Ausgabe 17/2016

Mehr Genuss

WEINWIRTSCHAFT Ausgabe 17/2016

Allen Hiobsbotschaften einer alternden Gesellschaft, sinkenden Käuferreichweiten und alternativen Getränken zum Trotz – die aktuellen Absatzzahlen lassen keine andere Beurteilung zu: Wein wird in Deutschland auf dem Niveau der Vorjahre gekauft und konsumiert. Fast auf den Punkt genau landen die Importzahlen zur Jahresmitte auf dem Niveau des Vorjahres. Menge und Wert der Importweine, die am Weinkonsum einen Anteil von über 60 Prozent haben, sind stabil, wie in Stein gemeißelt.

Wein bleibt erfreulicherweise Teil der Genusskultur von rund 60 Prozent der Bevölkerung, die sich in schöner Regelmäßigkeit als Käuferhaushalte in entsprechenden Umfragen outen. Die Konsummenge ist die eine Seite des Marktes, die andere die Preise und die Ausgabenbereitschaft der Weinkonsumenten. Die von den bekannten Marktforschungsfirmen ermittelten Preissegmentierungen und Durchschnittspreise für bekannte Kategorien darf man getrost ad acta legen. Sie gelten entweder nur für Teilmärkte des Lebensmittelhandels, oder ihre Gewinnung entzieht sich einer überprüfbaren Kontrolle. Aussagen, dass der Anteil der Weine mit Preisen von 5 Euro und mehr sich auf zwei Prozent des Marktes beschränkt, sind nicht nachvollziehbar. Die Preis­einstiegsweine werden überproportional gewichtet. Einen Durchschnittspreis von 2,60 Euro für eine Flasche Wein in Deutschland, wie er immer wieder kolportiert wird, kann man nicht wirklich ernst nehmen. Etwas spendabler sind die Deutschen schon, wenn es um Wein geht. Wer das nachvollziehen will, findet auf den einschlägigen Seiten und Publikationen der bekannten Online-Händler Anschauungsmaterial genug.

Mit ganzseitigen Anzeigen in deutschen Tageszeitungen umwirbt beispielsweise Vicampo seit Monaten die weinaffine Kundschaft und liefert fast so etwas wie eine Chronik zeitgenössischen Weinkonsums. Hoch im Kurs stehen die fruchtig-frischen, dezent gesüßten und gerne etwas dropsig wirkenden deutschen Weißweine, sowie die beerenfruchtigen, weichen Rotweine im Appassimento-Stil. Solche Weine werden beworben, was das Zeug hält. Wer gedacht hätte, den Online-Händlern würde ein neues Marketinginstrument abseits des Preisverhaus, der Aktionsangebote und Rabattknüller einfallen, sieht sich enttäuscht. Der Preis ist wie bei den Kollegen von der stationären Zunft das entscheidende Instrument, die Kundschaft hinterm Ofen vorzulocken und zum Kauf zu animieren.
Einem regelrechten »Streichkonzert« gleichen die Offerten von Vicampo, die der Online-Händler ausgerechnet in Printmedien als wichtigstem Werbemedium veröffentlicht. Offenbar traut man den eigenen Webseiten wenig zu, wenn es um Reichweite und Kundengewinnung geht. Statt 10,90 Euro normal kostet der Top-Spanier im Angebot fast die Hälfte weniger und wird für nur noch 5,90 Euro offeriert. Das 6er-Paket »Rosé-Favoriten aus Deutschland« wird ebenfalls satt reduziert und kann für 39,90 Euro statt zum Normalpreis von 52,60 Euro geordert werden. Auch andere Online-Händler verzichten nicht auf satte Rabatte und Lockvogelangebote. Die Hoffnung, dass man im Internetgeschäft höhere Preise und bessere Margen erzielen kann, erweist sich als Irrtum. Vielen Online-Händlern wird daher früher oder später die Luft ausgehen. Der deutsche Weinmarkt erweist sich besser als sein Ruf, aber nicht so gut, als dass man Geld im Schlaf verdienen könnte.

5 bis 10 Euro sind das Maß aller Dinge. Vor allem höherwertige und damit höherpreisige Weine, die erklärungs- und beratungsintensiv sind, tun sich schwer im Verkauf. Gernot Kollmann, der das Potenzial des Weinguts Immich-Batterieberg zu neuer Blüte führt, weiß, dass seine Lagenweine aus Steillagen der Mosel in Deutschland nur von wenigen Händlern verkauft werden können. Verkaufen heißt für ihn nicht warten, bis ein Kunde den Wein als Geschenk zu Weihnachten erwirbt, sondern Verkaufen heißt für ihn, Absatz das ganze Jahr über. Dazu scheinen die Deutsche zu knausrig zu sein. Ein bisschen mehr Genusskultur täte gut.

Hermann Pilz
Chefredakteur WEINWIRTSCHAFT
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