Ausgabe 15/2016

Turbulenzen

WEINWIRTSCHAFT Ausgabe 15/2016

Politisch und gesellschaftlich befindet sich Europa in turbulenten Zeiten. Mittendrin Deutschland, das sich mannigfaltigen Herausforderungen von innen und außen ausgesetzt sieht. Der demografische Wandel hält an. Anders, als das lange Zeit verkündet wurde, verkleinert sich die in Deutschland lebende Bevölkerung jedoch nicht so rasant, wie es die seit den 1970er Jahren sinkende Geburtenrate erwarten ließ und Schwarzmaler prognostizierten. Zwei entscheidende Faktoren verschieben die abflachende Bevölkerungskurve seit Jahren in eine fernere Zukunft: Zum einen die Zuwanderung, die dafür sorgt, dass die Bevölkerung in Deutschland seit den 1990er Jahren kräftig gewachsen und eben nicht gesunken ist und zum zweiten die Verschiebung der Anteile der Altersklassen zur älteren Bevölkerung hin.
Sprich, die in Deutschland lebende Bevölkerung wird durchschnittlich älter, und die Anteile der älteren Generationen steigen.

Von 2000 bis 2060 sinkt beispielsweise der Anteil der Bevölkerung unter 20 Jahren von knapp über 20 auf circa 15 Prozent. Im Gegenzug steigt der Anteil der über 65-Jährigen im gleichen Zeitraum von 15 auf rund 35 Prozent. Soviel prognostiziert zumindest die »Bevölkerungsvorausberechnung des Bundes und der Länder«. Für den Weinkonsum ergeben sich wie für viele andere Bereiche aus der demografischen Entwicklung unterschiedliche und zum Teil gegensätzliche Einflüsse. So führt der Zustrom von Menschen aus muslimischen Ländern, in denen der Konsum von Alkohol aus religiösen Gründen unterbleibt, zu einer Abnahme des Pro-Kopf-Verbrauchs von Wein und anderen Alkoholika, wogegen die Verschiebung der Anteile hin zu älteren Bevölkerungsschichten, die traditionell mehr und zudem andere Weine konsumieren als die Jüngeren, den Pro-Kopf-Verbrauch eher wieder steigen lässt.

Auf längere Sicht werden die Zuwanderer die Konsumgewohnheiten der hier lebenden Bevölkerung annehmen, weshalb allzu düstere Prognosen in dieser Hinsicht unangebracht sind. Überhaupt sind Pauschalierungen fehl am Platz. So stammen die meisten arabischen Zuwanderer aus Nordafrika aus weinkonsumierenden Ländern und auch die übrigen Neubürger werden sich bei vernünftiger Gesellschaftspolitik, die von Radikalisierungen Abstand nimmt, eher in die Gesellschaft und ihre Lebensweisen integrieren als separieren. Für den Weinkonsum im Ganzen gibt es somit auf absehbare Zeit keinen Anlass zur Sorge. Was aber folgt aus den skizzierten Entwicklungen für den Weinkonsum und den Weineinkauf im Speziellen? Die jüngeren Konsumenten bevorzugen Weiß- und Roséweine, eher halbtrockene und liebliche Weine und sind meist offener als die älteren für ausländische Weine. Wer darauf setzt, wird sich warm anziehen müssen. Die Älteren bevorzugen dagegen mehr Rot- und eher trockene Weine und decken ihren Weinbedarf stärker über traditionelle Einkaufsstätten, wie Prof. Simone Loose von der Hochschule Geisenheim jüngst auf dem Weinwirtschaftsforum des Weinausschusses der IHK Trier verdeutlichte. Während die Älteren hinsichtlich der Einkaufsstätten mehr Winzern, dem gehobenen LEH und dem Fachhandel den Vorzug geben, kaufen die Jüngeren stärker im Discounthandel ein. Im Laufe der Jahre werden natürlich jene Generationen mehr Anteile gewinnen, die mit Online-Einkäufen und dem Smartphone als ständigem Lebensbegleiter aufgewachsen sind.

Mehr als alles andere wird diese Entwicklung die Preispolitik noch stärker in den Mittelpunkt des Marketings rücken. Verständlich, dass die Weinerzeuger und -vermarkter das schon heute als das drängendste Problem der Weinbranche identifiziert haben, wie Loose in ihrer Branchenumfrage ermittelte. Die entscheidende Aufgabe ist: Wie gelingt es höhere Preise am Markt durchzusetzen, um eine einigermaßen auskömmliche Marge und höhere Erträge zu erreichen? Ins Blickfeld müssen für Erzeugermarken die erhöhte Vergleichbarkeit der Preise durch den Online-Handel und die Dauerniedrigpreispolitik der Discounter für ihre anonymen Massenprodukte rücken. Beides sind die  eigentlichen Probleme der Branche, außer den verpassten Chancen im Export.

Hermann Pilz
Chefredakteur WEINWIRTSCHAFT
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