Die deutschen Getränkeverbände sehen  ihre etablierten Mehrwegsysteme aufgrund einer fragwürdigen EU-Verordnung akut bedroht. (Foto: adragan - stock.adobe)
Die deutschen Getränkeverbände sehen ihre etablierten Mehrwegsysteme aufgrund einer fragwürdigen EU-Verordnung akut bedroht. (Foto: adragan - stock.adobe)

Deutsche Mehrwegsysteme in Gefahr

Die Verbände der Getränkewirtschaft haben sich im Mai 2023 in einem gemeinsamen Schreiben an Mitglieder des Europäischen Parlaments gewandt, um auf den aus ihrer Sicht "drohenden Kollateralschaden der PPWR für die umweltfreundlichen Mehrwegsysteme" hinzuweisen.

Die unterzeichnenden Verbände repräsentieren einige der ältesten und erfolgreichsten Mehrwegsysteme in der Europäischen Union, die nun nach Meinung der Verbände durch bürokratische Überregulierung akut gefährdet werden. Welche ökonomischen und ökologischen Folgen ein Kollaps der nationalen Mehrwegsysteme gerade im Getränkesektor für Deutschland nach sich ziehen würde, haben die Verbände mehrfach auch im Dialog mit der Bundesregierung deutlich gemacht, heißt es in einer gemeinsamen Presseverlautbarung. 

Gegenstand der Kritik ist eine für alle 27 Mitgliedstaaten verbindlichen Verordnung der EU, um angeblich die wachsende Flut des Verpackungsmülls in Europa eindämmen und die Kreislaufwirtschaft stärken. Das Vorhaben soll Mehrweg stärken, den Ressourcenverbrauch senken und die Recyclingfähigkeit von Verpackungen verbindlich vorschreiben. Soweit so gut. An einer entscheidenden Stelle jedoch fördere der Entwurf der „Packaging and Packaging Waste Regulation“ (PPWR) aus Sicht der Verbände nicht den Umweltschutz, sondern hebele ihn auf absurde Weise aus: Obwohl die Stärkung von Mehrwegsystemen gerade auch im Bereich der Getränkewirtschaft das erklärte Ziel der geplanten EU-Verordnung sei, würden bereits etablierte erfolgreiche und seit Jahrzehnten funktionierende Mehrwegsysteme durch die vorgesehenen Regelungen in ihrer Existenz gefährdet, kritisieren die Getränkeverbände. 

Die Verbände-Argumentation: In Deutschland hätten Brauereien und Mineralbrunnen schon vor über 70 Jahren damit begonnen, eigene Mehrwegsysteme aufzubauen, die bis heute bestehen. Allein die 1.500 überwiegend handwerklichen und mittelständischen Brauereien in Deutschland hätten aktuell etwa vier Milliarden Mehrwegpfandflaschen im Umlauf und erreichten damit einen Mehrweganteil von ca. 80 Prozent. "Ausgerechnet solche bewährten umweltfreundlichen Verpackungssysteme im Bereich der mittelständisch geprägten Getränkewirtschaft werden nun durch die PPWR-Pläne gefährdet – nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Staaten der EU", so die Beschwerde. Und dies, obwohl das Ziel der Regulierung eigentlich eine klare Stärkung von Mehrweg sei.

Die deutsche Getränkewirtschaft macht ihre Kritik an der Verordnung an vier Beispielen fest:

  1. "Deutschland als größte Volkswirtschaft der EU unterhält eine Vielzahl höchst unterschiedlicher, aber erfolgreicher und umweltfreundlicher Mehrwegsysteme – von den offenen Flaschenpools der Brauereien bis hin zum geschlossenen und gesteuerten Pool der Genossenschaft Deutscher Brunnen. Die Mehrwegquoten in Deutschland liegen seit Jahrzehnten weit oberhalb der von der EU für 2040 vorgesehenen Zielquoten. Die Rücklaufquoten von Mehrwegflaschen und -kästen setzen mit nahezu 99 Prozent europaweit den Maßstab für erfolgreiche Mehrwegsysteme. Die EU will nun allen Mehrwegsystemen in Europa eine einheitliche, zentralistische Verwaltungsbürokratie vorschreiben und eine Vielzahl fragwürdiger Vorschriften überstülpen – ein kompliziertes Regelwerk, das für die Kreislaufwirtschaft in Deutschland mit Milliarden-Investitionen verbunden wäre, ohne einen ökologischen Mehrwert zu bieten, und das funktionierende Mehrwegkreisläufe in der Fläche zerstören würde.
  2. Im Rahmen neuer Deklarationspflichten wird eine „dauerhaft angebrachte Kennzeichnung“ von Mehrwegverpackungen gefordert – im deutschen Mehrwegsystem, wo seit jeher mit abwaschbaren Etiketten gearbeitet wird, würde dies den Weiterbetrieb der erfolgreichen Systeme unterbinden und auf eine vollständige Vernichtung der existierenden Mehrwegflaschen- und Kastenpools hinauslaufen, weil diese dann künftig nicht mehr genutzt werden dürften, obwohl sie noch viele Jahre im Einsatz sein könnten.
  3. Den Leerraumanteil zu begrenzen, also die Luft in Transportverpackungen, mag mit Blick auf den Versandhandel sinnvoll sein – übertragen auf Wasser- oder Bierkästen würde die von Brüssel geplante Regulierung jedoch den Transport und die Lagerung von Mehrwegflaschen künftig unmöglich machen. Nur einer von vielen Punkten, an denen eine gut gemeinte Regelung weit übers Ziel hinausschießt. Offenbar hat man dabei vergessen, dass die Rückführung im leeren Zustand ein wesentliches Merkmal von Mehrwegverpackungen ist.
  4. Die im deutschen Verpackungsgesetz verankerte Rücknahmepflicht für Mehrwegverpackungen durch Letztvertreiber, die als eine Grundvoraussetzung für den erfolgreichen Betrieb von Mehrwegsystemen gilt, ist in der PPWR hingegen nicht vorgesehen. Stattdessen werden die – in Deutschland nicht vorhandenen – Systembetreiber verpflichtet, für die Rücknahme zu sorgen, ohne dass erkennbar wird, wie dies erfolgen soll."

In einem Verbändeschreiben an das Europäische Parlament heißt es: „Wir sehen den positiven Ansatz, den die EU-Kommission mit ihrem Verordnungsentwurf verfolgt. Als Vertreter aller Stufen der Mehrweg-Lieferketten unterstützen wir ausdrücklich das Ziel, Mehrweg zu fördern und zu stärken. Mehrwegsysteme leisten einen wirksamen Beitrag zum Klimaschutz und damit zu den Zielen des Green Deal." Wenn es die Politik wirklich ernst meine mit der Förderung und dem Ausbau der Kreislaufwirtschaft, dürfe sie aber nicht jene Unternehmen bestrafen, die seit Jahrzehnten in funktionierende Mehrwegsysteme investieren, warnen die Verbände.
„Wir appellieren, alles zu unterlassen, was erfolgreiche bestehende Systeme in ihrer Existenz gefährdet.“ Die vor vielen Jahren in Deutschland und auch anderen Staaten der EU etablierten Mehrweglösungen seien
durch intelligente, individuelle Lösungen groß und erfolgreich geworden – sie lassen sich nicht nachträglich in bürokratische Schablonen pressen. Die Forderung der Mehrweg-Verbände: „Erfolgreich etablierte und funktionierende Mehrwegsysteme in den Ländern Europas müssen durch einen garantierten unbefristeten Bestandsschutz gesichert werden. Gefährdet die Europäische Union durch eine unbedachte Umweltpolitik ausgerechnet die Zukunft von Mehrweg, macht sie sich unglaubwürdig.“ //gz

Mehr zum Thema ist ebenso in der aktuellen Ausgabe der GETRÄNKE ZEITUNG 11/23 in der Titelgeschichte "Kreislaufstörung" und in einem "Spezial" zu erfahren.

 

Beteiligte Verbände:

Verband Private Brauereien Deutschland e.V.

Deutscher Brauer-Bund e.V.

PRO MEHRWEG – Verband zur Förderung von Mehrwegverpackungen e.V.

Bundesverband des Deutschen Getränkefachgroßhandels e.V.

Verband des Deutschen Getränke-Einzelhandels e.V.
 

 

 

GZ 09/24

Themen der Ausgabe

Titelthema: Gleisanschluss

Industrie und Getränkefachgroßhandel nehmen die Schiene ins Visier. Dekarbonisierung und Personalmangel drängen zum Umdenken. 56 Organisationen haben zu Beginn des Jahres die „Charta für die Schiene“ unterschrieben. Die Zeit drängt, denn der Gesetzgeber verlangt bis 2030 eine CO2-Reduktion von 40 Prozent gegenüber 2018. Die Crux: eine marode Bahn.

Aktuelles Interview: Maximilian Huesch

Maximilian Huesch ist Logistikexperte, Beirat und geschäftsführender Partner bei Huesch & Partner. Im Interview mit der GZ macht der Profi deutlich, vor welchen Herausforderungen die Branche steht, den Verkehr aufzugleisen.

Gastkommentar: Marcus Vollmers

Marcus Vollmers ist Geschäftsführer der Get N GmbH & Co. KG in Langenhagen, einem bundesweiten Zusammenschluss regional marktführender Getränke-Fachgroßhandelsunternehmen. Im Gastkommentar erklärt der Geschäftsführer, welche Vorteile eine stärkere Nutzung des Schienenverkehrs in Bezug auf Nachhaltigkeit und Bewältigung des Fachkräftemangels bieten.