Ausgabe 22/2018

Actio gleich Reactio
Titel WW22/18

Der Sommer 2018 geht mit Sicherheit als rekordverdächtig und außergewöhnlich in die Annalen der Wetteraufzeichnungen ein. Gegen alle Befürchtungen sorgte er im deutschen Weinbau nur vereinzelt für Trockenstress auf besonders leichten Standorten, in Junganlagen oder an frisch gepflanzten Reben. Ob die Trockenheit angesichts der ungewöhnlich niedrigen Extraktwerte die Qualität des Jahrgangs generell oder gar negativ beeinträchtigt hat, werden die Verkostungen der nächsten Monate zeigen. Glücklicherweise ist der Geschmack noch immer der Maßstab, an dem sich ein Wein beweisen muss, und nicht die Analytik. Mir graust schon vor den frisch gefüllten neuen Weinen, die manchem nicht schnell genug in die Läden kommen können: Unfertig, glattgebügelt und technisch präpariert, werden sie in Kürze die Regale im Lebensmittelhandel bevölkern. Was soll’s, die Menschheit und die Gatekeeper im Handel wollen es so. Anders als in der Mitte Europas sorgte das Wetter in Frankreich, Italien und Spanien für teils heftige Kapriolen. Trockenheit, Hitzewellen, Stürme, Hagel und ungewöhnliche Starkregen im Wechsel sorgten da und dort für nicht ganz unproblematische Verhältnisse und von Region zu Region unterschiedlichen Ernteergebnissen. Konnten sich die Winzer in Deutschland über außergewöhnlich gesunde Trauben freuen, mussten die Winzer in Frankreich mit Fäulnis kämpfen. In Norditalien lassen die Gradationen teilweise zu wünschen übrig, und in der Mitte Italiens fiel die Ernte eher unterdurchschnittlich aus. Insgesamt kann das Jahr 2018 mit einem nach OIV-Recherchen weltweiten Erntevolumen von 282 Mill. Hektolitern wieder als Rückkehr zu normalen Versorgungsverhältnissen gewertet werden. Für Entspannung der knappen Versorgungslage dürfte 2018 bei den Generics und den Grundweinen für die Sektproduktion sowie dem Markt der weinhaltigen Mischgetränke sorgen. Im Bereich der Qualitäts- und Ursprungsweine füllt der Jahrgang leergefegte Bestände auf, und im Premiumsegment darf man sich auf spannende, interessante Weine freuen. Große vagabundierende Überschüsse werden wohl Fehlanzeige sein. Für Schäden hat die Hitzeperiode aber offenbar ganz woanders gesorgt. Manchem Manager im Lebensmittelhandel ist offenbar das Gehirn eingedampft. Befremdliche Post flatterte in den letzten Tagen manchem Weinlieferanten aus dem Lebensmittelhandel ins Haus. Nein, keine Briefbomben wie an die Vertreter der Demokraten in den USA. Für die Empfänger dürfte die Botschaft allerdings nicht viel weniger Brisanz und Sprengkraft besitzen. Da verlangt eine ganz in Lebensmittel verliebte Einkaufs­abteilung doch tatsächlich Preisnachlässe und Preissenkungen aufgrund der guten Ernte. Solche Forderungen sind eigentlich nichts Ungewöhnliches im Verhältnis von Handel zu Lieferanten, nur die Art und Weise und die Begründung der Forderung werfen ein trauriges Licht auf die Philosophie des Unternehmens. Die Weinernte sei in diesem Jahr doch »weitestgehend besonders ertragreich« verlaufen, argumentiert die Einkaufsabteilung umständlich, sodass man »aufgrund der daraus resultierenden Überschusssituation doch wohl von Preissenkungen ausgehen könne«. Vom Lieferant wird daher Prüfung verlangt und um »zeitnahe Aufgabe der neuen Preise« gebeten. Überschrieben ist der Brief mit: »Vertraulich: Preisanpassung aufgrund ertragreicher Ernte«. Ganz wohl scheint den Initiatoren des vermeintlichen Fischzuges allerdings nicht in ihrer Haut zu sein. Andernfalls würden sie nicht so vertraulich das Licht der Öffentlichkeit scheuen Die Krux der Geschichte: Den Erzeugern fallen die in umgekehrter Richtung versandten Schreiben mit der Forderungen nach höheren Preisen vom letzten Jahr auf die Füße, als die Ernte sehr klein ausfiel. Kein Wunder, dass der Handel jetzt zurückholen will, was er glaubt, letztes Jahr verloren zu haben. Frechheit siegt.