Ausgabe 21/2016

Krokodilstränen

WEINWIRTSCHAFT Ausgabe 21/2016

Es ist eine der letzten großen Schlachten im deutschen Lebensmittelhandel, fast möchte ich hinzufügen, bevor die Branche in Agonie versinkt. Wer traut eigentlich dem Handel mit Lebensmitteln angesichts einer Vielzahl an Skandalen überhaupt noch zu, für eine gesunde Ernährung und Esskultur zu sorgen? Dass die Verhältnisse so aus dem Ruder gelaufen sind, ist natürlich nicht die Schuld der überlebenden Handelskonzerne. Die Schuld tragen der Geiz der deutschen Verbraucher, wenn’s ums Thema Essen, Trinken und Ernährung geht und natürlich die drei Gewalten, die den Staat in unserem Lande repräsentieren. Ihr Anteil am Ernährungs- und Lebensmitteldesaster ist groß. Die drei sind auch kräftig am letzten Gefecht beteiligt, das um die Firma Kaiser’s-Tengelmann entbrannt ist. Ihre einfältigen und vordergründigen Entscheide, Ministererlasse und Wettbewerbsverbote, die ziemlich weit weg sind von der Realität des Handels, sind kein Ruhmesblatt. Edeka, Rewe, Markant und Co. streiten sich wie ein Rudel Wölfe um die letzten Bissen, als ginge es ums nackte Überleben. Tut es vielleicht ja auch, was die Sache um keinen Deut für die beteiligten Unternehmen vernünftiger und für die Gesellschaft im Gesamten besser macht.
Doch worum geht es eigentlich? Am Allerwenigsten um den Erhalt des Unternehmens, der rund 430 Standorte, auch nicht um die Arbeitsplätze der Beschäftigten oder um die Versorgung der Verbraucher mit Nahrungs- und Genussmitteln in einem fairen Wettbewerb. Es geht allein um Macht und die 2 Mrd. Euro Umsatzvolumen, die der ausgezehrte Konzern der Familie Haub aus Mühlheim an der Ruhr im alten Wissoll-Gebäude im letzten Jahr noch erzielte. Aus einem der größten Lebensmittelhändler Europas, vielleicht der Welt, ist im Laufe der Jahrzehnte und nach der scheibchenweisen Veräußerung immer weiterer Teile des Unternehmens ein ganz kleines Filialunternehmen geworden, das sich in einem »Prozess der geplanten Abgabe an den Edeka-Konzern« befindet, wie es im haarsträubenden Marketingdeutsch der Pressemitteilung heißt.
Aus eigenem Antrieb können die großen Konzerne auf dem deutschem Markt nicht mehr wachsen. Die Claims sind verteilt. Wachstum gibt’s nur noch im Ausland. Acht Unternehmen – Edeka, Rewe, Markant, Metro, Lidl, Aldi, Norma und Tengelmann – halten 98 Prozent Marktanteil am Handel mit Lebensmitteln. Egal, wo der Konsument hinläuft, er bekommt fast überall die gleiche schlechte Qualität. Also wird um den letzten Bissen gestritten, was das Zeug hält. Mehr Umsatz bedeutet einen höheren Marktanteil und mehr Macht um den Lieferanten günstigere Einkaufspreise abzupressen. Denn der Preis ist und bleibt das einzige Marketinginstrument, das die Händler kennen. Lebensmittel sind nur ein Vehikel im Poker um die Umsatzmilliarden der Verbraucher.
Glaubt irgendjemand wirklich, es ginge in diesem Spiel um Qualität, Service, bessere Lebensmittel, eine gesündere Umwelt, bessere Arbeitsbedingungen in Agrarländern oder gar um den Verbraucher? Ganze 300 Euro gibt ein deutscher Haushalt im Durchschnitt pro Monat für Nahrungs- und Genussmittel aus. Davon im Übrigen ganze 4 Prozent für Wein. Mehr ist nicht drin, mehr lässt der gefräßige Staat nach Steuern und Abgaben für soziale Wohltaten den meisten nicht übrig. Also ist der Markt umkämpft, allein der Preis zählt, und die unterste, gerade noch akzeptable Qualität gewinnt und seien es statt Nahrungsmittel Kunstprodukte. Die Strukturen der Lebensmittelindustrie haben sich daran angepasst, die Verlierer sind die Menschen, die Natur und die Gesellschaft im Ganzen. Hätte es eine andere Möglichkeit gegeben? Ja. Statt der Lobby des Handels und der Großkonzernen Rechte, staatliche Subventionen und die Infrastruktur des Landes vor die Füße zu werfen, hätte ein fairer Wettbewerb, der den Namen verdient, den Bestand dezentraler Strukturen des Groß- und Einzelhandels und eines lebendigen Lebensmittelhandwerks erhalten. Das jetzige Geheul der Politiker um Tengelmann ist scheinheilige Heuchelei. Die Weichen hätte man früher anders stellen müssen.

Hermann Pilz
Chefredakteur WEINWIRTSCHAFT
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