Bunter Haufen: Auf der Schale vergorene Weißweine zeigen sich in allen Facetten (Foto: Redaktion Weinwelt)
Bunter Haufen: Auf der Schale vergorene Weißweine zeigen sich in allen Facetten (Foto: Redaktion Weinwelt)

Hau(p)tsache Maische: Alle Facetten von Orange Wine

Auf den Traubenhäuten vinifizierte Weißweine sind keine Neuheit mehr und bei allen Weinfans auf sämtlichen Levels angekommen – egal ob in der Gastronomie, beim Weinhändler oder inzwischen sogar im Supermarktregal. Zwei Vorreiter-Herkünfte für diese Machart, damals wie heute: Deutschland und Österreich. Wir haben den Check gemacht, wie sich „Orange“ im Jahr 2024 qualitativ und stilistisch präsentiert. Die ausführlichen Weinbeschreibungen finden Sie ab Seite 78 in »Ausgabe 02/2024 von MEININGERS WEINWELT und alle Tasting-Ergebnisse weiter unten. 

Text: Christoph Nicklas

Anfang 2019 hatten wir uns an ein damals noch ziemlich junges, ziemlich wildes, ziemlich unsortiertes und ziemlich heiß diskutiertes Tasting-Thema gewagt: Orange Wines. Was damals mit rund 150 eingereichten Proben noch als eine Rundumschlag-Verkostung konzipiert war, bei der auch die spannendsten Vertreter der Naturwein-Welt auf den Tischen standen, ging es nach knapp fünf Jahren mit einem strengeren Fokus in die Fortsetzung. Noch gut 90 Weine, dafür lag der Fokus diesmal ganz auf der Maische, nur auf Deutschland und Österreich – und nicht zwingend auf einer naturalen Arbeitsweise der Produzenten. Man kann die Abgrenzung dieser beiden Kategorien nicht oft genug betonen, daher noch einmal für klares Differenzieren: Natural Wines charakterisieren sich in erster Linie, wie der Name andeutet, durch ihre „Naturbelassenheit“, also durch einen möglichst weitreichenden Verzicht auf Hilfsmittel und Technik, sowohl im Weinberg als auch im Keller. Nichts rein, nichts raus. Ergo: keine Reinzuchthefen, keine Enzyme, keine Schönung, keine Filtration, kein oder nur minimaler Schwefeleinsatz, oft verbunden mit Biodynamie in puncto Weinbergsarbeit und Betriebsphilosophie. Orange Wines wiederum sind Weine aus Weißwein-Rebsorten, die wie Rotweine erzeugt werden, also mit einer längeren Maischestandzeit beziehungsweise einer Vergärung auf den Schalen und teilweise anschließender Lagerung auf der Maische. Ob dieser Maischekontakt wenige Tage oder mehrere Monate dauert, liegt dabei in der Hand des Winzers. Was sich in jedem Fall erhöht, ist der Gehalt an dem, was man allgemeinsprachlich als Phenole kennt: Der Wein enthält mehr Farbstoffe (gelbe Flavone und blaurote Anthocyane aus der Beerenhaut, die laut wissenschaftlichen Studien beide in Weißweintrauben vorkommen) und mehr Bitterstoffe (Tannine aus dem Stielgerüst und Catechine aus den Beerenkernen). 

Das Ergebnis ist in den meisten Fällen eine deutlich dunklere Farbe, als wenn man den Weißwein „normal“ ohne Maischekontakt ausgebaut und möglichst schnell abgepresst hätte. Wohlgemerkt: meistens. Denn bei einigen Kandidaten unterschied sich während unserer Verkostung der Glasinhalt farblich gar nicht so sehr von regulären Weißweinen. Das Farbspektrum changierte extrem und erlaubte bei den allermeisten Weinen schon eine Vorahnung von Geschmack und Duft, sodass wir eine länder-übergreifende Einteilung in fünf Grundkategorien herausarbeiten konnten (unser Aufmacherfoto mit der Gläser-Reihe zeigt, wie nah die Farbverläufe mitunter beieinander liegen). 

KLAR UND WEISSGELB: Bei diesen Weinen erkennt man optisch fast keinen Unterschied zu einem standardmäßigen, direkt gepressten und filtrierten Weißwein. Die Gründe hierfür sind entweder ein sehr kurzer Maischekontakt oder die Verwendung von Rebsorten, die eher wenig blau-rötliche Farbpigmente (die besagten Anthocyane) aufweisen – in unserer Verkostung waren das speziell Weißburgunder, Silvaner, teils auch einige Grüne Veltliner – und natürlich die Filtration, die durchaus auch bei Orange Wine praktiziert wird. 

HELLGELB UND TRÜB: In dieser Kategorie sah es etwas satter und vor allem undurchsichtiger aus, die Rebsorten-Bandbreite war deutlich größer und die fehlende Filtration vermittelte sensorisch etwas mehr Dichte, mehr griffige Haptik und oft auch einen etwas naturaleren Einschlag. Einige Top-Beispiele hierfür: Gernot Heinrichs Muskat Freyheit, der Fio Glou Glou von Daniel Niepoort und Philipp Kettern oder Judith Becks Bambule-Neuburger. 

DIE GOLDENEN: Der tendenziell größte Pool an Maische-Weißweinen tummelte sich im breiten Spektrum der Farbe Gold. Von hell und klar bis zu dunklem, dichten Gold mit Kupfertönen war alles dabei und fast alle Rebsorten spielten mit – Veltliner, Welschriesling, Neuburger, Scheurebe, Riesling, Silvaner und und und … 

DIE BERNSTEINFARBENEN: Das Domizil der Bukettsorten-Stars Gewürztraminer und Muskateller. Ihre sattere Farbe, mal mit und mal ohne Trübung, ging einher mit einer satteren, lauten Aromatik (Rosenwasser, Lychee, Nelke und Anis oder auch Bergamotte, Mandarine und Cranberry), mehr Körper und etwas mehr herbem Gerbstoff. 

DIE RÖTLICHEN: Hier wurde es maximal intensiv. Farblich erinnerten diese Weine mehr an Rosés und helle Rotweine als an etwas, das aus Weißwein-Rebsorten vinifiziert wurde. Der rote Farbeinschlag ließ sich bei unserem Tasting auf eine einzige Sorte zurückführen: Grauburgunder. Auch beim Duft und Geschmack wurde es rötlich, die Weine ließen häufig an Blutorange, Granatapfel, Cranberry, Erdbeere und Hagebutte denken. In Sachen Struktur und Textur wirkten sie kräftig und dunkel, aber vom Körper her angenehmerweise fast nie überladend, das Tannin hatte stellenweise Ähnlichkeit mit zarten Rotweinen.

Drei Bemerkungen noch zum Schluss. Erstens: Bei guten Orange Wines bleibt der Sortentyp durchaus wiedererkennbar, seien es die floral-exotischen Nuancen des Traminers, Zitrus- und Steinobstfrucht samt pikanter Säure beim Riesling oder die erdigkräutrige Würze von Silvaner und Veltliner. Wer also Rebsorten-Präferenzen hat, kann sich auch bei Maischevergorenem daran orientieren. Zweitens: Die Orange-Vertreter sind hervorragende, vielseitige Essensbegleiter und trumpfen da auf, wo viele trockene Weißweine ins Straucheln kommen – etwa mit fermentiertem oder milchsauer eingelegtem Gemüse, herben Salaten und Wildkräutern oder Fleisch vom Grill. Und drittens: Trotz aller Bekannheit, die Orange inzwischen erreicht hat, bleibt die Weinart rechtlich ein „Outlaw“: Der Begriff ist nicht geschützt oder im Weingesetz konkret definiert und die Weine haben wenig Akzeptanz bei den Ämtern und Prüfkommissionen, sowohl aufgrund ihrer für die Sorten „untypischen“ Farboptik als auch wegen der nicht immer ganz reintönigen Aromatik. Von den über 90 Mustern waren gerade einmal vier(!) als Qualitätswein bzw. DAC zugelassen, alle anderen liefen unter „Landwein“ oder spielten im Wildgehege „Deutscher Wein“ respektive „Wein aus Österreich“. Doch kein Grund zur Skepsis, denn über die tatsächliche Qualität entscheidet keine Prüfnummer oder Kammerpreismünze, sondern nur der Glasinhalt. Wie spannend sich unsere Maische-Weißweine präsentierten und welche Geschmacks-Horizonterweiterungen sie bieten, erfahren Sie auf den folgenden Seiten. 

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