Ausgabe 8/2022

WEINWIRTSCHAFT 08/2022

Themen der Ausgabe

Baden

Wein aus dem Garten Deutschlands? Deutschlands drittgrößtes Weinbaugebiet muss sich neu erfinden und verändert seinen langjährigen Slogan. Von der Sonne verwöhnt sehen sich die Erzeuger jedoch weiterhin.

Rosé

Der Trend zu Roséweinen hält an. Auch Rosés aus Deutschland profitieren mit Vielfalt im Glas von der anhaltend positiven Nachfrage

Interview

Die DWI-Geschäftsführerin Monika Reule über alkoholfreien Wein, höhere Abgaben und Frauen in Wein-Gremien.

VDP.Weinbörse

Die besten Guts- und Ortsweine in der Verkostung, inklusive der neuen »Aus den Lagen«-Weine vom Weingut Christmann.

Vinitaly

Die Vinitaly feiert trotz Besucherrückgang ein gelungenes Comeback.

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Ist weniger mehr?

Schuster, bleib bei deinen Leisten«. »Besinne dich auf deine Stärken«. »Weniger ist mehr«. Dererlei Kalender- und Glückskeks-Weisheiten kennen wir wohl alle zur Genüge. Das Schöne an diesen Life-Coaching-Mantras ist: Sie treffen oft zu. Ein Beispiel aus der Weinbranche: Erst kürzlich machte das Weingut von VDP-Präsident Steffen Christmann und Tochter Sophie mit eben jener Strategie auf sich aufmerksam: Man wolle sich auf das Wesentliche fokussieren und hat so den bekannten VDP-Pyramiden-Unterbau aussortiert. Statt Guts- und Ortsweinen gibt es jetzt eine eigene »Aus den Lagen«-Klassifikationsstufe.

Nun mag man sich wundern, dass ausgerechnet der Präsident des Verbandes, der die vierstufige Herkunftspyramide in Deutschland maßgeblich eingeführt hat, mit genau jenem Vierklang bricht und die unteren beiden Stufen aus dem Konzept streicht. Jetzt also doch jeder, wie er mag?

Auf den zweiten Blick ist der Schritt jedoch konsequent und entspricht genau der Philosophie der Spitzenwinzerei: nicht äußere Zwänge, Traditionen à la »das haben wir schon immer so gemacht« bestimmen, was in die Flasche kommt. Sondern einzig, was der Weinberg zu bieten hat. Und wer sich nur auf Toplagen fokussieren möchte, sollte nicht von einem einmal festgelegten System forciert werden pro forma zwei Qualitäten anzubieten, die sich betriebswirtschaftlich nicht ergeben.

Sich auf seine Prioritäten konzentrieren, den Fokus schärfen – das ist ein Rat, den man vielen Unternehmern zurufen möchte, etwa wenn die Pizzeria an der Ecke meint, auch chinesisches Takeout anbieten zu müssen. Das gilt auch für so manches Weingut, das es nicht wagt, das tradierte Alles-für-jeden-(Gaumen)-Sortiment zugunsten einer präziseren -– und verständlicheren – Portfolio-Gestaltung zu überarbeiten. Braucht es wirklich jeden Grau- und Weißburgunder, jeden Riesling in drei verschiedenen Restsüßegraden? Jede Scheurebe, jeden Muskateller, Secco, Sekt, jede »Reserve«, »Große Reserve«, Fass 1–12? »Der Kunde will das so«, ist meines Erachtens eine Fehleinschätzung, die nur schlimmer wird, je länger man sie ignoriert. 

An anderer Stelle hingegen macht der Gemischtwarenladen durchaus Sinn: Große Erzeuger und Kellereien, die verschiedene Kanäle und Preissegmente bedienen, können gar nicht anders. Sie erfüllen schlichtweg eine verifizierbare Nachfrage am Markt – im Gegensatz zum vorgenannten Weingut, das versucht, jeden einzelnen Stammkunden mit seinen spezifischen, aber oft wenig marktrelevanten Wünschen zu bedienen. 

Angebot und Nachfrage sind in der Weinwelt zwei sehr unterschiedliche Konzepte. Wo der VDP-Winzer seinen Kunden über eine bestimmte Handschrift und Verknappung zur Nachfrage erzieht, reagiert die Großkellerei auf das, was Otto Normal im Supermarktregal stehen sehen will – und zwar am besten immer und zum gleichen Preis. Wie schwierig sich letzteres vor allem derzeit gestaltet, haben wir an dieser Stelle bereits vielmals kommentiert. 

Wer dagegen überschaubare Mengen händelt, für den ist die erstere Strategie die nachhaltigere. Lieber von der einen oder anderen Sortiments-Kategorie verabschieden, um sich nicht im Kleinteiligen zu verzetteln, und stattdessen mit klugem Produkt-Konzept die eigene Marke stärken. Dass einem Winzer jeder einzelne seiner Weine über die Jahre ans Herz gewachsen ist, ist dabei mehr als verständlich. Jeder, der schon mal etwas eigenes geschaffen hat, wird nachfühlen können, wie schwer es ist, sich davon zu trennen. Uns Journalisten geht es da im Übrigen nicht anders: Leidenschaftlich hängen wir an jedem Wort, ringen um jeden Satz, der gekürzt werden muss, damit die Story ins Heft passt.

Hier wie dort ist Mut zur Lücke gefragt – umso erstaunlicher oft die Erkenntnis, dass es sich ohne den ganzen Portfolio-Ballast genauso gut, womöglich gar besser, wirtschaften lässt. Keine Scheu also vor dem Weniger. Das nämlich ist, da hat der Glückskeks recht, oft so viel mehr.