Ausgabe 04/2015

Denn sie wissen nicht - Die Gesellschaft steht vor elementaren Problemen. Je länger wir warten, umso größer wird der Knall.

WEINWIRTSCHAFT Ausgabe 04/2015

Ob die Promotions wirklich erfolgreich waren, wissen nur die Unternehmen. An manchen, mit großen Vorschusslorbeeren gepriesenen Weinaktionen der letzten Wochen, darf man seine Zweifel haben. Gut, die Unternehmen kamen ins Gespräch, wie etwa Norma, das einen Roederer-Champagner für 29,99 Euro verhökerte. Was sind schon die paar hundert Flaschen, die der Discounter unters Volk brachte? Sie werden den Nürnbergern nicht das große Geld in die Kassen spülen, aber kleine Händler sind blamiert. Lidl sorgte für mächtig Wallung und offerierte über 500 französische Weine, einige mehrere hundert Euro teuer. Wie viel wirklich gelaufen ist, und ob dahinter nicht eine billige Alibi-Nummer übers Internet abgezogen wurde, bleibt ein Geheimnis. Auffällig ist, dass sich nach wie vor erhebliche Mengen der Weine in den Läden finden und sich das Rotweinangebot im Internet von über 500 Sorten zu 70 Prozent aus französischen Weinen rekrutiert. Hat sich da wer verhoben und Potemkinsche Dörfer in die Welt gesetzt? Was soll’s. Man macht Schlagzeilen und schafft es ganz nebenbei zu wohlwollender Berichterstattung in den Medien. Ja, die Discounter, ein deutsches Phänomen, die können‘s halt und lehren europaweit die anderen Händler das Fürchten. Mit klappernden Zähnen steht Tesco, der größte britische Handelskonzern, mit dem Rücken zur Wand und muss zusehen, wie Aldi und Lidl den Markt von unten aufrollen. Nächstes Ziel sind die USA, wo Aldi schon was ist und sein Filialnetz kräftig erweitert und Lidl noch was werden will.

Doch woher kommt die Macht und die Kraft, die die Handelskonzerne aus Deutschland derart beflügelt? Dahinter steckt ein perfides System, für das die Handelskonzerne noch nicht mal etwas können, von dem sie jedoch nach Kräften profitieren. Es sind die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen in Europa und vielen anderen Ländern, die solche Gebilde hervorbringen. Wir mokieren uns über die Vetternwirtschaft und Korruption im Süden Europas und anderswo auf der Welt, wo sich die Eliten schamlos bedienen und das Volk in Knechtschaft halten. Die Ursache liegt auf der Hand, es fehlt eine funktionierende staatliche Gewaltenteilung. In Deutschland und einigen anderen Ländern rühmen wir uns, geordnete Verhältnisse zu haben. Ist das so? Breitet sich bei uns nicht die gleiche Sklerose aus, nur unter anderen Vorzeichen, unter dem Deckmantel der Umverteilung und der sozialen Gerechtigkeit? Ist am besten dran, wer sich schamlos bedient und wer es schafft, seine Kosten auf die Allgemeinheit umzuverteilen? Eines der auffälligsten Beispiele, das geradezu symptomatisch für die verheerenden Entwicklungen ist, bildet das Transportwesen. Der LKW-Verkehr explodierte in den letzten Jahren. Logistiker und Spediteure sind die Helfer, die im Auftrag von Industrie und Handel die Infrastruktur ausbeuten und die Kosten auf die Allgemeinheit verlagern. Wir können noch so viele Straßen bauen, es wird nie reichen. Nicht die 90.000 Pkws, die täglich über die Schiersteiner Brücke rollten, sind das Problem, sondern die 8.000 Lastwagen, die die Brücke mürbe machten. Die Profite und Gewinne heimsen die Konzerne ein – mit Folgen: Die Umverteilung und Sozialisierung der Kosten schuf eine LEH-Landschaft, in der die Top-8-Unternehmen über 97 Prozent der Umsätze generieren. Urbane Zentren kleiner Städte veröden, das Land entvölkert. Existieren können viele nur noch im Umfeld der Großstädte, wo das sozialisierte Gnadenbrot verteilt wird. Für Lebensmittel geben die Deutschen weniger als 14 Prozent ihres Haushaltsbudgets aus. Gekauft wird, was billig ist, denn mehr haben die meisten nicht. Dafür rollen Retorten-Ferkel tausende Kilometer durchs Land, um an der Küste, wo Eiweißfuttermittel aus fernen Ländern billig ist, gemästet zu werden, um dann tausende Kilometer andernorts als schnittfestes Wasser geschlachtet und wieder tausende Kilometer entfernt zu Billigpreisen verzehrt zu werden. Wo bleiben mittelständischer Handel und Gewerbe, wo die Arbeitsplätze, wo die Menschen, wo die lebenswerte Umwelt, wo die Vernunft, wo die Verantwortung aller? Die Sozialisierung und Umverteilung muss ein Ende haben.

Hermann Pilz [email protected]