Fester Stand & Weiter Blick

Junge Winzer aus Baden und Württemberg schätzen ihre Tradition und halten sie hoch. Aber sie scheuen nicht davor zurück, sie ein wenig umzukrempeln. Schliesslich wollen sie raus aus der Bequemlichkeitsnische – ab in die deutschlandweite Gastronomie!

Weinberge in Schelingen am Kaiserstuhl

Ja. Ja. Ja. Das ist das Land der Spätzle, der Seitenwürstle und Kuttele. Oder besser das heilige Ländle. Hier heißen die Winzer nicht Winzer, sondern werden viel romantischer Weingärtner oder bodenständig Wengerter gerufen. Um zu den Winzern zu gelangen, fährt man vorbei an urigen Obstbäumen, an kleinen Bächen, Wegkreuzen, Wingersthäuslen und ein Pfeife rauchender Opa auf dem Trecker nimmt einem die Vorfahrt. Einer, der selbstverständlich nur heimischen Wein trinkt und wahrscheinlich eine der vielen hiesigen Winzergenossenschaften mit gegründet hat. Aber nein, nein, nein. Das ist ja nicht alles. Die badischen und württembergischen Jungwinzer als Revoluzzer zu bezeichnen, wäre bestimmt falsch. Nicht die Art Menschen, die sich im Stuttgarter Hauptbahnhof grölend zu den Demonstranten stellen. Zu traditionell, zu heimatverbunden, zu gediegen. Aber urig oder gar behäbig sind sie keinesfalls. Im Schwarzwaldhäuschen wohnen: Ja. Spätzle mit Soße: Ja. Aber die Weine, die sollen doch bitte modern sein – und in Zukunft nicht nur von den Landsleuten getrunken werden!
 

Baden

ALEXANDER LAIBLE: DER RASTLOSE ENERGIE-MENSCH

Alexander Laible aus BadenDieser Mann ist ein Schelm, ein sympathischer Schelm. „Wein ist nicht nur der Sex des Alters, sondern auch der Sex der Jugend, oder?“ Alexander Laible wirkt manchmal wie Anfang 20, zum Beispiel dann, wenn er sein Lieblingswort „obergut“ benutzt und sagt, dass seine Weine bei aller Komplexität einfach lecker sein und Spaß machen müssen. Er wirkt kein bisschen müde, obwohl er innerhalb weniger Jahre etwas geschafft hat, wofür andere Winzer eine gesamte Generation Zeit brauchen: Er hat ein sehr erfolgreiches Weingut aus dem Nichts gestampft. Von 0 auf 100, oder besser 150. Laible ist der jüngere Sohn, aufgewachsen in einem erfolgreichen VDP-Weingut, der 2007 sein eigenes Ding durchgezogen hat. Nach der Techniker-Ausbildung war er Betriebsleiter an der Mosel, hat dann überlegt, einen Betrieb in der Pfalz zu übernehmen, 2004 eine Ich-AG gegründet und für sechs verschiedene Weingüter gearbeitet. Dabei blieb er immer ein Rastloser, ein Suchender. „Ich wollte immer einen eigenen Betrieb.“ 2006 bot sich die Chance in der alten Heimat, in Durbach: Der Cousin verkaufte seine alten Weinberge, Laible pachtete weitere Hektar dazu, die Halle einer insolventen Großbäckerei wurde gekauft und komplett aus- und umgebaut. Und das alles im Stakkato – mit Hilfe der dort ansässigen Bruderschaft. Ja, richtig gelesen! „Über Monate hinweg haben die Klosterbrüder geholfen zu renovieren. Nach dem Morgengebet wurden die braunen Kutten ausgezogen und rein in die Blaumänner. Zwei Tage vor der Lese waren wir fertig.“ Laible quietscht vergnügt, als könne er sein Glück bis heute selbst nicht fassen. Namhafte Magazine feiern ihn, an Veranstaltungen wie „Die goldene Kamera“ wurden Weine von ihm ausgeschenkt. Seine Weine sind so energiegeladen, kraftvoll und jugendlich, wie er selbst. Der Mann braucht keinen Anlauf, er springt aus dem Stehen mehrere Meter.

www.weingut-alexanderlaible.de

 
FRANZISKA SCHÄTZLE: 10 PROZENT VULKAN
 
Franziska Schätzle aus Baden
„Ich bin zu 90 Prozent der Diplomat und zu 10 Prozent der Vulkan“, sagt Franziska Schätzle über sich selbst. Die Winzerin vom Kaiserstuhl – Deutschlands wärmste Weinbauregion und ein erloschener Vulkan – ist der ruhige Denker-Typ, reflektiert, abwartend, mit hoher Stirn und Brille. Die älteste Tochter von drei Mädchen. „Ich habe schon als Grundschulkind gegenüber Kunden behauptet, dass ich Winzerin werde.“ Nach dem Abitur fing sie in Geisenheim das Oenologie-Studium an. Immer wieder zog es sie nach Frankreich. „Burgund ist mein Vorbild. Klar, bei der Sortenstruktur.“ Zu einem Drittel stehen Grauburgunder-, zu einem weiteren Drittel Spätburgunder-Reben auf den Weingutsflächen. Sie sieht ihre Stärke in der Erzeugung eleganter Weine mit viel Nachhall. „Wir wollen viel Geschmack, aber nicht zu dominante Weine.“ Der Kaiserstuhl ist die einzige Region Deutschlands, die zur sonnigen EU-Weinbauzone B gehört. Es gelten andere Regeln in Bezug auf Mindestmostgewicht oder Entsäuerung. Ob sie Probleme mit zu hohen Alkoholwerten hat? „Nein. Unsere Schelinger Lagen sind bis zu 400 Meter hoch und aus dem Wald oben am Berg ziehen kühle Abwinde ins Tal. Wir haben dadurch eine abwechslungsreiche Tag-Nacht-Gleiche und erhalten eine gute Säurestruktur im Wein.“ Welche Rebsorte wo wächst, wird abhängig vom Boden entschieden. An Böschungen liegt das Vulkangestein frei: weiße Adern, rötliche Erde, schwarzes Gestein. Die geschwungenen Terrassen sind teilweise so klein parzelliert, dass die Bewirtschaftung so aufwendig ist wie bei Steillagen. Franziska Schätzle lässt den Blick schweifen. Bei guter Sicht kann man von hier die Vogesen sehen. Eine Smaragdeidechse sonnt sich auf einer kleinen Mauer. „Ich bin gerne Badenerin.“ Die Winzerin strahlt eine angenehme Ruhe aus, ein Gefühl von Angekommensein.

www.weingutschaetzle.de

 

Württemberg

JENS ZIMMERLE: VOM MISCHPULT AN DIE KELTER

Jens Zimmerle mit Vater aus Württemberg
Er wollte eigentlich immer saubere Finger haben. Keine blau verfärbten Winzerhände mit Schrunden und Schwielen. Bevor Jens Zimmerle Schrift lesen konnte, konnte er Noten lesen und als DJ in Stuttgarter Clubs hatte er mit dem Felddreck zu Hause nichts mehr zu schaffen. „Das Weingut hat mir dann doch gefehlt und so bin ich zügig wieder zurückgekommen“, sagt er und studierte in Heilbronn Weinbetriebs-
wirtschaft. Seine Weine heißen heute Steige, Vogel, Architekt oder Egoist. Die Basis-Linie wurde Essenziell getauft, die Top-Weine Goldadler. Sehr individuell, sehr persönlich. Dahinter verstecken sich Riesling, Chardonnay, Sauvignon Blanc, und zu 70 Prozent Rotwein-Sorten wie Spätburgunder, Samtrot oder Lemberger und Trollinger. „Württemberg ist – neben Saale-Unstrut und Sachsen – das am meisten unterschätzte Anbaugebiet in Deutschland. Für viele Gastronomen und Händler stehen wir nur für Trollinger. Das ist erschreckend.“ Aber genau darin sieht er auch eine Chance und Herausforderung: „Wir müssen rausgehen und die Leute überraschen. Und ich bin lieber der erste Württemberger bei einem Händler als der 27. Rheingauer.“ Der Vater belieferte noch zu 85 Prozent Privatkundschaft, Jens Zimmerle hat die Zahl auf 30 runter geschraubt. Handel und Gastronomie werden immer wichtiger. Er hat viel verändert, aber auch einiges beibehalten: Dass er beispielsweise die alten Streuobstwiesen pflegt und weiterhin Schnaps brennt, gehört für ihn nicht nur zur Tradition, sondern ist ein Beitrag zum Thema Nachhaltigkeit. „In Stuttgart Mitte hocken sie auf den Bäumen und sagen: Bitte nicht fällen! Und hier ist es egal“, sagt er entrüstet. Seine Weine sind seit neustem FairChoice zertifiziert; ein Siegel, das für ökologische, soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit steht.

www.zimmerle-weingut.de

 
ANDREAS KNAUSS: STAHLBLAUE AUGEN WIE DIAMANTEN
 
Viel helles und freundliches Holz, aber auch schwere Betonwände und kalter Stahl. Man sagt, Häuser passen zu ihren Erbauern, genau wie Weine zu ihren Winzern. Der Neubau von Andreas Knauß hebt sich von der Umgebung ab, will dazugehören, aber auch auffallen. Die klare Linienführung erinnert an den österreichischen Architektur-Stil. Bestimmt kein Zufall, denn Knauß hat ein Praktikum im Burgenland absolviert, was „stilprägend“ für ihn war. Der Dreißigjährige ist nach seiner Meister-Prüfung in Weinsberg im Jahr 2003 ins elterliche Weingut eingestiegen, der Vater war ein Quereinsteiger im Nebenerwerb. „Ich will wieder mehr Weinbauer sein“, sagt der Sohn heute, meint die Fokussierung auf die Arbeit im Weinberg und wirkt dabei aber so gar nicht bäuerlich. Sein Glück – denn wahrscheinlich konnte er nur so, mit unbekanntem Namen, Sommeliers der Top-Gastronomie von sich und seinen Weinen überzeugen. „Zwischen 2003 und 2006 habe ich in der Gastronomie Klinken geputzt. So nach dem Motto: Ich komm’ mal vorbei! Viele Sommeliers hatten natürlich erst keine große Lust, aber ich konnte ein eigenwilliges Produkt anbieten!“ Zwei Drittel der Weine im Betrieb sind Rotweine. „Natürlich auch Trollinger und Lemberger. Die gehören hierher wie Mercedes und Porsche.“ Von kitschigen Vertretern der Traditionsrebsorten nimmt er allerdings Abstand, kilometerweiten Abstand. Den Zugang zum Trollinger hat er wohl deshalb erst sehr spät gefunden: „Vor fünf Jahren habe ich kaum Trollinger getrunken. Heute ist er die geheime Liebe.“ Er könnte alle seine Weine im Ländle verkaufen, will es aber nicht. Dass seine Weine auch im Export gut vertreten sind – in den USA, den Niederlanden oder China – macht ihn stolz. Bei den weißen Rebsorten dominieren Riesling, Grauburgunder und Chardonnay. Wie der Winzer so die Weine? Knauß ist ein offener und herzlicher Mensch, aber er hat eisblaue und kühle Augen, die ihm eine gewisse Zurückhaltung und Coolness verleihen. Passt!

www.weingut-knauss.com

Christian Dautel aus Württemberg

 
CHRISTIAN DAUTEL: DER GEGENSÄTZLICHE
 
Müsste man den Beruf von Christian Dautel erraten – kaum einer würde ihn als Winzer erkennen. Anstelle des beliebten Karohemds trägt er ein Streetart-T-Shirt, die Rastazöpfe hat er locker zusammengebunden, sein Gang ist von Lässigkeit geprägt und unter der Jeans darf auch die Boxershorts herausschauen. Er würde als Barkeeper durchgehen oder professioneller Skater oder Musiker – bis zu dem Zeitpunkt, an dem er anfängt zu reden. Sein Motto auf der Homepage von Generation Riesling: „Keine Kompromisse!“ Bämm! Von wegen „Komm ich heut nicht, komm ich morgen“. Dieser Mann kommt heute, auf die Minute, und er weiß genau, was er will. „Ein großer Wein muss erstens die Rebsorte respektieren, zweitens das Terroir erkennbar machen, drittens eine gute Lagerfähigkeit bieten und viertens Spaß machen.“ Die Qualitätsphilosophie wird so konsequent durchgehalten, dass jeder Weinberg drei Mal gelesen wird. Jeder! „Bis vor zwei Jahren hatten wir Dornfelder. Ja, auch den haben wir drei Mal gelesen.“ Dautel arbeitet seit 2010 hauptberuflich im elterlichen VDP-Weingut. Er studierte Oenologie in Geisenheim und sammelte zahlreiche Erfahrungen in Australien, Afrika, Österreich, den USA oder Frankreich. Zum 12 Hektar großen Weingut gehören vor allem Riesling- und Spätburgunderflächen, aber auch Lemberger und Weißburgunder. „Ich habe erst in Südafrika gemerkt, was wir für geile Pfeffernoten haben, vor allem beim Lemberger.“ Dass der Globetrotter irgendwo auf der Welt hätte hängen bleiben können, findet er unrealistisch. Und da ist sie wieder, die starke Verwurzelung der hier vorgestellten Winzer: „Ich hatte immer unseren Betrieb zu Hause im Blick. Wir sind ein kleiner Familienbetrieb. Mama und Papa sind meine Hauptmitarbeiter. Das hier ist old-schoolschwäbisch.“

www.weingut-dautel.de

 
 
HEIKE & CHRISTOPH RUCK: DIE SYMPATHISCHEN VON DER WEIN-ALM
 

Das Ehepaar Ruck aus Württemberg

Hau ruck! Mehr Ruck als Hau! Heike und Christoph Ruck liegen gediegen in den legeren Kunststoff-Sesseln, die Beine ausgestreckt, schwere Feldschuhe an den Füßen und die grünen Schafferhosen noch an. Ihr Weingut, das mit Hirschgeweihen, einer schwarzen Bar und schweren Bänken aussieht wie eine Wein-Alm, befindet sich inmitten von Gärtnereien. Wie Ggärtner arbeiten sie das ganze Jahr draußen, aber – und das ist für sie der entscheidende Unterschied – „Wir wollen das Endresultat sehen, sonst könnten wir auch Kartoffeln anbauen“. Eine winzige Spur Trotz und Eigensinn klingen da an: Der Großvater von Heike Ruck war Genossenschaftswinzer, mit Top-Terrassenlagen im Cannstatter Zuckerle. „einfach Trauben abliefern? Ich war immer der Meinung, dass das besser gehen muss.“ Christoph Ruck stammt aus einem fränkischen Winzerbetrieb. „Silvaner in Württemberg – das will ich irgendwann ausprobieren“, sagt der Franke, der aber „mittlerweile voll akklimatisiert ist“, wie seine Frau sagt. Da er der jüngere Sohn war, hat er zuerst nicht in betracht gezogen, Winzer zu werden. beide Rucks haben zunächst ein studienfremdes Fach studiert und sich dann im Zweitstudium in Geisenheim kennen- und lieben gelernt. Heute bauen sie vor allem Lemberger und Trollinger an, aber auch Riesling oder Sauvignon Blanc. „Württemberg war lange Zeit wie die Schweiz. Die Weine wurden immer von den einheimischen getrunken. Der Schwabe stellt sich auch nicht gerne selbst dar und so hatten wie lange Zeit einen seltsamen Ruf“, sagen die beiden selbstkritisch. Die Winzer säßen „mitten im Speckgürtel Stuttgarts“ und mussten sich für die Vermarktung nicht sehr anstrengen. „aber heute merken die Winzer, dass sie mit Kuschelweinchen nicht weit kommen. Wir brauchen Weine, die mehr polarisieren“, findet Christoph Ruck. ihre Weine werden vermarktet unter dem namen Weingut Rux, „die Rucks eben“. Sympathisch, prägnant, Rux.

www.ruxwein.de

 
Sina Listmann

 

Weinempfehlungen

2012 Weißburgunder Gipskeuper trocken
Christian Dautel/Bönnigheim
 
Birne, Banane, Ananas, Nektarine, salzig-mineralisch, gehaltvoll, feinfruchtig, schöne Cremigkeit, zartrauchig, edel
 
2012 Schelinger Kirchberg „Weißer Schatz“
Grauburgunder Spätlese trocken
Franziska Schätzle/Schelingen
 
opulente Nase: viel Nuss, buttrig, Quitte, cremig und stoffig am Gaumen, mittlere Länge
 
2012 Chardonnay Chara
Alexander Laible/Durbach
 
gold-gelbe Farbe, intensive gelbe Früchte, Mango, Mandarine, dichte Struktur, reife Quitte, Chara (Griechisch) bedeutet Freude
 
2012 GrauWeisse Reben S trocken
Andreas Knauß/Weinstadt
 
Cuvée aus 40 Prozent Grau-, 40 Prozent Weißburgunder, 20 Prozent Chardonnay, Holz, Birne, Aprikose, Quitte, Charaktertyp!
 
2012 Essenziell Rosé trocken
Jens Zimmerle/Korb
 
Saignéemethodik, 30 Prozent Schwarzriesling, lachsfarben, frische Himbeer- und Erdbeernoten, Grapefruit, leicht, erfrischend, ideal für die Bar!
 
2011 Lemberger trocken Alte Reben
Heike & Christoph Ruck/Stuttgart-Mühlhausen
 
Brombeere, dunkle Herzkirsche, Würze, ein bisschen Mocca, Wein mit Ecken und Kanten, braucht Luft, am besten dekantieren
16,00 Euro; www.ruxwein.de

01-24

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

PROFILE

Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

PROBE

Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote