Ausgabe 14/2015

Im Gleichschritt - Lemminge kennen zwei Zustände: laufen oder stehen. Auch deutscher Wein scheint den Abgrund zu lieben

Weinwirtschaft Ausgabe 14/2015

Die aktuelle Verfassung deutscher Weine gibt Rätsel auf. Die Weinpreise auf den Offenweinmärkten befinden sich seit geraumer Zeit auf Talfahrt. Sie liegen quer über alle Qualitäten und Kategorien rund 20, in manchen Fällen auch 30 Cent niedriger als vergangenes Jahr. Das sind immerhin Abschläge von 25 bis 30 Prozent, die sich auch auf die Bilanzen von Weinkellereien und Vermarktern auswirken. Eine Erholung ist fürs Erste nicht in Sicht. Es gilt bis zum Herbst 2015 abzuwarten, bis sich eine klare Orientierung abzeichnet. Eigentlich hatte es ja die letzten Jahre ganz gut für deutsche Weine ausgesehen. Der Absatz lief. Der Ruf der qualitativ gegenüber früher deutlich verbesserten Weine schien kaum zu toppen. Selbst eingefleischte Importhändler sahen sich genötigt, ein eilig zusammengestelltes Deutschweinsortiment aufzubauen und sich nach entsprechenden Lieferanten umzusehen. Im Lebensmittelhandel, insbesondere im Discounthandel, schienen deutsche Weine knapp zu sein. Wenn auch nicht Listungen auf breiter Front verloren gingen, so wurden zumindest Aktionen im Handel reduziert. Die Ampel schien für viele komfortabel auf Grün zu stehen.

Was ist passiert in den letzten Monaten? Gibt es erkennbare Gründe für den verhaltenen Markt, der sich für manchen bereits als existenzbedrohend darstellt? Ein Blick zurück scheint am ehesten geeignet, Klarheit zu finden: Der letzte markante Wendepunkt des Weinmarktes liegt exakt fünf Jahre zurück. Mit knapp über 7 Mill. Hektoliter brachten die deutschen Winzer 2010 ihre seit Jahrzehnten kleinste Weinernte ein. In der Folge wurden Bestände aus den Vorjahren abgebaut. Die Preise zogen kräftig an. Dornfelder kostete im Winter 2010 1,50 bis 1,60 Euro, also glatt das Doppelte von heute. Auch die folgenden Jahre brachten eher unterdurchschnittliche oder kleine Ernten. Die hohen Preise blieben, und das Geschäft als Winzer schien ein einziger Freudenrausch zu sein. Es folgten auf die kleine Ernte 2010 fünf Boomjahre und jetzt der große Katzenjammer. Übertrieben wurde an allen Orten: Die Pachtpreise und die Grundstückspreise explodierten förmlich. In guten Lagen war für unter 10 Euro kaum ein Quadratmeter zu bekommen. Aber es wurden auch 20, 30 Euro und mehr bezahlt. Am Markt verdünnisierte sich deutscher Wein, insbesondere im Export ging es rückwärts. Nicht schlimm, dachten viele, in Deutschland läuft der Markt ja rund, und investierten in Keller, Gebäude und Rebflächen. Egal, ob Genossenschaften, Flaschen- oder Fassweinvermarkter jeder schien über die Runden zu kommen. In den letzten fünf Jahren hielt aber auch der Strukturwandel unvermindert an. Die Zahl der Betriebe nahm ab, im Gegenzug stieg die Fläche. Auf Vermarkterseite verringerte sich ebenfalls die Zahl der Marktteilnehmer, und auch im Lebensmittelhandel schritt die Konzentration munter voran. Die Verringerung der Betriebe auf allen Ebenen und ihr gleichgerichtetes Verhalten, das nicht mal die Absprachen eines Kartells benötigt, dürfte denn auch einer der wesentlichen Gründe für die jetzige Misere sein. Gleichgerichtetes Marktverhalten fördert Tal- und Bergfahrten und Schwingungen die selbst stärkste Brücken zum Einsturz bringen. Dazu hat sich der Markt auch fundamental verändert. Die nachrückende Generation der »Aroma-Kids« lässt Wein links liegen und berauscht sich auf moderate Weise lieber mit weinhaltigen Getränken und allem was bunt aussieht, prickelt und süß schmeckt. Für die großen Vermarkter genauso wie für den Lebensmittelhandel ist das kein Problem. Wo einst eine Palette Wein stand, lockt jetzt eine süße Brause aus billigem Alkohol. Damit rächt sich für deutsche Weinerzeuger ein weiteres Versäumnis der letzten Jahre. Anders als etwa romanische Länder produziert Deutschland faktisch nur eine einzige homogene Weinkategorie, und die heißt Qualitätswein. Weder stehen für billige Massenprodukte konkurrenzfähige Weine zur Verfügung, noch lässt sich mit Ausnahme des exklusiven VDP-Systems eine klare Produktdifferenzierung erkennen. Das verstärkt ganz entscheidend die negativen Effekte gleichgerichteten Handelns.

Hermann Pilz [email protected]