"Weintourismus besitzt hohes Potenzial"

Im Zuge des Wellness- und Genussreisen-Booms haben auch hierzulande Winzer und Kommunen den Wein als Tourismusfaktor entdeckt. In der Praxis hingegen hapert es häufig noch: Bieten viele Weingüter in Übersee ihren Kunden längst attraktive Erlebnispakete an, hinkt die heimische Weinwirtschaft noch hinterher. Es besteht Entwicklungsbedarf, denn »der Weintourismus besitzt ein hohes Potenzial«, wie Prof. Dr. Dieter Hoffmann von der Forschungsanstalt Geisenheim in seinem Vortrag »Die wirtschaftliche Bedeutung von Weinbau und Tourismus« betonte.

Wolle man das Thema Wein zum touristischen Schwerpunkt einer Region machen, empfehle es sich, zunächst die wirtschaftlichen Besonderheiten des Weinbaus zu betrachten, erklärte Hoffmann: »Wir haben es überwiegend mit regionalen Kleinunternehmen und Familienbetrieben zu tun, die außerordentlich flexibel mit wirtschaftlichen Veränderungen umgehen können. Zudem besteht eine starke Vernetzung mit lokalen Zulieferern und Dienstleistern.« Der Weinbau schaffe lokale Arbeitsplätze in der Region, auch für weniger qualifizierte Menschen, die heute zunehmend von Arbeitslosigkeit betroffen seien. Weintourismus könne nur dann funktionieren, wenn die gesamte Region als Wirtschaftsraum begriffen werde.

Auch der Weintourismus selbst sei nicht nur produkt- sondern stets auch regionalspezifisch zu sehen, sagte Hoffmann. »Die Landschaft ist ein wichtiger Wertschöpfer. Gerade die Städter suchen das Landschaftserlebnis.«

Dies bestätigte auch Bert Hallerbach vom Europäischen Tourismusinstitut, das am Beispiel Rheinland-Pfalz ein detailliertes Meinungsbild der Weininteressierten erstellt hat. »Die Attraktivität der Weinregionen wird von den Menschen wahrgenommen«, sagte er. »Doch nur für einen geringen Prozentsatz stellt das Thema Wein ein eigenständiges Reisemotiv dar. Wein ist ein Thema, das man am besten in einer Kombination verkaufen kann - etwa mit Radtouren und Wanderungen, aber auch mit gutem Essen und Kulturangeboten.« Der typische Weintourist ist gebildet, kultiviert, anspruchsvoll und hat die 50 überschritten. Den Bedürfnissen und Wünschen dieser Zielgruppe gerecht zu werden, ist nicht leicht, lohnt sich aber: »Siebzehn Prozent der erwachsenen Bevölkerung sind für über siebzig Prozent des Umsatzes im Weintourismus verantwortlich«, sagte Hallerbach.

»Der Weintourist ist bereit, etwas mehr Geld auszugeben.« Entsprechend auch das zu beobachtende Verhalten bei den Übernachtungen: Hotels und Winzerhöfe stehen ganz oben auf der Liste, gefolgt von Ferienwohnungen und Pensionen. Camping bildet das Schlusslicht, wenngleich Wohnmobile hier zunehmend eine Nische füllen. Daneben spielen vor allem Tagesausflügler eine große Rolle. Hoffmann: »Der klassische Weintourismus speist sich aus der Region und nicht aus weiter Ferne.« Es gebe jedoch »viele Touristen, die am Wein noch vorbeilaufen«. Diese müsse man »spielerisch für den Wein interessieren«.

Ein leuchtendes Beispiel dafür, wie dieses Vorhaben erfolgreich umgesetzt werden kann, gibt das Weintourismuskonzept Franken. Die 2007 gestartete Kampagne »WEIN.SCHÖNER.LAND« wurde auf der INTERVITIS INTERFRUCTA mit dem Innovationspreis ausgezeichnet. Über gezielte Qualifizierung, Zertifizierung und den Ausbau der regionalen Infrastruktur sei es gelungen, »alle Akteure des ländlichen Raumes« miteinander zu vernetzen, erklärte Dr. Hermann Kolesch von der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau. »Wein ist ein Lebensgefühl, das sich nicht allein über die Produktqualität definiert. Das Image des Weines ist immer auch das Image einer Region - und umgekehrt.« Weitere interessante Ansatzpunkte stellten am Nachmittag die Interessengemeinschaft »Urlaub beim Rheinhessenwinzer«, der Trierer Gastronomiebetrieb BECKER‘S, das Konzept »SANDGRUBE 13 wein.sinn« der österreichischen Winzer aus Krems und die »Flying Weindozentin« Dr. Gabriele Brendel vor.

Quelle: Messe Stuttgart

ddw 08/24 vom 19. April 2024

Themen der Ausgabe

Weinbau

Die neue Humustheorie

Interview

ddw im Gespräch mit Ron Richter von klimafarmer
und Philipp Wedekind vom Weingut Wedekind

Kellertechnik

Entwässerungssysteme richtig planen