Ausgabe 10/2017

Ursache der Unwucht

WEINWIRTSCHAFT Ausgabe 10/2017

Was ist dagegen zu sagen, wenn jemand Lust auf exotische Früchte hat und ein Händler diese um den halben Globus auf die Tische europäischer oder westlicher Konsumenten karrt? Schlicht eine Frage des Geschmacks und des Geldbeutels. Ich habe kein Problem damit, wenn, ja wenn, auf allen Ebenen Angebot und Nachfrage die Preise regeln würden und die Kosten für Herstellung, Transport, Verpackung, Qualitätskontrolle und Verteilung im Rahmen marktwirtschaftlicher Prozesse entstünden. Folglich auch mit ihren Kosten für den Verzehr von Ressourcen und die Belastung der Umwelt eingerechnet würden. Doch daran habe ich große Zweifel. Ananas aus Costa Rica zu 1,79 Euro, ein Kilo Äpfel aus Chile zum gleichen Preis oder Süßkartoffeln aus den USA für 99 Cent sprechen Bände. Die deutschen Discountkunden egal, ob sie bei Aldi, Lidl oder sonst wo einkaufen, sind wahrhaft internationale Genießer. Es gibt alles und dazu noch billig. Wie soll dann noch ein Konsument ahnen, dass die Spätlese »süß« für 1,99 Euro keine wirkliche »späte Lese« und der Pinot Grigio aus Italien für 2,58 Euro ein Abklatsch seiner selbst ist? Die derzeitige Handelspraxis lässt die Entwertung wertvoller Begriffe genauso zu, wie Produktion und Handel auf Kosten anderer.

Beim Discounter gibt es Spitzpaprika aus Israel, Ingwer aus China, gekochte Rote Bete aus Marokko, Äpfel aus Lateinamerika, Datteltomaten aus Ägypten und kernlose Trauben aus Indien und das alles im Winter, im Frühling, im Sommer und selbst im Herbst, wenn in unseren Breiten Erntezeit ist. »Wir lieben Lebensmittel«, bekunden die Händler, halten handgemalte Plakate einer heilen Welt hoch und beschwören die Liebe zu regionalen Produkten. Brüsten sich mit Nachhaltigkeit oder wie Aldi, der auf Kosten der Stromkunden installierten ach so umweltfreundlichen Solardächer. Saisonalität der Lebensmittel das war mal, genauso wie sich gesund und umweltverträglich aus heimischer Produktion ernähren. Das ganze Lamento der CO2-Neutralität, die geschwindelte Sorge um die Umwelt, entpuppt sich als Heuchelei. Wer trägt die Schuld? Die Händler, heute alle im Rang multinationaler Konzerne, haben sich die Konsumenten im Verein mit vorauseilend-gehorsamen Politikern erzogen. Warum muss es Physalis aus Kolumbien, verpackt im stabilen Plastikkörbchen, mitten im April bei den Discountern zum Spottpreis geben? Aber das hat vermutlich andere Gründe: Die landen auf den Tellern vermeintlicher Gourmetrestaurants, wo derlei Zierrat zur Dekoration gehört. Leider hat das Ganze System. Die Hauptursache für die negativen Auswüchse der Globalisierung sind in der staatlich sanktionierten Manipulation der Preise zu sehen. Aufgrund von Subventionen aller Art vom Transport über die Energie bis zur Arbeit werden entscheidende Kostenfaktoren verzerrt. Eine der schlimmsten Sünden heutiger Wirtschaftspolitik sind die nationalen wie internationalen Logistikstrukturen. Gigantische Containerschiffe fahren, in Billigländer mit geringen Umweltstandards ausgeflaggt, mit Schweröl und verpesten mehr als alle anderen Transportmittel die Atmosphäre mit ihren Schwefel-Emissionen. Auch die umweltschädliche Luftfracht wird hoch subventioniert, genauso wie der LKW-Verkehr im Lande, der die Ursache für die Überlastung des Verkehrsnetzes und gleichzeitig zerbröselnder Brücken und Straßen ist. Wie ein Krebsgeschwür verhindern Subventionen die Entwicklung funktionierender Märkte. Nicht die globale Arbeitsteilung ist das Übel sondern das Aushebeln des freien Spiels von Angebot und Nachfrage, das eigentlich zu Preisen führt sollte, in denen die Kosten für die Nutzung natürlicher Ressourcen und öffentlicher Güter berücksichtigt werden. Die Folgen dieser aus den Fugen geratenen Politik sind immens. Der Staat fördert eine gewaltige Umverteilung von der wenige profitieren und die von allen anderen bezahlt werden muss.

Es ist die eigentliche Ursache für die enormen sozialen Ungleichheiten und das Empfinden fehlender Gerechtigkeit in der Gesellschaft. Genau jene die auf den kostengünstigen Einkauf beim Discounter angewiesen sind, oder glauben, darauf angewiesen zu sein, schaufeln sich dort ihr eigenes Grab und bezahlen es am Ende teuer.Hermann Pilz

Hermann Pilz
Chefredakteur WEINWIRTSCHAFT
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