Je enger die Herkunft, desto unbekannter der Wein

Können Sie den Satz „Je enger die Herkunft desto höher die Qualität“ noch hören? Es gibt weltweit genug Super-Premium-Weine, die nicht einer Einzellage entstammen und das Dogmatische des Satzes entlarven. Doch das ist gar nicht so sehr das, was mir an dem Satz missfällt – ich glaube, dass er der breiten Masse der Erzeuger in der Vermarktung nichts bringt.

Dabei stehe ich der erzwungenen Anpassung des Weinrechts an das romanische Herkunftssystem und einer Abkehr vom germanischen Zuckerfetischismus sogar positiv gegenüber. Doch wie viele französische Herkünfte kennt ein Durchschnittsweintrinker. Bordeaux? „Ja, klar!“ Médoc? „Äh, hab ich schon gehört.“ Margaux? „Das ist doch dieses superteure Weingut“. Pauillac? „???“

Vielleicht ist der Satz „Je enger die Herkunft, desto unbekannter der Wein“ nur etwas weniger dogmatisch, doch gerade die Suche nach romanischen Vorbildern zeigt, dass eine Herkunft noch lange kein Selbstläufer ist. Die DOC Prosecco ist ein Riesenerfolg, doch wer von den ebenfalls im Veneto gelegenen DOCs Piave, Merlara oder Colli Euganei gehört hat, ist nicht nur ein Weinfreak, sondern ein Italien-Spezialist. Welchen Wert hat die toskanische DOC-Herkunft Orcia? Lässt sich ein Wein der IGT Toscana nicht deutlich leichter vermarkten?

Wichtiger, als sich über Hierarchiestufen und Anforderungen an Einzellagen zu streiten, wäre herauszuarbeiten, welche Herkünfte echtes Vermarktungspotenzial besitzen und wie man dieses entwickeln kann. Folgt man dem Gedanken „Je enger die Herkunft, desto unbekannter der Wein“ müssten sich die Anbaugebiete vor allem mit sich selbst und nicht mit ihren Ortschaften oder Lagen beschäftigen.

Clemens Gerke, stellvertretender Chefredakteur WEINWIRTSCHAFT
Clemens Gerke, stellvertretender Chefredakteur WEINWIRTSCHAFT

Blickt man auf die erfolgreichen europäischen Herkünfte, dann zeichnet sie aus, dass sie klare Profile besitzen. Und hier ist die Crux des romanischen Weinrechts für den deutschen Wein. Es wird den deutschen Weinerzeugern nicht gelingen, sich auf gemeinsame Profile zu einigen. Mit Zähnen und Klauen werden die 2.000 Flaschen Gewürztraminer verteidigt, auf denen unbedingt die Herkunft Pfalz stehen muss, auch wenn dies langfristig den 50.000 Flaschen Riesling schadet.

„Je verständlicher die Herkunft, desto besser der Verkaufserfolg“ ist eine Gleichung, die viele andere Einflussfaktoren ignoriert. Aber wenn eine Herkunft nicht mit einer klar verständlichen Botschaft verbunden ist, dann liegt ihr Einfluss auf den Verkaufserfolg bei Null. Ein Fantasiename hat abgesehen von der Folklore den gleichen Einfluss wie eine Großlage,

Das neue Weinrecht wird keinen Liter zusätzlich verkaufen, weil man sich bei der Umstellung auf das romanische Herkunftsprinzip verzettelt hat. Man verliert sich in endlosen Diskussionen um immer engere Herkünfte, die voneinander trennen. Stattdessen sollte man sich auf das Verbindende der gemeinsamen Herkunft konzentrieren.

Die Großlage ist kein Konzept, das in einem am Herkunftsprinzip orientierten Weinrecht eine Zukunft verdient hat, aber wenn durch das Weinrecht keine neuen Vermarktungsimpulse gesetzt oder bestehende gestärkt werden, werden diejenigen, die der Großlage nachweinen, Recht behalten. Sie werden tatsächlich weniger Wein verkaufen – es sei denn sie schaffen es eigene Impulse zu setzen. Das Weinrecht liefert keine.

Hoffentlich gewinnt nach dem Beschluss der Verordnung zum Weinrecht der Gedanke „Je verständlicher die Herkunft, desto besser der Verkaufserfolg“ Unterstützer, die die deutschen Anbaugebiete statt Lagen und Orte voranbringen wollen.

Ausgabe 9/2024

Themen der Ausgabe

Wein im Klimawandel (Serie): Standorte

Wo wird Wein in Zukunft wachsen – und wo nicht?

50 Jahre Mainzer Weinbörse

Die bewegte Geschichte der Premium-Verkostung.

VDP-Vorverkostung

Die besten Weine der diesjährigen Weinbörse. Vorab probiert und für Sie bewertet.