Ausgabe 22/2015

Marketing mit Gefühl - Der Wettbewerb treibt erstaunliche Blüten. Tag und Ort und wer es kauft bestimmen in Zukunft die Preise

Weinwirtschaft Ausgabe 22/2015

Warum nicht von den großen Ölmultis lernen? Die versprechen Umwelt- und Verbraucherschutz, dass selbst die Grünen vom satten Gras ins fahle Moos verblassen. Ach ja, Moosgrün und Braun war auch mal angesagt, genauso wie Orange oder Currygelb, »Unfarben« in denen man in den siebziger Jahren nicht nur Pullover strickte, sondern ganze Badezimmereinrichtungen in schummriges Licht tauchte.

Jede Zeit hat ihre Moden, und heute gewöhnen sich die Menschen wie selbstverständlich an das tägliche, manchmal stündliche Auf und Ab der Benzin- und Dieselpreise. Ganz so zufällig scheint das Preis-Jo-Jo allerdings nicht zu sein, und so wird vermutlich jeden einmal das Gefühl beschleichen, dass die Ölmultis ziemlich genau wissen, wie sie ihren Kunden möglichst viel Geld aus der Tasche ziehen. Die Gegenwehr erfolgt in Beobachtung der Spritpreise des regionalen Tankstellenangebots, um herauszufinden, wann und wo denn nun am billigsten zu tanken ist. Ein Sport, dem vermutlich ein Großteil der mobilisierten Bevölkerung zwischenzeitlich frönt. Übers Wochenende sind die Preise meistens höher und des Nachts tankt es sich am teuersten, genauso wie vor der Urlaubszeit und vor Festtagen. Preisunterschiede von 20 Cent pro Liter binnen weniger Stunden sind keine Seltenheit. Dann sind die Tankstellen allerdings auch beliebter Treffpunkt von allerlei Volk, in Klamotten, als hätten sie sich bei Geissens »Uncle Sam« eingekleidet. Die kaufen dann Dinge, die man tagsüber erheblich billiger erwerben kann. Dafür bezahlen sie in bar, meist mit ziemlich großen Scheinen. Sparsame wissen dagegen, dass es sich am billigsten zur Wochenmitte tankt, manchmal am Morgen, andermal in den frühen Nachmittagsstunden. Spätestens um 20 Uhr ist jedoch Schluss mit lustig, dann gehen die Preise wieder hoch.

Tag und Ort, erkennt man schnell, muss also doch Einfluss auf die Preisgestaltung der Konzerne haben. Warum die Preise überhaupt so stark schwanken und nicht für eine Lieferung Sprit am gleichen Ort immer der gleiche Preis bezahlt wird, ist unserer wettbewerbsorientierten Grundordnung geschuldet. Gut so. Jeder darf – ich weiß, es gibt tausend Ausnahmen – seine Preise festsetzen wie er will. Im schlimmsten Fall ist er zu teuer und fliegt aus dem Markt. Um Übersicht zu finden, gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Helfern. Die versuchen sich Online und per App als Preisbeobachter nützlich zu machen und selbst ein Auskommen zu finden. So schafft das Internet Arbeitsplätze.

Die Spritpreise sind allerdings erst die Vorboten der Welle, die den Online- und inzwischen auch den stationären Handel auf breiter Front erfasst. Ganz unterschiedlich, was es da zu verschiedenen Tageszeiten am günstigsten zu kaufen gibt: Elektronik gibt’s am Mittwoch, Schuhe am Donnerstag und Beauty-Produkte am Freitag, erklärte vor kurzem die Unternehmensgründerin von »Spottster« einem Preisbeobachter. Inzwischen bekennt auch Amazon, dass die Preise für bestimmte Waren täglich oder sogar stündlich schwanken. Amazon passt die Preise von mehreren Millionen Produkten pro Tag an, »immer dann, wenn wir das Gefühl haben, dass sich für den Kunden ein neuer Marktpreis entwickelt«.

Bei Nahrungs- und Genussmitteln waren mit Ausnahme der Aktionsartikel schwankende Preise selbst bei Frischeprodukten eher die Ausnahme. Je mehr Läden über elektronische Preisschilder verfügen, und je mehr Onliner in den Lebensmittelhandel einsteigen, umso mehr werden sich auch die Verbraucher an schwankende Preise gewöhnen dürfen. Warum auch nicht? Wer seine Einkäufe im gähnend leeren Laden nach 20 Uhr tätigt, soll was davon haben. Umgekehrt bezahlt mehr, wer sich zu Stoßzeiten an die Kassen drängelt. Wer braucht Mehl mitten in der Nacht und Salzgebäck am Morgen? Es wird tausend Gründe geben, die Preise rauf und runter zu setzen. Das wird auch beim Wein nicht auf Online-Portale und limitierte Partien beschränkt bleiben. Auch so, für ganz gewöhnliche Weine, wird es je nach Tagesform schwankende Preise geben. Immer dann, wenn dem Händler das Gefühl nach einem neuen Preis ist.

Hermann Pilz [email protected]