Ausgabe 04/2019

Leicht bitter im Abgang

ddw4/2019

Das Jahr ist noch jung, trotzdem liegen die meisten
Weinbautagungen schon hinter uns und
somit auch viele Fachvorträge, die mit neuen
Erkenntnissen aufwarteten oder bekannte Problemfelder
eingehend beleuchteten. Wenn man
schwarzseherisch veranlagt ist, konnten einige der Informationen,
die man von den Podien zu hören bekam, durchaus
einen etwas bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Etwa die
Schlussfolgerungen aus der Betrachtung des Huglin-Index,
wonach die klimatischen Bedingungen in der Pfalz 2018
eher günstig für Merlot und Syrah, weniger jedoch für Müller-
Thurgau und Riesling waren.
Bitter ist auch die Tatsache, dass die Nitratbelastung besonders
in traditionellen Weinbaugebieten derart hoch ist,
dass diese bereits als »Rote Zonen« ausgewiesen
sind. Jedem, der schon mal von
der neuen Düngeverordnung gehört hat,
dürften spätestens jetzt die Ohren klingeln.
Weitere Hiobsbotschaften gab es von betriebswirtschaftlicher
Seite: Die Rentabilität
vieler Weinbaubetriebe scheint desaströs.
Annähernd die Hälfte verdient wohl so gut
wie nichts oder zu wenig, um in die Zukunft
investieren oder fürs Alter vorsorgen zu können.
Wenn Sie meinen, ich hätte mein bitteres Pulver damit
schon verschossen, darf ich den drohenden »Badischen Brexit
« nicht unerwähnt lassen. In meiner Heimat sind Betriebe
vom Taubertal bis ins Markgräflerland auf dem besten Weg,
den Briten nachzueifern (siehe S. 6). Sie möchten sich nicht
etwa von Württemberg abspalten, was manch badischer Patriot
vielleicht noch nachvollziehen könnte. Nein, sie kündigen
der gemeinsamen Weinwerbung ihre Gefolgschaft auf.
Und nehmen damit in Kauf, dass gewachsene Strukturen zerstört
und EU-Fördergelder in den Wind geschossen werden
— vom ramponierten Image ganz zu schweigen. Natürlich gibt
es Gründe, die die Kritik an der Weinwerbung rechtfertigen,
so wie es auch Gründe für die Briten gibt, die EU zu verlassen.
Ob die erhofften Vorteile allerdings den Schaden aufwiegen,
den die Austritte mit sich bringen werden, ist fraglich.
Soweit so unschön. Doch wenn Sie nach dieser kurzen Auflistung
schon richtig mies gelaunt sind, dann greifen Sie bitte
weder zum Revolver noch zum nächstbesten Glas Wein. Zumindest
nicht, wenn sie ein sogenannter »Bitterschmecker«
sind. Denn auch beim aktuellen Jahrgang sind leichte Bitternoten
nicht auszuschließen. Keine Angst, ich möchte Ihnen
den hochgelobten 18er nicht auch noch schlecht reden, man
kann nämlich alles auch positiv betrachten und sollte das
sogar tun. Glaubt man dem amerikanischen Nobelpreisträger
Robert Shiller, können negative Gedanken nämlich sogar
Wirtschaftskrisen auslösen. Man kann sich eine Krise also
ganz einfach herbeireden. Darauf sollten wir in der Weinbranche
verzichten, denn wenn wir unsere Situation positiv
betrachten, werden wir feststellen, dass die Badener cleverer
sind als die Briten und im letzten Moment eine Lösung im
Sinne der Gemeinschaft finden. Im Hinblick
auf die übrigen Herausforderungen
sollte es uns positiv stimmen, dass wir
uns nie zuvor so gut auf sie vorbereiten
konnten wie heute. Das verdanken
wir u.a. den Wissenschaftlern, die ihre
Erkenntnisse an uns weitergeben. Wer
wüsste ohne sie schon vom Huglin-Idex
oder davon, wie man
mit einer unserer wichtigsten Ressourcen,
dem Boden, (siehe Seite 32 ff.) oder auch
mit Bitternoten richtig umgeht?
Wie ich beim Weingenuss mit Bitterkomponenten
umgehe, kann ich Ihnen
sagen. Ich sehe sie als Beitrag zur Komplexität.
Außerdem fördert eine leichte
»Bitterness« den Trinkfluss. Millionen
Gin-Tonic-Trinker können nicht
irren. F