Ausgabe 9/2022

WEINWIRTSCHAFT 09/2022

Themen der Ausgabe

ProWein

Messeführer, Produktneuheiten, Ausgeh-Tipps und mehr. Alles Wichtige zur ProWein 2022.

Ahr

Ein Jahr nach der Flutkatastrophe war WEINWIRTSCHAFT wieder im Ahrtal unterwegs. Die örtlichen Weinerzeuger sehen noch viele Probleme, mit denen sie konfrontiert sind, aber auch die »Chancen für Visionen«. 

Württemberg

Die Heimat von Trollinger und Lemberger schaut optimistisch in die Zukunft - und entdeckt die Weißweine für sich.

Interview

Michael Degen von der Messe Düsseldorf über die ProWein 2022, seine Erwartungen und die Zukunft der Messe.

Sommerwein

Was macht den perfekten Sommerwein aus? Händler und Erzeuger äußern sich zur startenden Saison und geben eine Prognose für die Trends ab. Die Meinungen sind dabei diverser, als man es im ersten Moment vermuten würde.

Einzelheft bestellen oder Abo abschließen:

» hier entlang!

Nicht normal

Wenige Tage vor der ProWein stelle ich fest, dass die Vorfreude wächst. Es ist eine schöne Aussicht, viele Menschen wieder zu treffen, zu denen man in den vergangenen zwei Jahren nur virtuellen Kontakt hatte. Während das gedankliche Messeprogramm bei mir immer weiter wächst und bei realistischer Betrachtung längst die »Nicht-machbar«-Grenze durchbrochen hat, wächst gleichzeitig die Wehmut über die Menschen, die ich schon allein deshalb nicht treffen kann, weil sie nicht nach Düsseldorf fahren.

Südafrika, Australien und Neuseeland werden nicht mit Gemeinschaftsständen vertreten sein. In Neuseeland macht man sich z.B. Sorgen, Probleme bei der Wiedereinreise in die Heimat zu kriegen. Man muss kein Hellseher sein, um zu ahnen, dass sich auch viele Besucher von anderen Kontinenten dieses Jahr gegen einen Trip nach Düsseldorf entscheiden werden. Die Internationalität, die von der ProWein als Aushängeschild getragen wird, ist 2022 eingeschränkt.

Doch nicht nur Aussteller, die von ganz weit weg kommen, werden bei der diesjährigen ProWein nicht dabei sein. Selbst einige große deutsche Unternehmen haben sich gegen eine Teilnahme entschieden, z.B. Rotkäppchen-Mumm, Peter Mertes, ZGM oder Mack & Schühle. Auch von den Gemeinschaftsständen hört man, dass die Weingüter weniger enthusiastisch als in der Vergangenheit sind.

Wird die ProWein deshalb ein Desaster? Ich glaube nicht. 5.500 Aussteller sind zwar 20 Prozent weniger als die 6.900, die 2019 nach Düsseldorf reisten, aber immer noch eine sehr große Anzahl. Natürlich wird es nicht nur weniger Aussteller, sondern auch weniger Besucher auf der Messe geben. Und es wird auch wieder Aussteller geben, die sich während der drei Tage langweilen, zumal die Vorbereitung in diesem Jahr erschwert unter unsicheren Zeichen stattfand. Aber ich bin überzeugt, dass es viele gibt, die gar nicht erwarten können, dass die ProWein endlich wieder losgeht. 

Wine Paris, Vinitaly und Mainzer Weinbörse haben gezeigt, dass es eine große Sehnsucht nach Branchentreffpunkten gibt. Genau das war schon bei den wenigen Veranstaltungen spürbar, die 2020 und 2021 stattfanden. Deshalb bin ich mir sicher, dass die Besucher der ProWein zufrieden nach Hause fahren werden. 5.500 Aussteller bieten einfach ein Angebot, bei dem die Ziele jedes Besuchers nicht machbar sein werden. Das Fernbleiben manches Ausstellers bietet für den Besucher dagegen sogar die Chance, manches anzugehen, für das in der Vergangenheit keine Zeit war, weil man ja ein Programm abzuarbeiten hatte und mancher Geschäftspartner beleidigt gewesen wäre, wenn man nicht bei ihm gestoppt hätte. 

Die ProWein wird weder normal noch »new normal« sein. Sie wird nicht normal sein. Das bietet Chancen. Ich gehe davon aus, dass die Flexibilität der Besucher deutlich höher ist als in der Vergangenheit, und während in den letzten zwei Jahren bekannte Marken Sicherheit verliehen, kann jetzt die Bereitschaft wieder größer sein, sich auf etwas Neues einzulassen, denn viele haben mit der Pandemie gedanklich abgeschlossen und wollen nun wieder raus aus dem Alltagstrott.

All das steht unter einem großen Vorbehalt. Russland ist jederzeit in der Lage, die Weinbranche wie die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft durcheinander zu wirbeln. Aus Sicht der von Glas abhängigen Weinwirtschaft wirkt das Schließen des Gashahns dabei fast so bedrohlich wie Atombomben. Diese Unsicherheit, die über uns allen schwebt, wird die Gespräche auf der ProWein genauso prägen wie die Wiedersehensfreude. 

Gerade wegen der Unsicherheit, die uns in Folge der ohnehin schon problematischen Warenverfügbarkeit seit Monaten beschäftigt, ist die Messe jetzt so wertvoll, denn ein vertrauensvolles Zusammenarbeiten und ein gemeinsames Suchen nach flexiblen Lösungen lassen sich im direkten Austausch am besten bewerkstelligen. So kann die nicht normale ProWein in nicht normalen Zeiten die Basis für das Wirtschaften der nächsten Monate legen. 

Vielleicht wird 2022 eine ProWein der Besucher und nicht der Aussteller. Jeder Aussteller kann aber davon langfristig profitieren, wenn er dafür sorgt, dass es eine Messe der zufriedenen Besucher wird, statt über ausbleibende Geschäfte zu klagen. Clemens Gerke