Blick ins "Suedhang", Tübingen (Foto: Selina Voelkel; www.pale-photography.de)
Blick ins "Suedhang", Tübingen (Foto: Selina Voelkel; www.pale-photography.de)

Öffnen in der Krise: Suedhang, Tübingen

Wie geht es Cafés und Röstereiprojekten, die im Corona-Jahr 2020 eröffnet haben? Was treibt sie um, was treibt sie an?

Teil 1: Suedhang, Tübingen.

„Im Kaffeehaus Kaffee trinken. Dabei in die Luft gucken. Tagträumen. Leute treffen. Zeitung lesen. Das alles und noch mehr ist in dieser seltsamen Zeit leider nicht drin.“ Mit diesen Worten beginnt das „Blatt 01“, die erste Kaffeezeitung des neuen Tübinger Rösterei-Cafés „Suedhang“. Trotz des Pandemie-verhagelten letzten Jahres haben Martin Lai, Robin Hittinger und ihr Team die Neueröffnung nicht gescheut, haben sich den Gegebenheiten gestellt und – wie viele andere Gründer – ihre ganz eigenen Erfahrungen seitdem gesammelt.

Direkt nach dem ersten Lockdown, am 18. Mai, hat das „Suedhang“ – der Name soll bewusst Assoziationen an die ähnlich gelagerte Genusskultur des Weins wecken – in der Tübinger Altstadt das erste Mal Gäste empfangen und den vor Ort gerösteten Kaffee verkauft. Ein bedeutender Schritt für den promovierten Mathematiker und Unternehmer Martin Lai und seinen Kompagnon Robin Hittinger, der schon viele Jahre in der Kaffee-Szene (u.a. Elbgold, Hamburg) aktiv ist – und ein ebenso bedeutender für die kleine Universitätsstadt südlich von Stuttgart. „Die Leute hier kannten Specialty Coffee einfach noch nicht“, erzählt Martin Lai. Und schon gar nicht kannten sie Kaffee in der speziellen Art und Weise, wie ihn die beiden Gründer angehen. „Wir hatten Erklärungsbedarf und haben uns überlegt, wie wir unseren Ansatz erzählen können.“ Herausgekommen ist mit dem „Blatt 01“ eine 28-seitige Zeitung, die im konsequenten Schwarz-Weiß und in designstarkem, Typographie-geprägtem Layout ihr Verständnis von Kaffee und fairem Wirtschaften erklärt.

Die "Suedhang"-Gründer Robin Hittinger und Martin Lai (Foto: Selina Voelkel; www.pale-photography.de)
Die "Suedhang"-Gründer Robin Hittinger und Martin Lai (Foto: Selina Voelkel; www.pale-photography.de)
"Suedhang": Klarheit im Design und im Tun (Foto: Selina Voelkel; www.pale-photography.de)
"Suedhang": Klarheit im Design und im Tun (Foto: Selina Voelkel; www.pale-photography.de)

„Uns geht es um den mündigen Konsum“, erklärt Martin Lai. „Wir möchten, dass man genau hinschaut und sich selbst ein Urteil bildet.“ So legt das „Suedhang“-Team in beispielloser Transparenz sämtliche Zahlen offen: Einkaufspreise, Umsätze, Verkaufszahlen, Löhne, ja sogar Handwerkerrechnungen sollen schon bald online eingesehen werden können. In ihrer Zeitung dröseln sie beispielhaft auf, wie sich der Verkaufspreis ihres Espressos „Muyu“ zusammensetzt: bis zum Drahtclip für die Verpackung (5 Cent). „Ungeschminkt zeigen, wie wir wirtschaften“, beschreibt Martin Lai dieses radikale Vorgehen. „Radikal“, weil es an die Wurzeln, an den Ursprung der Dinge geht.

Genau diesem Ursprung sind sie auch mit ihren Kaffees auf der Spur. Plotcoffee, Cumpa und Raw Material heißen die Rohkaffeehändler ihres Vertrauens, die wiederum mit den Erzeugern auf Augenhöhe arbeiten und diese weit über Fairtrade-Niveau bezahlen. Robin Hittinger wiederum verfolgt mit seinen Röstungen den Anspruch, das zum Vorschein zu bringen, was bereits in der Bohne vorhanden ist. Den erfolgreichen Blend „Prima Estate“ hat das Team denn auch nach kurzer Zeit wieder eingestellt. Jede Varietät, jede Ernte, jeder Hang soll für sich stehen, kein Blend soll eine Vorstellung eines Geschmacks vermitteln.

Martin Lai, "Suedhang"-Gründer, Tübingen (Foto: Selina Voelkel; www.pale-photography.de)
Martin Lai, "Suedhang"-Gründer, Tübingen (Foto: Selina Voelkel; www.pale-photography.de)

"Wir möchten, dass die Kunden genau hinschauen und sich selbst ein Urteil bilden."

Martin Lai
Gründer "Suedhang", Tübingen

Diese Klarheit in allem Tun spürt der Gast auch in der Rösterei in der Tübinger Altstadt, die zugleich Café und Showroom der Marke ist. Klar, puristisch, minimalistisch mutet das Design von Sebastian Hecht an und rückt den Kaffee konsequent in den Mittelpunkt. So neu der Ansatz auch in Tübingen ist, so positiv wurde das Konzept bislang angenommen, auch wenn das „Suedhang“ bislang nur eine überschaubare Zeit im Normalbetrieb laufen konnte. Martin Lai kann der erschwerten Anfangsphase aber dennoch etwas Positives abgewinnen: „Ohne Corona wäre die Nachfrage vielleicht von Beginn an so groß gewesen, dass es hätte schwierig werden können, das Personal einzuschulen, mit dem Rösten hinterherzukommen und dabei die Qualität beizubehalten.“

Weil offiziell als Einzelhandel und Handwerksbetrieb eingetragen, konnte das „Suedhang“ auch zeitweise während des Lockdowns weiter verkaufen, ohne Bewirtung vor Ort versteht sich. „Ein Glück für die Motivation und für unsere Mitarbeiter, die für Kaffee brennen“, sagt Martin Lai. Auch wenn sein Unternehmen als zwangsgeschlossene Gastronomie gegebenenfalls finanziell besser dagestanden hätte, sagt er: „Wir werden das überstehen, da ist kein Fragezeichen dahinter.“ Aber losgehen soll es jetzt endlich wieder: „Suedhang ist aktuell wie ein Drache an der Kette, der losfliegen will.“

Suedhang
Jakobsgasse 4

72070 Tübingen
https://www.suedhang.org/

(Text: Benjamin Brouër)

"Suedhang", Tübingen (Foto: Selina Voelkel; www.pale-photography.de)
"Suedhang", Tübingen (Foto: Selina Voelkel; www.pale-photography.de)
"Suedhang", Tübingen (Foto: Selina Voelkel; www.pale-photography.de)
"Suedhang", Tübingen (Foto: Selina Voelkel; www.pale-photography.de)
"Suedhang", Tübingen (Foto: Selina Voelkel; www.pale-photography.de)
"Suedhang", Tübingen (Foto: Selina Voelkel; www.pale-photography.de)
"Suedhang", Tübingen (Foto: Selina Voelkel; www.pale-photography.de)
"Suedhang", Tübingen (Foto: Selina Voelkel; www.pale-photography.de)
"Suedhang", Tübingen (Foto: Selina Voelkel; www.pale-photography.de)
"Suedhang", Tübingen (Foto: Selina Voelkel; www.pale-photography.de)

fizzz 04/2024

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