Ausgabe 22/2014

Viel heiße Luft - Die Bordeaux-Aktion von Lidl war ihr Geld wert. Mehr Aufmerksamkeit kann eine Weinaktion kaum gewinnen.

Sind die Discounter jetzt geadelt? Machte Aldi vor Jahren mit seinen Computer-Schnäppchen noch Furore und sorgte für frühmorgendliches Gedränge vor Öffnung der Ladentüren, schafft es jetzt Lidl in Zeiten gesellschaftlicher Rückbesinnung auf Land, Liebe und Lust, mit seinen jüngsten Weinaktionen spielend die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für sich zu gewinnen. Mit Wein und kulinarischen Genüssen kann man heute im Kampf um Image und Kundenfrequenz Pluspunkte sammeln, dürfte das Credo der Lidl-Strategen lauten. In der Tat nutzte der Discounter mit seiner Frankreich-Aktion geschickt die Gunst der Stunde und polierte ordentlich sein Ansehen als Einkaufsstätte jenseits des Discounts auf. Genau genommen, und das hat wohl der eine oder andere Beobachter übersehen, handelte es sich um zwei Aktionen: Da gab es zum einen ab 16. Oktober die »Vielfalt französischer Weine« zu entdecken, die einer Frankreich-Reise gleich die Kunden von Bordeaux bis ins Languedoc führte, meisterlich begleitet und kommentiert vom hauseigenen Master of Wine, Richard Bampfield. Der erlaubt sich auf dem Kontinent, was er sich, wie Kollegen seines Faches meinten, in England nie und nimmer trauen würde. Dort hätten ihn vermutlich die lieben Masters wegen seiner großspurigen Nutzung des Ansehens des Instituts of Master of Wine wohl in der Luft zerrissen.
 
Na ja, jedem sein Bampfield oder wie schon geulkt wird: BP-Punkte gibt‘s jetzt bei Lidl statt an der Tanke. Die Preise, der in den Filialen tatsächlich erhältlichen Weine, die, wie Lidl vorsichtshalber mit kleiner Fußnote auf jeder Heftseite vermerkte, »bereits im Laufe des ersten Angebotstages ausverkauft sein könnten«, siedelten in eher normalen Preisgefilden an und reichten von knapp unter 30 Euro für einen Châteauwein aus Saint Emilion bis zu 2,99 Euro für einen Rosé aus Corbières. In den Läden fand sich dann auch tatsächlich der eine oder andere Wein, schön dargereicht in liegender Kistenpräsentation in der mit Plakaten stimmungsvoll dekorierten Weinabteilung. Das Angebot bleibt dennoch normale Kost, die jetzt nicht unbedingt jeden Hund hinterm Ofen vorlocken würde. Trotzdem Anerkennung, Lidl tut was für seine Kunden und wie ein Lidl-Manager schon vor Jahren anmerkte: »Wir wandeln uns vom Discounter zum Nachbarschaftsladen«. Also warum die Aufregung? Die bot der zweite Teil des herbstlichen Fensterglanz bei Lidl. In einem eigenem Bordeaux-Prospekt offerierte der Discounter eine ganz andere Liga an Weinen von Château d’Yquem bis Talbot und von Figeac bis zum Zweitwein von Valandraud. Die Not muss schon groß sein, wenn Bordeaux-Winzer und Händler sich nicht mehr anders zu helfen wissen, als angesichts schwindender Kunden aus Fernost die überzählige Ware im nahen Deutschland zu verkloppen. So was lässt sich Lidl nicht entgehen und macht das Beste daraus.
 
Überall prangte ein großformatiges Plakat mit dem 2011er Château d’Yquem für 349 Euro und weiteren Grands Crus. Das hat manchen wohl so mitgenommen, dass er einer Fata Morgana gleich sich einbildete, die edlen Flaschen tatsächlich in den Läden gesehen zu haben. Denkste. Die richtig teuren Sachen, für die es sich vielleicht gelohnt hätte früh aufzustehen, gab es, wie Lidl sorgsam kundtat, nur im Online-Shop. Auch da gab’s den dezenten Hinweis, dass das Angebot schon im Laufe des ersten Tages ausverkauft sein könnte. Wieviel Flaschen von den Weinen tatsächlich zur Verfügung standen, bleibt also das Geheimnis des Discounters. Mit der Aktion ist es Lidl in jedem Fall gelungen, eine mediale Resonanz zu generieren, vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen bis zu Spiegel und Springer, die mit Gold kaum aufzuwiegen ist. Vermutlich war das der wahre Zweck der Aktion. Eigentlich müsste das die Mitbewerber auf den Plan rufen. Aber bekanntlich hackt eine Krähe der anderen kein Auge aus. Deshalb gleich vom »angeschlagenen Fachhandel« und »Château Lidl« zu reden, scheint mir reichlich übertrieben.
 
Hermann Pilz [email protected]