Im Weinland Belgien gibt es so einiges zu entdecken (Foto: Sabine Wulffert)
Im Weinland Belgien gibt es so einiges zu entdecken (Foto: Sabine Wulffert)

Weinland Belgien: klein aber oho ...

Eine Reise nach Belgien ist mit Leckerbissen gespickt. Ob Pralinen, Pommes oder Lambic Bier, das kleine Land steckt voller Genüsse. Auch beim Wein darf es ein feiner Tropfen sein – deshalb machen die Belgier ihn selbst. Für Weinkenner ein idealer Anlass für eine kleine Weintour. 
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in »Ausgabe 5/2022 von MEININGERS WEINWELT.

Text: Matthias Stelzig

Auf den Vorgarten von Tonny scheint die Sonne. „Meine Experimentalpflanzung“, verbessert der ältere Herr und zeigt auf drei, vier Rebzeilen. Zwischen den Reihen stehen Kohlköpfe und Zwiebeln. Dahinter hängt die Wäsche auf der Leine. Tonny stapft um das Haus herum und plaudert über seine Suche nach den richtigen Rebsorten. Offensichtlich kennt er jeden Stock persönlich. „Souvignier Gris“, zeigt er im Vorbeigehen, „Super ans Klima angepasst.“ Merlot hatte er mal. Aber nach einem Regen war in einer Woche alles verfault. Dann doch lieber Solaris, er fährt mit den Händen durch einen buschigen Weinstock. „Obwohl der besser in Dänemark wäre. Hier ist es schon zu heiß.“

Limburg, der östlichste Zipfel Belgiens, wo Tonny seine Rebstöcke hegt, gehört zu den Flecken mit den meisten Sonnenstunden in den Benelux-Ländern. Für Leute aus dem Umland in Holland, Frankreich, Luxemburg und Deutschland ist Limburg ein kleiner Kurzurlaub. Besonders Holländer schätzen die Hügellandschaft, für die man als Deutscher allerdings genau hinsehen muss.

„Jan, wil je een kopje koffie?“ ruft Tonny in die übernächste Reihe, wo sein Compagnon im karierten Hemd mit Schirmmütze hantiert. Jan will. Das Tässchen Kaffee ist nämlich das betriebsinterne Kürzel für eine Verkostung am Vormittag. Es gibt eine rote Cuvée aus jeder Menge Cabernet-Züchtungen mit feiner Frucht. Dann den neuen Jahrgang Johanniter. „Süper dry“, schwärmt Tonny im Winzer-Holländisch. So wie die beiden Rentner probieren sich viele belgische Winzer aus bei der Sortensuche. Vorschriften gibt es ja kaum.

Der Fluss Maas trennt die belgische und die holländische Seite Limburgs voneinander (Foto: Matthias Stelzig )
Der Fluss Maas trennt die belgische und die holländische Seite Limburgs voneinander (Foto: Matthias Stelzig )

Auch Ghislain Houben vom Weingut Hoenshof sucht robuste Sorten, macht dazu Versuche mit Hopfen im Wein und Kirscharomen, wie man sie von belgischem Bier kennt. Als Professor für Ökonomie will er natürlich die großen Wellen reiten. „Höhere Erträge, niedrige Produktionskosten“, lautet der Lehrsatz. Wie viele Kollegen hat er den Weintourismus für sich entdeckt. Zu dem Vierkanthof gehören ein Freiluft-Bistro und ein Restaurant. Die Abteilung Research & Development findet allerdings noch im Dachstuhl seines Einfamilienhauses Platz, wo er liebevoll einzelne Reben in Blumentöpfen heranzieht. Eine spezielle Weinlinie verkaufen auch belgische Supermärkte. Bislang ist das eine Ausnahme.

„Auch wir wollen es außergewöhnlich“, gibt Bert Vandeurzen zu Protokoll. Seine Familie wurde mit der Entwicklung von Software und Testgeräten zu einer der reichsten des Landes. In einer schicken Halle mit einem Gerät, das die Temperatur des Weins „auf ein Zehntel Grad genau steuert“, entstehen Albariño, Grüner Veltliner, Tempranillo, Blaufränkisch und noch ein paar andere Sorten. Richtig spannend wird es aber bei den Chardonnays. Im Stahltank ausgebaut, entwickeln sie klare Aromen von Äpfeln, Birnen und Pfirsich. Die französische Eiche gibt ihm Eleganz. Das grobporige amerikanische Holz macht ihn üppig. Hier sieht man, wo die Reise hingeht.

MAL MEERESBODEN, MAL SANDBANK

Weiter zu Patrick Nijs von der Wijnfaktorij. „Wir warten auf Regen“, sagt er beim Händeschütteln. Er hat im Weinberg Steenkuyl auf uns gewartet. Der Überraschungseffekt sitzt. Regen gehört doch zwischen dem Niederrhein und Oostende zum Lifestyle. Hinter einem Holztor betritt man ziemlich genau einen Hektar Weingarten an einem leichten Hang, eingerahmt von Büschen und Bäumen. „Das macht ein paar Grad Temperaturunterschied aus“, erklärt der Winzer. Jedenfalls fängt sich die Frühlingssonne hier. Es ist mollig warm. Anders als die windige Küste oder die rauen Ardennen, ist der Osten Belgiens eine kleine Sonneninsel, auf der es wenig regnet.

Idyllisch: Die Region lädt mit ländlich-gemütlicher Atmosphäre zum Wohlfühlen ein (Foto: elly/stock.adobe.com)
Idyllisch: Die Region lädt mit ländlich-gemütlicher Atmosphäre zum Wohlfühlen ein (Foto: elly/stock.adobe.com)

Die staubigen Böden, auf denen wir stehen, waren geologisch gesehen mal Meeresboden, mal Sandbank. „In den trockenen Phasen“, erklärt Patrick, „rosteten die Eisenanteile im Boden“. Heute besteht der aus den typischen Elementen solcher Formationen: Kalk, Eisensandstein, Kiesel, manchmal Lehm. Gute Grundlagen für Weine wie seinen roten Chansaar, eine Cuvée aus Pinot Noir und Cabernet Dorsa mit schöner Finesse und einem deutlichen Eisenton. Erst danach kommt der Kontreir aus weißen Burgundersorten und ein paar Exoten wie Phoenix und Orleans. „Zwei Lesegänge, getrennt vergoren mit wilden Hefen, spontane Malo.“ Der Wein hat einen weichen Schmelz und schmeckt nach saftigen Äpfeln, reifer Ananas und wieder jede Menge Eisen. Die Säure ist frisch, die Tannine reif. „In fünf Jahren ist er perfekt“, spricht der Perfektionist. Wir finden ihn dagegen gerade jetzt unfassbar gut, wo wir ihn im Weingarten zum Picknick mit Nussbrot, Abdijkaas und Paté trinken. Bis es urplötzlich plötzlich anfängt zu regnen und zu stürmen. Wir müssen uns schnell aus der Idylle verabschieden. Immerhin hat Patrick seinen Regen.

„AUFGEWACHSEN ZWISCHEN JONAGOLD UND CONFÉRENCE-BIRNEN“

Auf dem flachen Land sind die Regenwolken schnell wieder weggeweht. Über schnurgerade Straßen kommen wir zu Karel Henckens, den wir auf der Gastro-Terrasse in seiner Wijndomein Aldeneyck treffen. Als Sohn eines Obstbauern, „aufgewachsen zwischen Jonagold und Conférence-Birnen“, erkannte er das Potenzial der Region schon vor 25 Jahren. Seine Weingärten liegen direkt an der Maas, die hier die belgische und die holländische Provinz Limburg trennt. Der Fluss fließt in weiten Schleifen, die in Seen auslaufen, ehemalige Kiesgruben, die Mitte des 20. Jahrhunderts das Material für die lebenswichtigen Deiche an der holländischen Küste lieferten.

Auf diesen Maasplassen haben Wassersportler ihren Spaß, während die Maas Sedimente und Kiesel am Grund ablagert, die sie aus den Ardennen anschwemmt. „Daher kommt die feine Säure in unserem Wein“, wirbt Karel. Sein Pinot Gris zeigt viel mineralische Finesse. „20 Jahre alte Reben.“ Das ist hier nicht unwichtig. In dem kühlen Klima rechnen die Winzer erst nach sieben oder sogar zehn Jahren mit guter Qualität. Anderswo reichen vier. Burgundersorten, einschließlich Chardonnay und Auxerrois, finden hier ein gutes Zuhause.

In dem Städtchen Maaseik lohnt ein Streifzug durch die urigen Gassen der Altstadt (Foto: Alex Tihonov/stock.adobe.com)
In dem Städtchen Maaseik lohnt ein Streifzug durch die urigen Gassen der Altstadt (Foto: Alex Tihonov/stock.adobe.com)

Karel hat an der Mosel gelernt, in Frankreich gearbeitet und sich, wie viele Kollegen nach ihm, bei besseren Adressen umgesehen. „Feinere Säure als die Franzosen“, will er, „aber etwas mehr Barrique und Malo als die Deutschen akzeptieren.“ So versteht man auch seinen Chardonnay Heerenlaak. Nach kurzem Barrique-Ausbau und zur Hälfte malolaktisch vergoren, fühlt sich der 2016er fein cremig an, während die Apfelsäure für Frische sorgt.

SEKT AUS DEM SCHLOSSKELLER

Für Chardonnay hat sich auch Peter Colemont entschieden. Nur für Chardonnay. Noch dazu muss man ihn erst mal finden. Am Briefkasten klebt ein Zettel: Telefonnetz funktioniert nicht. Bin im Weinberg. Wo der ist, steht da allerdings nicht. Nach einem netten Schwatz mit den Nachbarn, finden wir ihn bei der Arbeit. Sein Clos d’Opleeuw ist wirklich von einer Mauer umgeben, „weil das früher mal ein Schlossgarten war.“ Und das ist nicht die einzige Verbindung in die Bourgogne. Peter handelt seit 20 Jahren mit Weinen aus dem Burgund, er brennt für Meursault und Montrachet. Irgendwann wollte er es wissen. In seinem kleinen Königreich macht er heute alles selbst. Am Ende sind es ein-, zweitausend Flaschen. Eine Fassprobe sprüht vor Eleganz mit reifem Apfel, Tropenfrüchten, Tee, süßen Salbeiblüten und Nüssen. Ein Meisterwerk.

Die nächste Winzerin treffen wir in einem echten Schloss. Das heutige Wijnkasteel „Genoels-Elderen hatten meine Eltern 1991 als Alterssitz gekauft“, erinnert sich Joyce Kékkövan Rennes. Bald stellte sich heraus, dass das Anwesen mal ein Weingut war. Zu Napoleon Bonapartes Zeiten standen hier 20 Hektar Reben. Bodenuntersuchungen bestätigten beste Bedingungen, und schon war das Lustschloss ein Weingut. Unter dem Gemäuer finden sich über 20 Keller, ein Brunnen aus der Römerzeit und bestimmt auch ein Gespenst. Mancher hält schon die Sortiermaschine für Zauberei, die bei jeder Traube den Zuckergehalt misst und unreife Trauben aussortiert.

Auch die Kunst kommt hier nicht zu kurz: die Installation „Reading Between the Lines“ bei Borgloon (Foto: Ronny/stock.adobe.com)
Auch die Kunst kommt hier nicht zu kurz: die Installation „Reading Between the Lines“ bei Borgloon (Foto: Ronny/stock.adobe.com)

Die nächste Winzerin treffen wir in einem echten Schloss. Das heutige Wijnkasteel „Genoels-Elderen hatten meine Eltern 1991 als Alterssitz gekauft“, erinnert sich Joyce Kékkövan Rennes. Bald stellte sich heraus, dass das Anwesen mal ein Weingut war. Zu Napoleon Bonapartes Zeiten standen hier 20 Hektar Reben. Bodenuntersuchungen bestätigten beste Bedingungen, und schon war das Lustschloss ein Weingut. Unter dem Gemäuer finden sich über 20 Keller, ein Brunnen aus der Römerzeit und bestimmt auch ein Gespenst. Mancher hält schon die Sortiermaschine für Zauberei, die bei jeder Traube den Zuckergehalt misst und unreife Trauben aussortiert.

In den Flaschen reift Sekt, der sich bei der kühlen Witterung anbietet, weil die Trauben etwas früher geerntet werden. Zwarte Parel, der Blanc de Blancs, Jahrgang 2017, ist ein glasklarer Chardonnay-Sekt mit Aromen von Äpfeln, Brioche und Hefeteig. Der 2014er Zilveren Parel kann noch einen draufsetzen. Nach einem Jahr auf der Hefe mit Bâtonnage hat er feine Reifenoten angenommen, während aber noch üppige Frucht wie Ananas, Stachelbeere und Grapefruit im Spiel sind.

Nach all den Superlativen sitzen wir auf der Terrasse unter einem der Sonnenschirme, picken feine Kleinigkeiten aus der Küche und plaudern noch ein bisschen. Ja, rein kaufmännisch gehen die ganzen Riesen-Investitionen nicht auf, wenn man sie mit Zahl und Verkaufspreis der Flaschen abgleicht. Joyce schenkt einen Chardonnay ein, den es nur alle Jubeljahre gibt. „In den vergangenen 30 Jahren zweimal.“ Ausgebaut in Fässern aus der Bourgogne, von denen jedes eine Einzelanfertigung ist. Der 2016er oszilliert zwischen frischer, fein-treibender Säure und Honig, Williamsbirne und Haselnüssen. Komplex und endlos lang. Zauberhaft.

 

WISSENSWERT: BELGIEN AUF EINEN BLICK

Die ersten Rebstöcke setzten vielleicht schon die Römer an der Maas, der die Mosel ihren Namen verdankt (das Lateinische Mosella bedeutet „kleine Maas“). Während der endlosen Kriege über die Jahrhunderte verlegten sich viele Belgier auf Bier, dessen Rohstoffe man mit weniger Risiko anbaut. Napoleon Bonaparte versuchte, den Weinbau ganz zu vertreiben, bevor er in Waterloo seine letzte Schlacht verlor. So richtig los ging es erst wieder in der 1990er Jahren.

Auf rund 700 Hektar gibt es etwa 250 Winzer, ungefähr 170 davon im Nebenerwerb. Die Burgundersorten einschließlich Chardonnay und Auxerrois bringen die besten Weine. Ein paar Spezialisten können sich mit ihren Spät- und Frühburgundern sehen lassen. Circa 45 Prozent des Weins in Belgien wird zu Sekt verarbeitet. Das erinnert an die Situation in Großbritannien vor 15 Jahren.

Obwohl offiziell belächelt, streckten größere Champagnerhäuser ihre Fühler in England aus und kauften Land. Von solchen Besuchen hört man auch in Belgien. Belgien hat europäische Herkunftsbezeichnungen im Rang einer Appellation d’Origine Contrôlée: Hageland, Haspengouw, Heuveland und die Herkunftsbezeichnung Vlaamse mousserende kwaliteitswijn für Sekt in Flandern. Am 10. Januar 2018 erkannte die Europäische Kommission offiziell die geschützte Ursprungsbezeichnung (g.U.) der Weinbauregion „Maasvallei Limburg“ an. In der Wallonie gibt es die Côtes de Sambre et Meuse an den Flussläufen von Maas, Oise, Sambre und Crémant de Wallonie sowie Vin mousseux de qualité de Wallonie. Bei den Rebsorten herrscht große Auswahl. Fast jede Appellation hat ein Dutzend oder noch mehr zugelassen.

Weitere Infos

www.wijnbouw.com/maasvallei.html
www.maasvallei.nl
www.visitzuidlimburg.nl
www.benevit.org/maasland-wijnland.html

Und hier finden Sie noch weitere Reisetipps zum Thema Belgien. 

Ausgabe 03/2024

Erhältlich ab 8. März: MEININGERS WEINWELT Ausgabe 03/2024

Themen der Ausgabe

Feines Frische-Duo

Mineralischer Albariño schmeichelt Fischeintopf mit Gemüse: Das Winepairing zum Start ins Frühjahr hat sich Sommelier Emrah Isitmen aus Karlsruhe für Sie ausgedacht und damit eine Geschmackskombination für pures Atlantik-Feeling kreiert … »weiter zu Rezept & Weintipp

Rieslinge von Weltruhm

Bettina Bürklin-von Guradze hat das Pfälzer Topweingut Dr. Bürklin-Wolf perfekt für die Zukunft aufgestellt und verrät im Gespräch mit Chefredakteurin Ilka Lindemann, wie sie dabei Traditionen, Familie und Biodynamie unter einen Hut gebracht hat.

Weinbar-Guide London

Die Gastroszene der britischen Hauptstadt ist lebendig wie nie und kann zuweilen ganz schön überfordernd sein. Wir waren für Sie vor Ort und zeigen Ihnen in dieser Ausgabe die angesagtesten Weinbars und Locations für jeden Anspruch.