Australien und Neuseeland mit kühlem Fokus

Australien bietet heute deutlich mehr als Shiraz... (Foto: Kwest/stock.adobe)
Australien bietet heute deutlich mehr als Shiraz... (Foto: Kwest/stock.adobe)
... und Neuseeland mehr als Sauvignon Blanc. (Foto: Kushnirow/stock.adobe)
... und Neuseeland mehr als Sauvignon Blanc. (Foto: Kushnirow/stock.adobe)

Australien und Neuseeland haben sich mit der Qualität ihrer Weine längst einen hervorragenden Ruf erobert. Dabei denkt man bei Australien immer noch unwillkürlich an Shiraz und Cabernet Sauvignon, bei Neuseeland vor allem an Sauvignon Blanc. Für »Ausgabe 06/2022 von MEININGERS WEINWELT schaut Christoph Raffelt nach Australasien und findet dort in kühleren Regionen Chardonnay und Pinot Noir. Die Ergebnisse unserer Redaktionsverkostung der coolen Spitzen-Gewächse finden Sie hier.

Text: Christoph Raffelt

In beiden Ländern haben die beiden eleganten, klassisch burgundischen Sorten Chardonnay und Pinot Noir nicht nur aufgeholt – sie sorgen vielmehr für einige der interessantesten und entdeckungswürdigsten Exemplare, die man heute international finden kann. Die beiden Weinbauländer Australien und Neuseeland werden gerne in einem Atemzug genannt. Kein Wunder, denn sie liegen weit entfernt im Pazifik und sind Nachbarstaaten – auch wenn die beiden Hauptstädte ziemlich genauso weit voneinander liegen wie Berlin und Lissabon. Beide Gebiete wurden ab dem 17. Jahrhundert von Europäern besiedelt und die Kolonialisten brachten jeweils Rebstöcke mit, wie es für christliche Eroberer in allen Teilen der Welt üblich war. Doch damit enden die Gemeinsamkeiten weitgehend. Während sich der australische Weinbau kontinuierlich entwickelte, setzte sich in Neuseeland die Prohibition durch, die den Weinbau im Wesentlichen vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1960er Jahre schachmatt setzte. Er musste in gewisser Weise neu erfunden werden. Ab den 1970er Jahren setzen die Winzer auf Sorten aus Frankreich und so wurden vor allem Chardonnay, Pinot Noir und Sauvignon Blanc gepflanzt. Mit dem Sauvignon Blanc von Cloudy Bay begann Ende der 1980er bekanntermaßen der internationale Erfolg des neuseeländischen Weines. Er wurde so erfolgreich, dass sein Ruf ab den 2000ern den des ungleich größeren Nachbarkontinents zunehmend überflügelte und die Australier immer mehr Weine aus Neuseeland importierten. Neuseeland erzeugte damals schon vor allem frische, klare, so genannte Cool Climate Weine, während Australien vor allem auf Kraft, Konzentration und Opulenz setzte. Das passt nicht mehr zum sich verändernden Essverhalten mit einer immer frischer und leichter werdenden Küche. Diese kühl wirkenden Weine mit Säurestruktur liefen den buttrigen und konzentrierten Weinen im Barossa-Stil den Rang ab. Doch mittlerweile hat Australien stark aufgeholt.

Die Cool Climate Region Nelson auf der Südinsel Neuseelands (Foto: Christoph Raffelt)
Die Cool Climate Region Nelson auf der Südinsel Neuseelands (Foto: Christoph Raffelt)

50 JAHRE CHARDONNAY

Die offizielle Geschichte des Chardonnays begann in beiden Ländern vor rund 50 Jahren. In Australien wird 2022 sogar ganz offiziell der 50. Geburtstag gefeiert. Kein geringerer als der Winemaker Murray Tyrrell, dessen Weingut einige der berühmtesten Weißweine Australiens hervorbringt, soll eines Nachts über den Zaun des Penfolds Pokolbin Vineyard im Hunter Valley gesprungen sein, um dort einige Chardonnay-Reiser zu entwenden, die er dann vervielfältigte, um 1972 seinen ersten reinsortigen Tyrrell’s Chardonnay VAT 47 zu veröffentlichen – ein Wein, der auch heute noch zu den besten seiner Art gehört, die man in Australien bekommen kann.

VON DER BUTTRIGEN ZUR FRISCHEN STILISTIK

Wie stark sich die Stilistik der Aussie-Chardonnays im Laufe der Zeit geändert hat, kann man dabei am besten an einem der wichtigsten Markenweine Australiens ablesen – dem Penfolds Koonunga Hill. 20 Jahre zurück war das noch ein dichter, buttriger Chardonnay, der geprägt war von Holz, Vanille, großzügiger reifer Frucht und Dichte. Heute präsentiert der Wein den neuen Stil Australiens mit mehr Frische, Klarheit, deutlich reduziertem Holzeinsatz und eher zitrischen Noten. Mit diesem Stilwechsel haben sich in Teilen auch die Herkunftsgebiete verändert. Entscheidend sind heute kühle Verhältnisse, die entweder durch die Nähe zum Pazifik und den Einflüssen von kühlen Meeresströmungen zustande kommen, oder durch Höhenlagen. Zu den führenden Anbaugebieten gehören neben den Adelaide Hills Teile von Canberra, Orange und Tumbarumba in New South Wales, sowie das Yarra Valley, Mornington Peninsula, Beechworth, die Macedon Ranges und Geelong unweit von Melbourne in Victoria. Tendenziell dominieren dort Noten von Melonen, Zitrusfrüchten und Feigen. Der Chardonnay profitiert von der außergewöhnlichen natürlichen Säure, die das kühle Klima hervorbringen kann und bietet eine feste Struktur. Doch auch wärmere Gebiete wie das Hunter Valley und vor allem Margaret River im Westen haben sich zu First-Class-Gebieten entwickelt. Weingüter wie die in Margaret River angesiedelten Leeuwin, Cullen oder Vasse Felix sind für ihre Weine heute weltbekannt und erzeugen Chardonnays mit reifer, teils exotischer Frucht, einer großen geschmacklichen Tiefe und runden Textur, wo der reifere Stil trotzdem mit Eleganz, Frische und Mineralität gepaart wird.

ÜBER TASMANIEN NACH NEUSEELAND

Eine Brücke zum Nachbarn Neuseeland bildet Tasmanien. Die vorgelagerte Halbinsel ist ähnlich wie Neuseeland kühlen antarktischen Strömungen ausgesetzt. Ohne vor Kälte und Regen schützende Gebirgszüge wäre Weinbau dort nicht möglich. Heute entstehen dort einige der feinsten, druckvollsten und lebendigsten Schaumweine, Pinot Noirs und Chardonnays Australiens. Auch in Central Otago, dem südlichsten Weinbaugebiet Neuseelands, ist Weinbau nur durch dieschützenden Berge möglich. Südlich heißt, dass es dort deutlich kühler und regenreicher ist als im Norden von Neuseeland, wo man mit Kumeu das älteste und vor allem bekannteste Chardonnay-Weingut findet. 

Martinboroughs große Winzerin: Helen Master vom Weingut Ata Rangi (Foto: ???)
Martinboroughs große Winzerin: Helen Master vom Weingut Ata Rangi (Foto: Christoph Raffelt)

Auch wenn es in den 1950ern und 1960ern einige erste Versuche mit reinsortigem Chardonnay gab, so waren vor allem die ersten Weine von Nick Nobilo in Kumeu um 1973 so etwas wie Initialzündungen. Es sollte jedoch noch bis in die Mitte der 1980er Jahre dauern, bis in Neuseeland der heute prägende Stil entstand. Er zeichnet sich dadurch aus, dass die Trauben nicht allzu spät gelesen werden, dass kein zu stark getoastetes, französisches Holz verwendet wird und man eher auf Puncheons, also 500 bis 600 Liter umfassende Fässer, statt der kleinen Barriques setzt. Zudem werden Ganztrauben mit Stilen und Stängeln gepresst, um mehr Struktur und Frische zu erhalten. Es gibt ein weiteres typisches Merkmal für den neuseeländischen Chardonnay: Ein kleinbeeriger, intensiver und durchaus säurebetonter Klon namens Mendoza. Unterscheiden tun sich die Weine je nach Weinmacher und Weingut natürlich trotzdem ganz erheblich. Nicht zuletzt wegen der unterschiedlichen Klimata und Böden. Im Norden (Northland, Auckland, Hawke’s Bay) ermöglicht das warme Klima eine späte Reife und bringt Weine hervor, mit fruchtigen Noten von Melone, Feige und Steinfrucht, ergänzt durch Zitrusfrüchte. Auf der Südinsel (Nelson, Marlborough, North Canterbury und Central Otago) werden die Chardonnays straffer und feiner strukturiert, mineralisch und hell mit mehr Zitrusfrucht und Steinobst. Die Vielfalt der Weine, die in Neuseeland nur sechs Prozent der Gesamtproduktion einnehmen, während Australiens Chardonnay für 16 Prozent verantwortlich ist und rund 44 Prozent der gesamten Weißweinproduktion ausmacht, ist ebenso beeindruckend wie der steile Qualitätsanstieg der Weine. Zu Beginn wurden die Reben vor allem im Flachland gepflanzt, wo vorher primär Apfelbäume standen. Doch im Flachland findet sich alluviales Schwemmland. Gut für Sauvignon und Cabernet, aber nicht für Chardonnay und Pinot. Der wird seit gut anderthalb Jahrzehnten überwiegend in den Hügeln gepflanzt, wo es Kalkmergel gibt und sich die Qualität der Weine seitdem schlagartig verbessert hat.

PINOT NOIR – FAST AUS DEM NICHTS ZUR WICHTIGSTEN ROTEN REBSORTE NEUSEELANDS

So, wie die Geschichte des australischen Chardonnays in gewisser Weise mit Murray Tyrrells beherztem Griff in Penfolds Weinberge begann, geht ein Teil der neuseeländischen Pinot Noir-Geschichte ebenfalls auf einen Diebstahl zurück. Der geschah im burgundischen La Tache-Weinberg der berühmten Domaine de la Romanée Conti. Es war Ende der 1970er und der Dieb versuchte, den Reiser damals unbemerkt durch den Neuseeländischen Zoll zu bekommen, indem er ihn in seinen Gummistiefel gesteckt hatte. Doch der Zollbeamte Malcolm Abel war aufmerksam. Und wie der Zufall es wollte, war er außerdem Winzer. Er brachte den Reiser in die notwendige Quarantäne und als er als reblaus- und virenfrei getestet wurde, begann Abel die Vermehrung des Klones, der als Gumboot-Clone oder Abel-Clone bekannt wurde. Der erste, der ihn einsetzte, war Clive Paton im Weingut Ata Rangi im Martinborough, Wairarapa. Auch wenn der schon erwähnte Nick Nobilo nicht nur den ersten kommerziellen Chardonnay, sondern 1973 auch den ersten Pinot Noir erzeugte, war es die Gruppe um Clive Paton und Larry McKenna in Martinborough sowie Rolfe und Lois Mills auf Rippon in Central Otago, die für den eigentlichen Pinot Noir-Boom sorgten. Noch 1987 gab es gerade einmal 141 Hektar Pinot Noir, im Jahr 2000 waren es dann schon rund 2000 Hektar und heute sind es knapp 6 000 Hektar. Die Zentren liegen in Martinborough auf der Nordinsel sowie in Nelson, Marlborough, Canterbury und Central Otago auf der Südinsel. All diese Anbaugebiete sind – nimmt man Hawke’s Bay ein wenig aus – deutlich beeinflusst von den kühlen antarktischen Strömungen. Den Pinots aus den unterschiedlichen Regionen ist vor allem Struktur und Eleganz gemeinsam, die sich mit einer einzigartigen fruchtbetonten Intensität paaren. Viele der Winzer arbeiten mit dem so genannten cold soaking, der kühlen Vorvergärung, die die Weine dunkel und intensiv werden lässt. Diese findet man vor allem in Central Otago, Nelson und Wairarapa. Es sind dunkelfruchtige, würzige Weine mit erdigen, kirschigen und teils pflaumigen Noten. In Marlborough und North Canterbury verzichtet man meist auf diese Art des Ausbaus. Dort entstehen höchst elegante, feine Pinots, die von Beginn an offener und rotfruchtiger wirken.

Denton Wines: ein eindrucksvolles Weingut in Yarra Valley, Australien (Foto: Christoph Raffelt)
Denton Wines: ein eindrucksvolles Weingut in Yarra Valley, Australien (Foto: Christoph Raffelt)

ZUNEHMENDE BEDEUTUNG IN AUSTRALIEN

Während Chardonnay eine bedeutende Rebsorte in Australien ist, aber in Neuseeland weitaus seltener angebaut wird, ist es beim Pinot Noir genau umgekehrt. Er ist die rote Signature-Rebe in Neuseeland, steht in Australien aber nur auf drei Prozent der Rebfläche. Für das Renommee des Weinlandes aber ist sie von immer größerer Bedeutung. Ein fun fact dabei ist, dass der US-amerikanische Film Sideways aus 2004 nicht nur für einen sprunghaften Anstieg des Anbaus von Pinot Noir in Kalifornien gesorgt hat, sondern auch in Australien. Pinot steht heute wie keine andere Sorte für das Cool-Climate-Potenzial Australiens. Während der Chardonnay auch in warmen Gebieten sehr gute Ergebnisse bringen kann, darf es beim divenhaften Pinot nicht zu warm werden. Und so findet man die besten Exemplare vor allem in den Adelaide Hills, im Yarra Valley, Geelong, Mornington Peninsula, Gippsland, Beechworth und Tasmanien. Natürlich bringt diese ausdrucksstarke Rebsorte auch hier eine große Vielfalt an Stilen hervor, weil sie das Terroir mehr als die meisten anderen Sorten zum Ausdruck bringt; vom intensiven und doch raffinierten, kühlen tasmanischen Pinot über die saftigen Exemplare der Mornington Peninsula bis hin zu den leuchtend roten, fruchtigen Weinen des Yarra Valley. Dabei spielt Australien in die Karten, dass das Terroir deutlich diverser ist als in Neuseeland. Neuseeland ist eine junge Inselgruppe mit viel alluvialem Schwemmland und ein wenig Kalkmergel. Australien besitzt einige der ältesten Gesteinsformationen weltweit mit einer enormen Anzahl unterschiedlichster Formationen. Auch wenn die australischen Pinots noch nicht ganz so bekannt sind wie die aus Neuseeland, können sie weltweit genauso vorne mitspielen im immerwährenden Vergleich der Burgunder der Côte d’Ôr mit denen aus Übersee und anderen europäischen Ländern. Nimmt man die großen Weine der Côte d’Ôr – die qualitativ, aber auch preislich immer in ihrer eigenen Liga spielen werden – einmal aus, müssen sich Chardonnay und Pinot Noir aus Down Under keinesfalls mehr verstecken. Im Gegenteil bekommt man in Australien und Neuseeland heute einige der preislich attraktivsten Weine beider Rebsorten. Dabei besitzen sie oft den Vorteil, sich auch in ihrer Jugend schon offen und zugewandt zu präsentieren.

Ausgabe 03/2024

Erhältlich ab 8. März: MEININGERS WEINWELT Ausgabe 03/2024

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