Ausgabe 19/2018

Stammesrituale
Titel WW 19/18

Wie viel und welchen Nachwuchs braucht die Weinbranche? Ist das derzeitige Bildungsangebot sinnvoll und ist ein effizienter Mitteleinsatz garantiert? Bildungspolitik ist Sache der Bundesländer, und so kocht jeder sein eigenes Süppchen. Vor Jahren war die Sache ziemlich klar. Es gab Winzer-, Meister- und Technikerfachschulen, die die Absolventen analog zum Handwerk befähigten, ihren Beruf als Geselle oder Meister in Weinberg und Keller auszuüben.
Wer akademische Weihen anstrebte und sich nicht mehr im Blaumann verdingen wollte, befleißigte sich eines Studiums des Weinbaus und der Önologie in Geisenheim oder der Agrarwissenschaften an einer der bekannten Hochschulen mit entsprechenden Instituten und Dozenten. Inzwischen hat sich die Hochschule Geisenheim zweifellos zur renommiertesten Bildungseinrichtung für die Weinbranche in Deutschland gemausert, die auch international hohen Stellenwert genießt. Pro Jahr starten dort rund 250 Erstsemester von der Getränketechnologie über Internationale Weinwirtschaft bis zu Weinbau und Önologie. Die sollen dann zu den White-Collar-Tätigkeiten in Forschung, Lehre, Verwaltung oder der Leitung von Unternehmen befähigen.
Der Trend zum Studium und zur Akademisierung aller Berufssparten ging in den letzten Jahren auch an der Weinbranche nicht vorbei und so haben die Länder Baden-Württemberg mit dem Studiengang Internationales Weinmanagement an der Hochschule Heilbronn und das Land Rheinland-Pfalz am 2009 gegründeten Weincampus Neustadt den dualen Bachelorstudiengang Weinbau und Oenologie geschaffen. 50 bis 60 Studierende pro Semester konnten die letzten Jahre rechts und links des Rheins zu Studienbeginn gezählt werden, von denen nach drei Jahren um die 20 Absolventen die Schulen verließen. Dem nicht genug, geht nun ab kommendem Jahr die Duale Hochschule Baden-Württemberg in Heilbronn zusammen mit der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau in Weinsberg mit dem dualen Studiengang »Wein–Technologie–Management« an den Start und buhlt um Studenten, die sich ein solches Studium aufhalsen.
Das wird zur direkten Konkurrenz des bestehenden Heilbronner Studiengangs und torpediert zugleich die 2011 geschlossene Zusammenarbeit zwischen der Hochschule Geisenheim und den drei Meister- und Technikerschulen in Bad Kreuznach, Würzburg und Weinsberg, die seit Jahren mit einer rückläufgigen Entwicklung zu kämpfen haben. Bald wird wohl jedes Anbaugebiet seine eigene Hochschule haben, frozzelt ein Kenner der Materie und verweist auf die wirtschaftlichen Folgen.
»Keiner kann seine Vollkosten decken, es geht nur um Verdrängungswettbewerb. Es wird bei schrumpfender Anzahl von Betrieben, die in Wahrheit Azubis wollen, am Markt vorbei ausgebildet. Immer mehr Anstrengungen werden im Wettbewerb um die weniger werdenden Studenten versenkt, nach denen die Hochschulen pro Kopf bezahlt werden.« Der Vorwurf zieht: Ohne sich untereinander abzustimmen, leistet sich jeder seinen eigenen Campus. Das riecht nach Kleinstaaterei, wie sie schlimmer nicht sein könnte. Es geht um Geld, Macht, Einfluss, regionale Strukturpolitik oder überhaupt um politische Gesinnung. Der Weincampus Neustadt wurde unter einer SPD-Regierung aus der Taufe gehoben. Die Bildungseinrichtungen in Heilbronn werden vom Lidl-Eigentümer Dieter Schwarz dem Vernehmen nach fürstlich bezuschusst und in den Ausbau der Hochschule Geisenheim investiert das Land Hessen 75 Mill. Euro. Dabei sollte es um beste Bildungsinhalte, gute Ausstattung und die Bündelung der Kräfte gehen. Mangels Klasse ist die Lehre nicht überall auf der Höhe der Zeit. Mancher altgediente Dozent hat den Anschluss verpasst, und mancher Neuling erweist sich als Rohrkrepierer. Die Leidtragenden sind die Studenten, die wertvolle Zeit absitzen und natürlich der Steuerzahler, der ineffiziente Strukturen aufrechterhält.

Hermann Pilz
Chefredakteur Weinwirtschaft
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