser Zeit antwortete der Sommelier dem Gast, der nach einer Empfehlung für Roséwein frug, mit „Anderes Restaurant“ und man brüstete sich als Fachkollege damit, keinen Rosé oder nur einen für die Warmduscher auf der Karte zu haben. Zu dieser Zeit sagte man das so. Rosé, das war belächeltes Beiwerk und Resteverwertung bei der Weinbereitung. Das war jenes Getränk für den Gast, der nicht recht wusste, was er sucht, sowie für den, der sich lieber auf ein Weinchen, anstatt auf einen ausgewachsenen Wein einlassen wollte. Oftmals zu Recht. Oftmals noch heute.
 
Zu dieser Zeit, als Unmengen von Männern sich rosa kleideten, konnte ich jene modische Bewegung weder ausstehen noch nachempfinden. Nichtsdestotrotz, damals wie heute, gefühlte zehn Jahre später, gibt es immer wieder einen Kerl, bei dem man sich denkt: „Ok. Der kann das tragen. Das ist stimmig. Das sieht cool aus.“ Genauso ist es in der Weinwelt.
 
Wenn Karl-Heinz Wehrheim sagt: „Riesling ist Riesling, ist Unsinn“, so lässt sich das auf jede Weinfarbe, Rebsorte und Herkunftsbezeichnung projizieren. In jeder Weinbauregion dieses Planeten gibt es unglaublich viel Schund und viel Gutes dazwischen verborgen. Es gibt sie alle; den stilvollen Soave, den Kerner mit Charakter und den Rosé aus der Provence, dessen Ernsthaftigkeit kein Weinkenner bestreiten kann. Es ist die Aufgabe des Sommeliers, diese zu finden. Reife Rosados aus der Rioja, oxidative Rosatos aus Sizilien, im Barrique ausgebaute Querköpfe von Weißherbst, engmaschige Roséweine aus dem Roussillon. All jene können, Gäste begeisternd, als Speisenbegleiter glänzen und positiv irritieren. Sich als Sommelier einer ganzen Weinfarbe zu verschließen, ist schlicht und ergreifend Humbug. 
 
Schluss mit „Schubladisierung“!

01-24

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

PROFILE

Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

PROBE

Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote