Ausgabe 10/2023

WEINWIRTSCHAFT 10/2023

Themen der Ausgabe

Weinbezeichnung, Etikett & Co

Wie sehr vertraut der Verbraucher auf das, was auf der Flasche steht? Und wie gut kennt der Weinkenner die Weinbranche? Eine Geisenheimer Studie klärt auf.

Auf fremdem Terroir

Exotische Rebsorten in Deutschland: Klimawandel-Chance oder Vermarktungs-Nische?

Südtirol

Andreas Kofler im Interview über die Lagen-Reform und warum das Gebiet zugänglich bleiben muss.

Scheck-In-Center Mainz

Ein Besuch beim High-End-LEHler.

Glühwein

Die heißen Trends für den kalten Winter.

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Treppenwitz

Die neu gezeichnete Stufenhierarchie der rheinhessischen VDP-Pyramide ist maximal absurd

Nein, es ist kein Aprilscherz. Hätte ich am 1. April davon gehört, hätte ich es aber sicher dafür gehalten und gelacht. Leider ist es auch kein Treppenwitz, sondern der pure Ernst des rheinhessischen VDP-Verbands, der auf der Mainzer Weinbörse offenkundig wurde. Schon zuvor waren die Rheinhessen mit dem Ortswein aus Ersten Lagen einen Sonderweg gegangen, jetzt kommt die Erste Lage, von der die Rheinhessen bisher Abstand genommen hatten, doch.

Nun war die Einführung der Hierarchie-Stufe Erste Lage schon problematisch genug, verlangt sie vom Verbraucher doch das Wissen, dass die Große Lage höher einzustufen ist als die Erste Lage, die eben nicht die Größte Lage ist, sondern eigentlich eine Zweite Lage. Der bisherige rheinhessische Sonderweg im VDP war bereits nicht dazu angetan, dieses Wissen zu verbreiten. 

er VDP Rheinhessen versichert, dass keine neue Stufe eingezogen worden sei. Dann wäre die Stufe zwischen Ortswein und Großer Lage jetzt zweigeteilt. Der Spagat, der zum Besetzen dieser auseinanderdriftenden Stufe nötig ist, scheint die rheinhessischen VDP-Vertreter bisher nicht zu stören.

Ihre Gelenkigkeit ist bemerkenswert, macht aber nur noch deutlicher, dass die Stufe der Ersten Lagen nur aus Vermarktungsgründen existiert. Damit gießt der rheinhessische VDP-Verband Wasser auf die Mühlen der Kritiker des VDPs in Kellereien und Genossenschaften. Dass diese Verwirrung vom rheinhessischen Verband hervorgerufen wird, ist kaum zu begreifen, denn es waren gerade die jungen rheinhessischen Winzer, die früh damit begannen, das dreistufige System des VDP auf breiter Front zu übernehmen, und ihm so eine starke Basis bei der Neufassung des Weinrechts verschafften.

Die deutsche Lagen-Obsession verwundert mich ohnehin immer wieder. Das gilt sowohl für viele alte Winzer, die weiterhin jeden Wein mit Lage bezeichnen, als auch für die Schwierigkeiten der Schutzgemeinschaften zu Einigungen zu kommen und ebenso für die jetzt in Rheinhessen dreigeteilte Pyramidenstufe auf Lagenbasis. Gerade einmal 17 Prozent des VDP-Absatzes wird mit Weinen aus Erster oder Großer Lage erzielt. Sie sind die Nische in der Nische.

  Das Weinwissen des Verbrauchers wird immer wieder zugleich über- und unterschätzt. Würde man eine repräsentative bundesweite Befragung durchführen, kämen Scharzhofberg, Westhofener Morstein oder Rüdesheimer Berg Schlossberg meiner Vermutung nach auf Bekanntheitsraten von unter 5 Prozent, die Drosselgasse oder der Wurstmarkt dürften als Weinlagen deutlich geläufiger sein. Echte Nerds werden keine Pyramiden-Unterschiede für die Lagenbewertung brauchen. 

Beide Gruppen eint, dass der Preis eines Weins das wichtigste Kriterium beim Kauf ist. Für die meisten Verbraucher sind Geschmack, Rebsorte und Preis die zentralen Entscheidungsfaktoren. In den Werbezetteln des LEH werden Weine als Rheinhessen/Pfalz/Nahe ausgewiesen, weil die Herkunft für den Markt austauschbar ist und sie in der Belieferung auch ausgetauscht wird. Marke bzw. Erzeuger und Herkunft dienen als Differenzierungsmerkmale, die einen Preisaufschlag rechtfertigen können.

»Die Dreiteilung der Lagenhierarchie geht an den Bedürfnissen der Verbraucher vorbei und verbreitet kein Weinwissen«

Natürlich ist die Herkunft für einen Erzeuger oder eine Marke nicht so einfach austauschbar, sie ist Teil der Identität. Selbst die VDP-Winzer vermarkten aber 63 Prozent ihrer Weine als Gutswein. Lagen können zur Identität eines Weins beitragen, die Identität des Erzeugers ist auch für die Vermarktung viel entscheidender. Lagenhierarchien zwei- und jetzt dreizuteilen geht an den Bedürfnissen der Verbraucher vorbei und ist nicht dazu angetan, Weinwissen zu verbreiten. 

Die Vorwürfe an die Komplexität der germanischen Weinhierarchie waren berechtigt. Inwieweit die Komplexität dem Absatz geschadet hat, ist eine andere Frage. Wenn die prominentesten Verfechter des romanischen Systems dieses immer komplexer machen, treibt sie nicht der Wille an, neue Kundengruppen zu erschließen und Herkünfte zu profilieren. Ich würde mich über ein verspätetes »April, April« aus Rheinhessen freuen. Clemens Gerke