Ausgabe 20/2016

Marke braucht Heimat

WEINWIRTSCHAFT Ausgabe 20/2016

Was haben Bordeaux, Chianti und Rioja gemein? Gut, man wird zuerst an Rotwein denken, und dass es mit die wichtigsten und bekanntesten Weinregionen der drei größte Weinproduzenten der Welt sind. Aus Sicht des Marktes gibt es noch eine weitere, allerdings eher problematische Gemeinsamkeit. Die Weine sind in einer weiten Spanne von unter zwei bis in den Bereich einiger tausend Euro zu haben. Das trägt dort, wo es um Verkauf und Wertschöpfung geht und der Preis eine entscheidende Rolle spielt, nicht unbedingt zu Orientierung, Klarheit und Erfolg bei.
Alle drei Regionen verstehen sich und ihren Namen als weltweite Marken und genau damit fängt das Problem an. Unter den Gebietsnamen wird eine Vielzahl höchst unterschiedlicher Weine zu unterschiedlichsten Preisen offeriert. Die Ursachen liegen oft weit zurück, vergraben unter einer meist jahrhunderte alten Historie, wie das Beispiel des Chianti und des Chianti Classicos eindrucksvoll verdeutlicht, der in diesem Jahr sein 300. Jubiläum feiern durfte. Anfang des 18. Jahrhunderts ließ der erzkatholische Großherzog Cosimo der Dritte aus dem Haus der Medici, das Gebiet des Chianti als einen der ersten Ursprungsweine der Welt abgrenzen. Dabei wäre es geblieben, wenn nicht ausgerechnet der Diktator Mussolini in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts, also auch schon wieder vor fast einhundert Jahren, den grandiosen Einfall gehabt hätte, aus dem Chianti einen Massenwein zu machen und dafür den bereits bekannten Namen Chianti als Oberbegriff für sechs weitere Weingebiete und damit faktisch für die gesamte Toskana zu verwenden; von den Hügeln bei Arezzo bis über Florenz hinaus. Dem Kerngebiet wurde der Zusatz Classico gewährt, der sicher attraktiv ist, aber bis heute nicht unbedingt als klare Unterscheidung wahrgenommen wird, wie selbst der Präsident Sergio Zingarelli des Chianti-Classico-Konsortiums eingestand. So uneinheitlich seither die Weinstile und Qualitäten sind, die auf den Markt kommen, so sehr irritiert die babylonische Verwirrung die Konsumenten. Das ist in den USA nicht anders als in Europa.
Der Preis gibt daher den Ausschlag für die Wahl des Weines und dabei gewinnt, wer will’s den Kunden verdenken, das billigere Produkt. Ganz kurios wird es dann, wenn wie im Fall des Chianti und des Chianti Classico Weinerzeuger und Kellereien beide Produkte aus einer Hand anbieten, dann ist die Verwirrung komplett. 30 Sekunden nimmt sich ein Verbraucher ein- bis zweimal pro Monat Zeit, um am Weinregal den passenden Wein zu finden. Zuwenig, um Unterschiede zu entdecken. Für die Erzeuger sind die Folgen in zweierlei Hinsicht fatal. Die Weine der namensgebenden Kernregion werden unter Wert verkauft, da sie von der günstigeren Konkurrenz unterboten werden und den Randgebieten wird die Chance genommen, sich eine eigenständige Position und Profilierung aufzubauen. Die könnte oft viel attraktiver sein, als auf Dauer die billige Alternative zu spielen. Die Festlegung von Gebietsgrenzen und die Legaldefinition von Produkten ist also keine banale Sache.
Das Problem wurde inzwischen in vielen Regionen erkannt und aufstrebende Weinerzeuger haben eigene Strategien entwickelt. Der Aufbau einer eigenen Marke ist dabei sicher der Königsweg. Allerdings meistern den nur die wenigsten Erzeuger und wenn, dann oft auch nur für eine begrenzte Zeit. Wie viele Weinerzeuger sind wieder in der Versenkung verschwunden? Auf lange Sicht schafft es nur eine kleine Spitze, und viel Glück gehört auch dazu. Erfolgversprechender und praktikabler erscheint der Weg, über den eigenen Standort Bekanntheit und Authentizität zu gewinnen.
Das ist das Konzept, das Bordeaux mit seinen kleinräumigen AOCs oder den lagenähnlichen Chateaubezeichnungen geht. Die deutschen Prädikatsweingüter haben dafür ihre Lagenklassifikation geschaffen und das Kerngebiet des Prosecco hat mit den neugeschaffenen Rive-Lagen gleich von Anfang an den Gedanken umgesetzt. Das Chianti-Classico-Konsortium wandelt mit dem geplanten Lagenkonzept also auf bekannten Pfaden. Die Krux liegt wie immer im Detail.

Hermann Pilz
Chefredakteur WEINWIRTSCHAFT
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