Ausgabe 02/2015

Aus zwei wird vier

Meiningers Sommelier 02/2015

Noch vor wenigen Jahren war die gehobene Weinwelt zweipolig. Blaue Trauben wurden mittels Maischegärung zu Rotwein, rote und weiße Trauben wurden – gegebenenfalls nach einer gewissen Maischestandzeit – gepresst und dann zu Weißwein verarbeitet. Dazu gesellte sich Rosé, als eine Art minderwertiges Nebenprodukt. Heute hat die Weinwelt vier Pole. Zu Weiß und Rot haben sich Orange und Rosé gesellt. Orange steht für Weine, die aus Weißweinsorten produziert werden wie Rotwein, mittels Maischegärung. Und hochwertige Rosés, die aus – überwiegend – Rotweintrauben produziert werden wie ein hochwertiger Weißwein, ohne oder mit kurzen Maischestandzeiten vor dem Pressen.

Diese beiden neuen Pole der Weinwelt haben den gleichen Anspruch wie hochwertige Weiß- und Rotweine. Und sie müssen sich mit gleichem Maß messen lassen. Wenn ein Rotwein mit zu viel flüchtiger Säure, mit extrem animalischen Noten, mit stechendem Ammoniakgeruch oder Nachgärung in der Flasche fehlerhaft ist, dann ist auch ein Orange Wine mit diesen Merkmalen verdorben – Punkt aus. Dem stimmt auch Justin Leone zu, der das Thema Orange Wine durchaus kritisch hinterfragt. Der charismatische Sommelier des Tantris war dennoch oder gerade deshalb genau der richtige Partner, um gemeinsam mit Kochlegende Hans Haas ein Winepairing mit Orange-Wines in Angriff zu nehmen. Aus einem harmonischen Nebeneinander von Wein und Speise wird eine Interaktion, Wein und Speise beeinflussen und verändern sich in stärkerem Maße als gewohnt.

Ähnliches gilt für den vierten Pol. Wer einmal in der Provence erschmecken durfte, wie souverän ein großer Rosé am Gaumen mit Sardellen, Tapenade oder rohen Artischocken interagiert, begreift die Komplexität dieser Weine: mild in der Säure, aber engmaschig, mit viel Struktur und griffig mineralischer Textur, dazu einer delikaten Aromatik, in der sich Frucht und Würze auf Augenhöhe begegnen. Auch ein Holzfassausbau ist längst kein Tabubruch mehr, sondern ein Stilmittel, genau wie bei Weißburgunder, Silvaner und Co. Es geht eben längst nicht mehr darum, das Maximum an jugendlicher Fruchtigkeit in den Wein zu bringen. Wer Rosé noch immer nach diesem Maßstab misst, degradiert eine ganze Kategorie ungerechtfertigt zum Nebendarsteller.

Rot, Weiß, Orange, Rosé: Die Zeit des Schubladendenkens ist vorbei. Das macht die Aufgabe eines Sommeliers zwar anspruchsvoller, aber auch umso reizvoller.

Sascha Speicher [email protected]