Ausgabe 11/2022

WEINWIRTSCHAFT 11/2022

Themen der Ausgabe

Rosé International

Rose ist nicht nur Frankreich. Das Land bleibt zwar ein Trendsetter, aber auch international hat die dritte Weinfarbe einiges zu bieten. Ein Überblick über verschiedene Herkünfte der Trendkategorie.

Deutsche Markenweine

Marken machen in Deutschland ein Viertel des Gesamtumsatzes im Handel aus. Ein Marktüberblick mit Stimmen der Erzeuger.

ProWein

Der große Nachbericht zur wichtigsten Weinmesse des Jahres mit Eindrücken und Statements aus der Branche.

Bordeaux En Primeur

Ein herausforderndes Jahr im Weinberg, viel Fleißarbeit im Keller. Was verspricht der 2021er Jahrgang?

Eingelistet: Der Neuheiten-Test

In einer neuen Serie testet WEINWIRTSCHAFT regelmäßig Neuheiten des Markts und stellt Weine vor, die gut ins Sortiment von LEH und Fachhandel passen.

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Glauben und Wissen

Greenwashing ist ein oft geäußerter Vorwurf. Wer ihn ausspricht, muss sich selbst besonders anstrengen.

Glauben Sie an Kuhhörner? Ich gebe zu, dass es mir aufgrund dieser und manch anderer Praktiken sehr schwerfällt, biodynamischen Weinbau ernst zu nehmen. Wofür braucht es ausgerechnet ein Kuhhorn, um die bodenverbessernde Mischung in den Weinberg einzubauen? Gleichwohl ist es eher die Regel als die Ausnahme, dass bio-dynamisch arbeitende Weingüter meine Skepsis mit sehr guten Weinen erschüttern. 

Allerdings ist es nicht so, dass die Erklärungen der Bio-Dynamiker mich überzeugen würden. Wahrscheinlich verstehen die wenigsten von ihnen selbst zu 100 Prozent, wieso ihre Maßnahmen wirken sollen. Bei aller Skepsis haben mich die Bio-Dynamiker allerdings davon überzeugt, dass ihr Weg ein sehr guter ist für die Qualität der Weine und für die Lebendigkeit des Bodens.

»Es steht uns gut, wenn wir ohne Dogmen argumentieren, sondern schauen, was wirklich zielführend ist«

Tatsächlich sind Demeter-Produkte für mich die einzigen, bei denen ich nicht im Leisesten den Verdacht des Greenwashings habe. Wer sich diese Mitgliedschaft antut, ist Überzeugungstäter. Sicher ist auch in anderen Bio-Verbänden die Zahl derer, die nur aus ökonomischen Gründen auf biologischen Anbau umgestellt haben und sich stärker an der Einhaltung der Mindestkriterien als an dem ökologischen Nutzen orientieren, überschaubar. Gerade in Deutschland ist Bioweinbau selten ökonomischer als konventioneller.

Allerdings steckt jeglicher ökologischer Anbau in der gleichen Argumentationsfalle. Ist der vollständige Verzicht auf chemische Mittel, der sicherlich für manche Pflanzen und Tiere positiv ist, auch für das Gesamt-Ökosystem Weinberg von Vorteil? Umgekehrt müsste die Frage lauten: Ist konventioneller Weinbau mit moderatem Einsatz nicht-biologischer Mittel für den Weinberg auf lange Sicht besser? Ich glaube, dass wir frei nach Sokrates wissen, dass wir nichts wissen.

Auch wenn sich das Wissen in den letzten Jahrzehnten in vielen Bereichen immer weiter vertieft hat, bleibt doch der Punkt, an dem jedes noch so klug aufgestellte theoretische System nicht ausgeklügelt genug ist. Viele Pflanzenschutzmittel schienen absolut sinnvoll und ungefährlich zu sein und wurden später doch untersagt, weil Nebenwirkungen auf das Öko-System nicht genügend bedacht wurden oder unbekannt waren.

Wer sich die Studien zu positiven und negativen Auswirkungen von Weinkonsum durchsieht, wird zur Erkenntnis kommen, dass es wenig Klarheit gibt. Auch die vermeintlich positive Wirkung der Resveratrole stand unter dem Vorbehalt, dass die dafür erforderliche Menge erst in mehreren Litern Wein enthalten wäre, sodass die schädliche Wirkung des Alkohols alles andere vernichten würde. Auch hinter der positiven gesundheitlichen Wirkung der mediterranen Ernährung inklusive Wein steckt also mehr Glauben als Wissen. Zudem gibt es wissenschaftliche Skeptiker, die einen positiven Zusammenhang komplett verneinen.


Im Weinberg sieht die Lage ähnlich unklar aus. »Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist«, sagt Paracelsus. Ob der praktizierte Einsatz im konventionellen Weinbau so moderat ist, dass er kein Gift für das Gesamtsystem ist, bleibt für mich genauso ungewiss, wie die Frage, wie schädlich der Kupfer-Einsatz bei vielen Bio-Winzern ist. Auch hinter dem Verbot von Kaliumphosphonat im Bio-Weinbau steckte letztlich weit mehr eine Glaubensfrage als begründetes Wissen.

Ich finde, dass es uns in der Weinwirtschaft gut steht, wenn wir ohne Dogmen argumentieren, sondern schauen, was wirklich zielführend ist. Kein Winzer hat ein Interesse daran, den Boden langfristig zu schädigen, insofern sollte er offen sein für alle Methoden, die den Weinberg als gesundes Ökosystem erhalten und aufbauen.

Für mich heißt das, dass wir weiter Wissen aufbauen müssen, aber auch ganzheitlich denken müssen und weder den moderaten Einsatz konventioneller Mittel noch Kuhhörner vollkommen aus unserer Denkwelt ausschließen sollten. So sehr ich auch fürchte, dass viele Nachhaltigkeitsanstrengungen nur Marketing und Greenwashing sind, so wichtig sind die unvoreingenommen Ansätze der Nachhaltigkeit für die Zukunft. Clemens Gerke