Ausgabe 07/2018

Kenntnis vs. Geschmack
Titel WW7/18

Die Erkenntnis ist nicht neu: Verbraucher, die eine Ahnung von Wein haben, sind äußerst selten. Selbst wer zu den 20 Prozent »Intensivverwendern« gehört, die zwei Drittel des Weinkonsums in Deutschland vereinen, besitzt kaum Kenntnisse. Wirkliches Wissen über Wein würde ja bedeuten, dass der Konsument einen Wein und seine Details wie Herkunft, Rebsorte, Jahrgang, Erzeugung und Ausbaustil sowie den Produzenten und seine Position am Markt kennen sowie den Geschmack des Weines erahnen würde. Das überfordert die Meisten und wirkliche Insider muss man mit der Lupe suchen. Darüber braucht niemand die Nase rümpfen. Weinfachleuten geht es auf anderen Gebieten genauso. Nur die wenigsten sind Kunstexperten und können zielsicher in eine Galerie gehen und den Wert eines Kunstwerks taxieren.

Vielleicht ist die Unkenntnis ja auch gar kein Problem, denn sie erhält wie am Kunstmarkt die Pluralität und Vielschichtigkeit der Weinbranche. Wie sehr die Vielfalt an Weinen die Menschen mitunter überwältigt, konnte ich wieder mal auf der ProWein erfahren. Eigentlich Fachleuten vorbehalten, gelingt es dennoch dem einen oder anderen – sagen wir es schmeichelhaft – Semiprofi, mit Hilfe von Profis Einlass zu bekommen. Da ist auch die Messe machtlos. Im Gespräch mit einem nicht gerade kleinen Akteur im Weingeschäft, kamen wir auf das große Angebot auf der Messe zu sprechen. Vor dem Hintergrund von 700 Ausstellern aus Übersee, 1.600 aus Frankreich und genauso vielen aus Italien, immerhin 1.000 aus Deutschland und insgesamt 6.700 auf der Messe, verriet er mir, dass er einen Bekannten, einen gut situierten Geschäftsmann, mitgenommen habe, der erst vor kurzem sein Faible für Wein entdeckte. Der sei nach wenigen Stunden Messe vollkommen überwältigt gewesen, nicht des Alkohols, sondern der Vielzahl an Ländern, Ausstellern und noch mehr der Vielzahl der Weine wegen. Nie habe er sich vorstellen können, dass es bei Wein solche Unterschiede gäbe. Ein Beispiel, aber so geht es wohl den meisten Konsumenten, im Handel wie in der Gastronomie. Informationen und Verkostungen sind bei Wein daher unerlässlich. 

Das ist die eine Seite des Weinproblems, die andere ist die Frage des Geschmacks. Und da glaube ich, irren ganz viele in der Weinbranche. Meine These: So wenig die Konsumenten im Allgemeinen über Wein wissen, so sicher haben sie einen eigenen Geschmack und wissen ziemlich genau, was ihnen schmeckt und was nicht. Das mag individuell ganz verschieden sein und eine ziemlich große Bandbreite an Weinen umfassen. In ihrer Gesamtheit können Verbraucher ziemlich gut unterscheiden, wo Qualität drin ist und wo nicht. Es geht schließlich um viel, um das Beste was sie haben, ihr Geld. Diese Abwägung entscheidet mehr als alles andere über Wohl und Wehe ganzer Weinregionen. Was im Übrigen nicht für Schaum- und Perlweine oder andere ritualisierte Konsumgetränke zutrifft. Die werden anders beurteilt. Warum sind so viele frühere Topseller einfach vom Markt verschwunden? 

A fond perdu? Denken Sie an Gavi, Frascati, Beaujolais Nouveau, Liebfraumilch oder Klüsserather Bruderschaft. Die Qualitäten waren zu schlecht geworden. Die Konsumenten stimmten mit dem Geldbeutel ab. Das erlebt im Moment auch deutscher Rotwein. Vor allem Dornfelder ist ein Gesöff des Grauens geworden. Dünnfarbig mit zu wenig Stoff, so werden derzeit Fassweine angeboten und daraus entsteht ein rotgefärbtes Irgendwas. Das wollen die Verbraucher nicht mehr. Die Nachfrage im Handel sinkt drastisch und macht sich im Rückgang der abgefüllten Mengen sichtbar. Jetzt erweist es sich als Pyrrhussieg, im Herbst die Anforderungen zu senken. Das bringt zwar Menge, aber auf lange Sicht zerstört es das Produkt, das vielen deutschen Winzern das Überleben sicherte und einigen Wohlstand brachte. Wie wahr: Man sollte die Rechnung nicht ohne den Wirt machen. Ich bin gespannt auf die Diskussionen über deutsche Profilweine.

Hermann Pilz
Chefredakteur Weinwirtschaft
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