Voll im Trend: Weine aus Osteuropa wie etwa aus Georgien (Foto: lobodaphoto/stock.adobe.com)
Voll im Trend: Weine aus Osteuropa wie etwa aus Georgien (Foto: lobodaphoto/stock.adobe.com)

Voll im Trend: Weine aus Osteuropa

Wenn eine Verkostung in jüngster Zeit überfällig war, dann diese: Denn schon seit einigen Jahren entwickeln Europas östliche Erzeugerländer immense Dynamik. Bei vielen Weinfans oft noch ein weißer Fleck auf der Karte, rücken wir Weine aus Osteuropa und Südosteuropa jetzt ins Rampenlicht. Eine Erkenntnis vorab: Es wird in jeder Hinsicht bunt. Alle ausführlichen Weinbeschreibungen finden Sie ab Seite 74 in »Ausgabe 06/2023 von MEININGERS WEINWELT 

Text: Miriam Müller, Christoph Nicklas

Die klaren und kurzen Eckdaten zuerst, denn im Detail war das Tasting so heterogen, dass es für alle Osteuropa-Neulinge schnell unübersichtlich werden könnte: Rund 160 Weine aus zwölf verschiedenen Ländern standen Ende Juli auf den vier großen Verkostungstischen. Von den nördlicheren Anbauländern Polen und Tschechien über die Österreich-Anrainer Slowenien, Ungarn und die Slowakei bis hinunter nach Bulgarien und Nordmazedonien – inklusive Exkurs übers Schwarze Meer nach Georgien. Farblich und stilistisch war alles dabei: Rot- und Weißwein, Orange bzw. Amber, Rosé, Schaumwein, Süßwein und unter Flor Gereiftes. Ein kreatives Limit scheint es nicht zu geben. Wer bei der Kombination aus Osteuropa und Wein an Billig-Bückware im Discount-Regal denkt, liegt übrigens im Falle unserer Verkostung ziemlich weit daneben. Der Durchschnittspreis über alle Proben lag bei stattlichen 22,46 Euro. Man produziert charakterstarke Weine von hoher Qualität und ist sich dessen bewusst.

Im Tasting fanden sich sowohl spannende Vertreter aus internationalen Rebsorten, die sich an einer eher global-homogenen Stilrichtung orientieren (z. B. aromatisch sehr klassische und vertraut wirkende Sauvignon Blancs und Chardonnays oder kräftige, dunkle Merlots sowie Cabernet-Blends), aber auch solche, die das individuelle Terroir des jeweiligen Landes interpretieren. Mit Ausdruck und Eigenständigkeit überzeugten uns die autochthonen Signature-Varieties allerdings oft noch mehr als die Global Player. Und Autochthones gibt es zum Glück jede Menge: Egal ob Hárslevelű aus Ungarn, Babic aus Kroatien, Feteasca aus der Republik Moldau, Vranec aus Nordmazedonien oder Rkatsiteli aus Georgien – die heimischen Rebsorten sind teilweise unaussprechlich faszinierend.

Die farbenfrohe Vielfalt spiegelte sich nicht nur in diversen extrem modern gestalteten Etiketten wider. Auch ein Allerlei an Maischevergorenem, Unfiltriertem und Pét Nat setzte Akzente – da sprudelten nicht nur wir vor Begeisterung, sondern bei den letztgenannten Schäumern auch mitunter mal die halbe Flasche beim Öffnen auf den Tisch. Angesagte Motoren der naturalen osteuropäischen Weinstilistik sind Milan Nestarec aus Tschechien, Peter Wetzer aus Ungarn oder Vladimir Magula aus der Slowakei, die weltweit Aufmerksamkeit für den Wein-Osten erregen. Und immer mehr Winzer wie die ungarischen Produzenten Horst Hummel und Kristinus oder das Familienweingut von Edgar Brutler in Rumänien lassen die Grenzen dieser Stilistik und „normaleren“ Weinen verschwimmen.

Wie Sie bereits auf den Seiten 38 bis 43 in Ausgabe 06/2023 von MEININGERS WEINWELT lesen konnten, ist Weinbau im Osten und Südosten Europas keinesfalls ein junger Trend. Traditionsreiche Weinbauregionen wie Tokaj in Ungarn oder die georgischen Qvevri-Weine gibt es schon seit dem 11. und 12. Jahrhundert. Sensorisch lässt sich außer bei solchen Spezialitäten jedoch gar nicht so leicht differenzieren, aus welchem Land der Wein stammt. Denn generell sind die Grenzen beim Wein in Osteuropa glücklicherweise weit weniger starr und strikt, als die offiziellen politischen Trennlinien vermuten lassen. Den Einfluss aufeinander und die fließenden Übergänge zwischen den Ländern kann man besonders gut am Rebsortenspiegel erkennen. In Ungarn baut man beispielsweise Kékfrankos aus, der in Österreich noch Blaufränkisch genannt wird und beim slowakischen Nachbarn unter Frankovka bekannt ist. Königin Riesling ist als Ryzlink und Rýnsky in Tschechien und Renski Rizling in Slowenien etabliert. So gehen Länder, Menschen und deren Weine fließend ineinander über, bis jeder für sich einen klaren Kurs definiert – oder eben bewusst darauf verzichtet. Ganz gleich ob klassisch oder modern, technisch oder natural, rot, weiß oder Orange: Ost- und Südosteuropas Weinwelt war nie bewegter und spannender als heute.

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