Ausgabe 26/2018

Mensch oder was?

Titel WW26/2018

Wo steht der Handel in Deutschland heute? Onliner werden stationär und der klassische Einzelhandel geht online. Namhafte Händler erzielen heute schon 25 Prozent ihres Umsatzes im Onlinehandel. Mit einem Gesamtkunstwerk als Geschäftsstrategie bindet das Modehaus Engelhorn bundesweit Kunden aus beiden Lagern an das Unternehmen. Also Versöhnung zwischen beiden Seiten? Die Frage ist überflüssig. Die Macht hat der Verbraucher und stimmt mit den Füßen oder per Mausklick ab. Im Weihnachtsgeschäft 2018 geben die deutschen Verbraucher über 100 Mrd. Euro aus. Der Onlinehandel schneidet sich einen Anteil von rund 13 Prozent ab. Während der stationäre Handel über alle Sparten einen Zuwachs von rund 2 Prozent verbuchen kann, soll der Onlinehandel im Bereich von rund 10 Prozent zulegen. Daraus nährt sich die Hoffnung, es könnte doch noch was werden mit den Onlinern. Das dürfte auch durchaus so sein, bei seriösen Unternehmen, die den Onlinehandel als echten Service begreifen und nicht nur auf Preismarketing setzen. Die Meldungen, die derzeit verbreitet werden, klingen dagegen alles andere als ermunternd für die reinen Onlinehändler, abseits der großen Giganten Amazon, Alibaba oder Otto. Aus England kamen jetzt erste negative Meldungen, die dann auch gleich auf den deutschen Markt überschwappten. Der britische Online-Modehändler Asos gab nach einem schwachen November-Geschäft eine Gewinnwarnung heraus und verursachte damit auch gleich einen Kurssturz beim deutschen Rivalen Zalando, der seine Prognosen für das dritte Quartal 2018 ebenfalls gesenkt hatte und in die Verlustzone rutschte.
Die Aktien brachen um 18 Prozent auf ein Vier-Jahres-Tief ein. Auch andere börsennotierte Onlinehändler büßten an Wert ein. Das lenkt die Blicke auf einen eher unappetitlichen Hintergrund des Online-Hypes. Da ist zum einen die Geschäftsidee vieler Gründer, die schnell Kasse machen wollen, nach dem Rezept: Man nimmt irgendeine Warengruppe mit möglichst heterogener Produzentenstruktur, die man ausnehmen kann wie gerupfte Hühner, und baut einen hübsch dekorierten Online-Shop auf. Auf die Kenntnis der Ware kommt’s nicht wirklich an, ob Wein, Whisky, Gin, Tee, Spielzeug, Sportartikel, Babykleidung und Lampen oder Leuchten, egal. Die Gründer träumen von der Exit-Strategie und verkaufen, so das Kalkül, wenn’s gut läuft, viel Fantasie und wenig Substanz. Die andere Seite der Geschichte ist das billige Geld, das die EZB unter Mario Draghi in die Märkte pumpt. Eigentlich um marode Staaten über die Runden zu retten und im Nebeneffekt Investitionsblasen schafft. Wie sagte mir schon vor langer Zeit Alexander Margaritoff, als er noch Hawesko-Chef war. »Wir leiden darunter, dass zu viel Spielgeld unterwegs ist.« Selbst branchenfremde Verlage mischen im Weingeschäfte mit und sind dann auch gleich besonders kreativ. Da geht es nicht mehr um »Brunello di Montalcino« sondern um schnieke »Brunelli«. Ja, toll, das hat die Weinbranche gerade noch gebraucht und so trinken ja auch alle Prosecchi oder Espressi. Mitleid muss man weder mit den hirnlosen Glücksrittern noch den Investoren haben, mit den ruinierten seriösen Händlern und den vielen zu Dumpinglöhnen beschäftigten Mitarbeitern schon eher.
Doch die Welt träumt weiter von der Digitalisierung, die die Konditionierung des Menschen und sein Verhalten als selbsterfüllende Prophezeiung auf die Spitze treibt. Die Maschine dient nicht dem Menschen, sondern der Mensch der Maschine. Wird wahr, was sich globale Konzerne und willfährige Politiker wünschen, entmündigt sich die Menschheit der Freiheit ihres Handelns. Lassen wir es nicht soweit kommen, dass Algorithmen und digitale Konditionierung unser Leben bestimmen. Feiern Sie Widerstand und ganz analog mit ein paar guten Flaschen Wein und Sekt den Start ins neue Jahr. Ich freue mich zusammen mit der Redaktion auch im nächsten Jahr wieder mit ekelhaft ehrlichem Journalismus dienen zu können.

Hermann Pilz
Chefredakteur Weinwirtschaft
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