Ausgabe 15/2017

Sie ticken anders

Titel WW15/17

Begehrt ist, was man nicht hat. Oder im Umkehrschluss, warum soll man nach etwas streben, das man schon besitzt? So banal die Fragen und die möglichen Antworten erscheinen, spiegeln sie bei genauerem Hinsehen wichtige gesellschaftliche Veränderungen wider. Derzeit rätseln Legionen von Zukunftsforschern über diese Fragen und ergründen, was die jüngeren Generationen antreibt? Wie sich deren Konsumverhalten im Vergleich zu früheren Kohorten wandelt und was das für Wirtschaft und Gesellschaft bedeutet?
Ein erster Befund macht glücklich und ernüchtert zugleich: An Geld und Wohlstand mangelt es den jüngeren Generationen nicht. Noch keine Generation vor ihnen ist in so üppigen Verhältnissen aufgewachsen wie die »Generation Y«, der von Ende der 1970er-Jahre bis Mitte der 1990er-Jahre Geborenen,  und  die daran anschließende »Generation Z«, die von Mitte der 1990er Jahre bis etwa 2010 folgte. Sie entwachsen allmählich den Kinderzimmern, absolvieren ihre schulische und berufliche Ausbildung und streben peu à peu in Gesellschaft und Arbeitswelt vor. Ab 2030 werden sie einen erheblichen Teil der Erwerbstätigen ausmachen und über entsprechendes Einkommen verfügen.
Vor allem aber sind sie bestens ausgestattet. Schon heute werden in Deutschland jährlich Vermögen im Wert von 250 Mrd. Euro übertragen. Binnen weniger Jahre wird voraussichtlich ein Drittel des deutschen Privatvermögens, das sind immerhin 7 Billionen Euro, von einer zur nächsten Generation vererbt. Geld ist also nicht das Problem, und der Hunger Eigenes zu schaffen hält sich bei der Generation Y, die eher an Selbstverwirklichung und Work-Life-Balance denkt, in Grenzen. Nun sollte man die nachfolgenden Generationen nicht schlechter reden, als sie sind, und wer kann es ihnen verdenken, dass viele von dem profitieren, was ihnen die Älteren überlassen. Die Saturiertheit in materiellen Dingen dürfte jedoch damit korrespondieren, dass ganz andere Lebenswerte und Einstellungen für die Jungen in den Vordergrund rücken. Statussymbole, schicke Häuser, Autos und Luxusgüter, die noch für die Generation der Baby-Boomer erstrebenswert erschienen, spielen für die Generation Y eine weit geringere Rolle. Sie sind einfach schon da und vorhanden.
Spannend, welche Wertvorstellungen in den Fokus der nachfolgenden Generation Z rücken, die zukünftig entscheidend sind, was im Alltagsleben gekauft und konsumiert wird. Konsumentscheidungen treffen wir vorzugsweise aus dem Bauch heraus, ohne dauernd unser Großhirn zu konsultieren. Das hat sich in der Evolution bewährt. Es erspart eine Menge Zeit und Aufwand, die rationale Entscheidungen andernfalls verlangen würden.
Was folgt aus den Befunden, analysieren die Konsumforscher? Die Luxusgüterbranche spürt dem Wandel am intensivsten nach, denn für sie steht viel auf dem Spiel. Tragen die alten Marken noch? Welche Werte werden mit ihnen transportiert? Sind das noch die Ideale und Werte, die von den Jüngeren getragen werden? Und schlimmer noch: Passen sich die Alten den Jungen an? Erleben wir inverse Gesellschaften, die tagtäglich ihre Ideale statt aus den Erfahrungen der Alten aus dem sprudelnden Topf der Jugend schöpft?
Haha, dass wir uns da nicht täuschen. Die Jungen der Generation Z, die zukünftig die Leitgeneration sein werden, sind besser als die Alten. Sie gehen mit Werbeversprechen kritischer um, sie sind leistungsorientierter, trennen dafür aber schärfer zwischen Arbeit und Freizeit, wie neueste Studien aus den USA belegen. Sie sind multikulturell, liberal und zugleich »ernsthaft, fleißig und getrieben von traditionellen Erfolgskriterien wie Geld, Ausbildung und Karriere« und damit den Babyboomern artverwandt, skizzierte eine Forschungsarbeit den Charakter der neuen Gruppe von Konsumenten, die als die zukünftige Schlüsselgeneration gilt. Ist Ihnen noch Bange um gute Weine? Mir nicht. Vielleicht hinterfragt diese neue Generation ja mehr, was Wein ist, wieviel Natur darin steckt, statt einfach zu konsumieren, was Industrie und Handel an Imitaten auf den Tisch bringen.

Hermann Pilz
Chefredakteur Weinwirtschaft
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