Ausgabe 04/2014

Ein offenes Wort

Lügen haben kurze Beine« oder »ehrlich währt am längsten«, die Liste solcher Weisheiten könnte man fast unendlich fortsetzen. Der Volksmund, immer nah dran an der Wirklichkeit, kennt nicht ohne Grund jede Menge Sprüche für Hochstapelei, Lug und Trug. Leider kommt man vielen Betrügern erst spät auf die Schliche, vor allem dann, wenn sie sich hinter hohen Mauern ehrbaren Gehabes verschanzen. Nach Kirchen, Klöstern und unserem herzliebsten Franz-Peter Tebartz-van Elst hat es nun den ADAC getroffen. Aua, das tut weh. Ausgerechnet wer andere testet und den Spiegel vorhält, muss sich die Manipulation seiner Test-Ergebnisse vorwerfen lassen. War’s das? Nein, da habe ich ja noch die Stiftung Warentest vergessen, ein prominenter Fall, der mindestens so angesehen in der Öffentlichkeit ist wie die gelben Engel des ADAC. Sie haben es sicher gelesen: Ritter Sport hat einen Sieg zumindest in der bisher letzten Instanz gegenüber den Warentestern der Stiftung errungen. Wie der Streit endet, wird man vermutlich erst nach einem Gang vor den Bundesgerichtshof erfahren. Für meinen Geschmack lugt da lediglich die Spitze des Eisbergs hervor, wie an der Rebellion der Spielwarenbranche an den Testmethoden sichtbar wird. Mit schöner Regelmäßigkeit vergaß die Stiftung in der Vergangenheit – vor allem bei Tests von Lebensmitteln – , dass ihr Urteil nur für das gerade getestete Los des Produktes galt und nicht unisono für alle draußen im Verkauf befindlichen Produkte. Erst seit Kurzem nennen auch die Stiftungstester die Los-Nummer der geprüften Genussmittel. Allerdings dominieren noch immer verallgemeinernde Kommentierung, und es wird den Lesern suggeriert, dass das Urteil für alle Produkte der jeweiligen Marke gilt. Millionen Verbraucher glauben das, mit katastrophalen Folgen für den Markt. Wie bekannte vor Jahren ein ehemaliger Aldi- Manager: »Die beste Werbung für uns war der Champagnertest der Stiftung. Seither ist das in den Köpfen drin: Aldi-Champagner ist der Beste, und den kannst Du kaufen.« Test den Testern, muss es in Zukunft heißen, und dabei klopfe ich mir selbst vor die Brust. Für die WEINWIRTSCHAFT haben wir schon lange vorgebaut und den Tests überprüfund nachvollziehbare Durchführungs- und Beurteilungsverfahren verordnet. Bei wichtigen Prüfungen, wie etwa den zweimal jährlich durchgeführten LEH-Tests der Discounter, überwacht ein Rechtsanwalt die korrekte Vorbereitung und Durchführung. Die Ergebnisse werden als das kommentiert, was sie sind: Stichproben, die zu einem bestimmten Zeitpunkt aus der Fülle der übers Jahr angebotenen Weine eingekauft wurden. Vielleicht genau deshalb, wegen unserer Zurückhaltung und nachvollziehbaren Kommentierung, haben die Ergebnisse so großes Gewicht, wie uns immer wieder bestätigt wird. Nicht anders, offen und transparent, halten wir es in der WEINWIRTSCHAFT auch mit anderen Wettbewerben und Branchenrankings. Die Top 100, die wir am Jahresanfang auszeichnen, werden schon lange nicht mehr per Leserumfrage ermittelt. Die waren schon vor Jahren weder überprüfbar noch in der Anzahl repräsentativ. Also lautete die Losung: »Weg damit.« Wir wollen nicht wie andere mit 2.000, 5.000 oder 30.000 Befragten oder Haushalten brillieren, die nie und nimmer erreicht werden. Nein, bei uns ergibt sich das Ranking der Top 100 aus überprüfbaren und vorher kommunizierten Kriterien: der sensorischen Qualität, der Absatzmenge, dem Preis, dem Preis-Leistungs-Verhältnis und einer durch die Redaktion erfolgten Beurteilung des Marketingkonzeptes. Klar können auch wir belogen werden, was Absatzmenge oder Preis betrifft. Doch solche Lügen haben kurze Beine und kommen schneller ans Tageslicht als mancher denken kann. Ganz unbestritten hat jeder das Recht auf eine eigene Meinung und die freie Äußerung derselben. Dies sind elementare Grundrechte einer freien Gesellschaft. Darauf stützen sich letztlich auch alle öffentlich gemachten Weinbeurteilungen genauso wie die Kritik an Büchern, Kunstwerken, Theaterstücken oder der Kür eines Eislaufpaares. Dem einen gefällt’s, dem anderen nicht. Wer seine Kritik, ob positiv oder negativ, am fairsten und nachvollziehbarsten erklären kann, hat die Nase vorn. Das ist die große Kunst und bedarf vor allem eines: am Abend in den Spiegel schauen zu können.

Hermann Pilz [email protected]