Ausgabe 14/2017

Taumelnd ins Abseits

Titel WW14/17

Viele Marktteilnehmer würden es sich anders wünschen: Deutsche Weine wären gefragt im In- wie im Ausland, und man müsste sich um Preisverfall, Billigangebote, Auslistungen und einen volatilen Erzeugermarkt keine Sorgen machen. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus, wie ein Blick auf die Absatzwege verdeutlicht.
Im Lebensmittelhandel stehen deutsche Weine unter permanentem Druck. Werden aufgrund von Preiserhöhungen auf dem Fassweinmarkt Preisschwellen überschritten, drohen Auslistung oder die Ergänzung mit einer ausländischen Alternative. »Der Wein ist dann für die Kunden billiger zu haben«, wie ein deutschweinaffiner Einkäufer kürzlich klagte. So sinkt der Absatzanteil von Jahr zu Jahr um ein paar Prozentpunkte, besonders bei Rotwein. Die aktuellen Zahlen der Anstellungen zur Qualitätsweinprüfung in Rheinland-Pfalz sprechen Bände: Rotwein verliert in einigen Regionen zweistellig und im Landesdurchschnitt um minus 6,2 Prozent. Rheinland-Pfalz erzeugt immerhin zwei Drittel des deutschen Weins. Die guten Zeiten der deutschen Rotweine sind fürs Erste wohl vorbei. Wie wichtig der Absatz für einen Großteil deutscher Weine über den Lebensmittelhandel geworden ist, lässt sich gleichfalls aus der Prüf-Statistik entnehmen: Die Handelskellereien als LEH-Lieferanten vereinen knapp 55 Prozent der Absatzmengen und konnten gegenüber der Vorjahresperiode um immerhin 2,2 Prozent zulegen. Weingüter, Winzergenossenschaften und Erzeugergemeinschaften verlieren dagegen um minus 4,6 bzw. 4,1 Prozent.
Fachhandel und die Gastronomie bleiben dennoch wichtige Stützen für den Absatz deutscher Weine, doch die ganz großen Mengen laufen da nicht. Eher sind es selektive Weine, die aus dem Angebot namhafter oder aufstrebender Weingüter herausgepickt werden und vor allem aus dem im Verhältnis zum Rotwein preislich niedrigeren Weißweinbereich. Weißwein ist nach wie vor die Domäne deutscher Weine. Ein wirklicher Durchbruch lässt allerdings auf sich warten, zumindest wenn man die Preise am Markt als Maßstab für den Erfolg nimmt. Dagegen gewinnen ausländische Rotweine an Stärke und erobern Regalmeter um Regalmeter im Handel. Bleibt der Direktabsatz, der nach wie vor eine wichtige Säule im Absatzmix deutscher Weinerzeuger darstellt. Er ist weitaus wichtiger für die deutsche Weinwirtschaft als bislang angenommen. Ein interessanter Markt, der dank neuer Möglichkeiten der Direktvermarktung über Online-Portale weiteren Schwung erhalten könnte.
Sorgen muss man sich inzwischen um den Zustand des deutschen Weinexports machen. Eine Studie der Hochschule Geisenheim zur Verifizierung der in der Exportstatistik ausgewiesenen Zahlen räumt mit Luftschlössern auf. Die amtlichen Statistiker dürfen frohlocken, nicht über die Höhe der Exporte, aber wenigstens darüber, dass ihre traurigen Zahlen stimmen. Wer meint, der Export habe für den Weinmarkt keine Bedeutung, irrt gewaltig. Sinkende Exportmengen erhöhen den Druck am deutschen Markt. Der Absatz von Liebfraumilch brach im ersten Halbjahr um 11 Prozent ein. Geht die Entwicklung so weiter, sinkt der Absatz auf wenige 10.000 Hektoliter. Das ist dann allerdings immer noch mehr als die Rohrkrepierer Classic und Selection auf die Waage bringen.
In einem solchen Marktumfeld haben es Genossenschaften naturgemäß schwer. Sie sind auf Gedeih und Verderb auf deutsche Weine und meist auf den Absatz über den LEH angewiesen. Während sich wenige WGs behaupten, stöhnt die Mehrheit unter dem anhaltenden Druck. Am besten funktionieren Genossenschaften da, wo wenige Vollerwerbswinzer den Kern der Mitglieder bilden und in jeder Hinsicht professionell gearbeitet wird. Jetzt rächt sich, dass sich viele Genossenschaften zu lange als Bewahrer alter Strukturen verstanden, die bis hin zur Beschränkung der Mengen in Anbau und Vermarktung reichten. Es ist doch nicht zu übersehen, dass sich, wie vorhergesagt, die Spirale des deutschen Weinbaus abwärts dreht. Den Jubel über die Beschränkung des eigenen Wachstumspotenzials auf wenig mehr als null, der zur jüngsten Verabschiedung des Weingesetzes erscholl, kann ich nicht nachvollziehen. Das entbehrt jeder Vernunft.

Hermann Pilz
Chefredakteur Weinwirtschaft
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