Ausgabe 18/2016

WEINWIRTSCHAFT Ausgabe 18/2016

Die meisten natürlichen Lebensmittel sind sicher und unbedenklich. Klar, Obst und Gemüse verderben irgendwann, genauso wie Fisch und Fleisch frisch sein sollten. Wir wissen nicht, wie sich unsere Vorfahren ernährten, aber irgendwie scheint es Ihnen gelungen zu sein, auch ohne künstliche Hilfs- und Konservierungsstoffe über die Runden zu kommen. Über Jahrtausende wurden einfache Praktiken gefunden, um so ziemlich alles, was ess- und trinkbar ist, zu konservieren. Auch die Bereitung von Wein hat außer der euphorischen Wirkung den Sinn, den Saft der Trauben haltbar zu machen.

Eigentlich ein paradiesisches Leben, das den Menschen im Einklang mit der Natur beschert ist. Wein ist per se ein sicheres Produkt, denn was soll schon passieren, ist er erstmal vergoren. Er besteht aus Wasser, Alkoholen, Säuren, Mineral- und Aromastoffen sowie mal mehr und mal weniger Zucker. Ein stabileres und haltbareres Produkt kann es bei sachgemäßer Bereitung kaum geben. Doch das scheint nicht zu reichen, nicht in moderner Zeit, in der der Mensch abgekoppelt von seinen Wurzeln in einer künstlich erschaffenen Welt sein Dasein fristet. Gut, Weinkontrollen und Prüfungen sind notwendig, um sich vor Fälschungen zu schützen. Tests und Wettbewerbe dienen der Qualitätsförderung. Das sind sinnvolle Aktivitäten, die das Produkt fördern und verbessern. Was sich jedoch inzwischen rund um den Wein und nicht nur um den Wein, sondern um so gut wie alle Lebensmittel an Zertifizierungen, Qualitätssiegeln und Garantien entfaltet hat, spottet jeder Beschreibung. Die meisten Zertifikate finden sich ausgerechnet dort, wo die Produkte am billigsten verkauft werden und die Qualität auf unterstem Niveau dümpelt. Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Zertifikate überflüssig sind und lediglich dazu dienen, den Verbraucher in eine Scheinsicherheit zu wiegen. Es werden Eigenschaften bestätigt, die verkaufsfördernd, oft genug selbstverständlich, dafür aber kaum überprüfbar sind. Den Vogel schießen regelmäßig Bioweine aus dem Discounthandel ab, die wir auch in unserem LEH-Weintest in dieser Ausgabe auf den Probetischen hatten. Wer die Ausstattung eines solchen Weines mal genauer unter die Lupe nimmt, traut seinen Augen nicht. Da prangt das EU-Bio-Siegel nebst Öko-Zertifizierungsstelle und kryptisch verschlüsselter Identitätsnummer auf dem Etikett. Der Wein ist natürlich vegan, wofür’s einen Aufkleber mehr gibt und vom »accredited Institut H.« natürlich geprüft und für gut befunden. Auch das Bio-Label eines Öko-Verbands darf nicht fehlen, und selbstverständlich ist der Wein »fair« gehandelt und aus nachhaltiger Produktion, was noch drei Aufkleber mehr bringt. Der Wein ist zwar für konsumentenfreundliche 1,79 Euro zu haben, doch wie das gehen soll und wie die »armen, kleinen Winzer und Tagelöhner« fair entlohnt werden, wissen nur die Götter.

Die Wahrheit ist, dass solche Produkte weder aus nachhaltiger Produktion stammen, noch die Bauern fair entlohnt werden und die Bedingungen niemals ernsthaften Anforderungen an biologische Produktion entsprechen. Um es deutlich zu sagen: Der Handel verarscht die Konsumenten nach Strich und Faden.
Das System hat Methode. Es ist die Wirklichkeit gewordene Animal Farm, von der George Orwell ein fabelhaftes Bild entworfen hat. Einige wenige sitzen am Tropf, gewinnen die Erträge gigantischer Warenströme und beuten die anderen mit obskur begründeten Rechten aus. Preise spielen keine Rolle mehr.  Welche Ideologie dahinter steckt, ist auch egal. Doch wenn Preise keine Funktion mehr haben, drohen chaotische Verhältnisse, und die erleben wir. Die Staaten haben die faktorlenkende Wirkung von Preisen für Kapital, Transporte, Landverbrauch, Energie, Information, Wasser und menschliche Arbeit ausgehebelt. Die Folge ist die anhaltende Konzentration der Macht in den Händen weniger und die weltweite Flucht der Menschen vom Land in die urbanen Zentren. Die Implosion ist programmiert, zertifiziert mit Brief und Siegel.

Hermann Pilz
Chefredakteur WEINWIRTSCHAFT
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