Clemens Gerke, Chefredakteur WEINWIRTSCHAFT
Clemens Gerke, Chefredakteur WEINWIRTSCHAFT

Germany second?

Eines wurde mir in der Vorbereitung auf die diesjährige ProWein noch einmal sehr deutlich. Viele der Kritikpunkte, die in der Branche geäußert werden, haben eine speziell deutsche Perspektive. Dabei geht es mir nicht darum, dass wir Deutschen besonders gerne jammern und klagen, sondern dass wir schlicht eine andere Perspektive auf »unsere« Heimatmesse haben als ausländische Aussteller und Besucher. 

Und hier muss man der Messeleitung eine große Ehrlichkeit attestieren. Immer wieder hat sie die Internationalität der Messe hervorgehoben und kommuniziert, dass dies der USP der ProWein ist, den sie halten und stärken will. »Wir können nicht Everybody’s Darling sein«, sagte uns Messedirektor Michael Degen im Gespräch für diese Ausgabe. Damit hat er zweifelsohne Recht, und dafür ist er auch bereit, den Ärger deutscher Aussteller auf sich zu nehmen.

Natürlich fährt die ProWein kein Konzept des »Germany second«, wie es in der Überschrift in Frage gestellt wurde, aber eben auch kein »Germany first«. Es gehört zu den großen Stärken, dass sie einem portugiesischen Aussteller glaubhaft vermitteln kann, dass er genauso gut behandelt wird wie ein Aussteller aus Chile oder aus der Pfalz. In der Positionierung als DIE internationale Weinmesse ist das ein Pfund, mit dem Düsseldorf wuchern kann.  

Damit verbunden ist, dass internationale Aussteller und Besucher den Wucher der Düsseldorfer Hotellerie viel gelassener begegnen als die deutschen. Während die deutschen Messeteilnehmer unter Umständen nach Düsseldorf und zurück fahren können, ohne an einer Tankstelle zu halten, müssen die ausländischen Gäste mit ohnehin hohen Reisekosten rechnen, in denen die Hotelkosten nur ein Posten sind – über den sich aber sicher auch dort niemand freut.

»Die Internationalität der ProWein bietet für deutsche Aussteller eine einzigartige Chance für Export-Kontakte«

Mit etwas Überraschung habe ich aber auf die Entwicklung der Aussteller geblickt. Mir war bewusst, dass bei meiner ersten ProWein 2011 die deutschen Aussteller klar in der Minderheit waren, aber mir war nicht klar, dass das seit der allerersten Ausgabe 1994 der Fall war. Damals lag das Verhältnis ausländischer Austeller zu deutschen bei 4:1. Auch 1998, als die ProWein so deutsch wie nie zuvor und später war, lag das Verhältnis bei 1,8:1. Auf Besucherseite sah es lange anders aus. Erst seit 2017 kommen mehr aus dem Ausland als aus Deutschland.

Eine nationale Messe wie Vinitaly, VieVinum, Fenavin oder Capewine war die ProWein also nie. Am ehesten in die internationale Richtung ging die Vinexpo, die sich zugleich schwer tat, sich als französische Messe und nicht als Bordeaux-Messe zu inszenieren. Ob die Wine Paris jemals eine vergleichbare Internationalität erreicht, steht in den Sternen, wahrscheinlicher erscheint mir, dass sie sich als große nationale Messe der französischen Weinwirtschaft im Messekalender etabliert.  

Die Internationalität der ProWein bietet für deutsche Aussteller eine einzigartige Chance für Export-Kontakte. Oft ist aber die Klage zu hören, dass die deutschen Stammkunden auf der ProWein nur ausländische Stände besuchen würden und man sie ja ohnehin über das Jahr treffe, weswegen die ProWein nutzlos sei. Dieser sicher zu pauschale Vorwurf ignoriert, dass es im Weinbau der letzten 25 Jahre nicht nur zu einer immensen Qualitätsverbesserung gekommen ist, sondern dass in dieser Zeit auch eine unglaubliche Professionalisierung und Digitalisierung stattgefunden hat. Für die Optimierung der Vertriebskontakte hat die ProWein in der Vergangenheit eine große Rolle gespielt, die jetzt tatsächlich nicht mehr so gefragt ist wie damals, als sie Neuland eröffnete.

Wenn deutsche Erzeuger über die ProWein klagen, statt ihr verändertes Profil zu erkennen und sich darauf einzustellen, lassen sie den Heimvorteil ungenutzt und verpassen eine Chance. Clemens Gerke

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