Stefan Nink über Geisterstunden im Hotel

IN HISTORISCHEN GEBÄUDEN übernachte ich nur ungern. Ich schlafe da oft schlecht. Das mag jetzt merkwürdig klingen, aber es gibt schottische Schlosshotels, da stehe ich in der Lobby und würde am liebsten sofort wieder kehrtmachen. Ich kann das nicht erklären und will das auch überhaupt nicht ergründen. Stattdessen versuche ich, solche Unterkünfte zu meiden. Hin und wieder gelingt das allerdings nicht. Wie damals, als ich auf einer abgelegenen, historischen Baumwoll-Plantage in Louisiana übernachtet habe, die jetzt ein ziemlich feudales Landhotel ist. Ich war Gast bei einem Festival, und der Veranstalter hatte ... Natürlich kann man da nicht ablehnen. Schon gar nicht mit meiner Begründung.

Foto: Ralf Ziegler/AdLuminaAls ich abends ankam, standen keine anderen Autos auf dem Parkplatz. Es war nach 22 Uhr, die Rezeption war nicht mehr besetzt; die Schlüssel hatte man unter einem Stein deponiert. Mein Zimmer lag im Erdgeschoss am Anfang eines langen Flures, an dessen Ende eine alte Babywiege stand, es war sehr groß und hatte eine Tür mit Glasfenstern, durch die das gedämpfte Licht vom Flur fiel. An der Einrichtung hatte sich seit 1850 nicht viel verändert: ein Bett mit Holzpfosten, zwei Schaukelstühle, ein offener Kamin, in der Ecke tickte eine Standuhr. Um das Haus herum verlief eine dieser Holzveranden, wie man sie aus Filmen kennt, die im Süden der USA spielen. Draußen im Garten standen alte Eichen. Von ihren Ästen hingen lange Zöpfe Moos.

Weil es noch zu früh zum Schlafen war, schenkte ich mir ein Glas Rotwein ein, aus einer dieser alten Kristallglas-Karaffen, in denen in den Filmen immer Bourbon ist. Ich setzte ich mich in den Schaukelstuhl, nahm einen Schluck – und sah, wie auf dem Flur jemand an meiner Tür vorbeiging. Es war eher ein Vorbeihuschen, nur ein Schatten, und ein Rascheln wie von schwerem Stoff. Ich stellte den Wein ab und hielt den Atem an. Auf dem Flur begann eine Frauenstimme leise zu singen. Ich versuchte mir einzureden, dass da nichts war. Was natürlich nicht funktionierte. Irgendwann stand ich auf, öffnete vorsichtig die Tür und sah hinaus.

Am Ende des Flures stand eine Frau in einem weißen, historischen Ballkleid. Sie beugte sich zu der alten Wiege hinunter, schaukelte sie sanft hin und her und sang leise. Nach zwei oder drei Sekunden hielt sie inne. Dann richtete sie sich auf und drehte sich zu mir um. Ich war wie versteinert. Das ist jetzt nicht wahr, dachte ich, das bildest du dir ein. Ich blieb auch dann noch stehen, als die Frau im weißen Ballkleid auf mich zu schwebte. Sie war sehr schön. Und sie lächelte.

Linda war nachmittags mit dem Taxi aus Baton Rouge angereist. Sie übernachtete regelmäßig in alten Plantation Homes. Nachts, wenn alles schlief, durchsuchte sie Schränke und Kommoden nach historischen Kleidern und zog sie an. Anschließend spielte sie Geist. Das sei ein Spleen, meinte sie, und bestimmt nicht erlaubt. Aber sie mache ja nichts kaputt. Und vor Morgengrauen verstaue sie alles wieder in den Schränken. Wir saßen in meinem Zimmer und tranken den Rotwein aus der Karaffe. Ich erzählte von meinen Nächten in schottischen Schlosshotels, und dass es möglicherweise ja auch dort eine Linda gegeben habe. Wir mussten so lachen, dass sie zwei, drei Tropfen Rotwein verschüttete. Sie fielen auf das weiße Ballkleid und sahen wie Blut aus. Wahrscheinlich wird bei Führungen durch die historische Plantage seitdem erzählt, die Dame des Hauses sei 1864 in diesem Kleid erschossen worden. Linda aber spukt längst anderswo.

Stefan Nink ist Reisejournalist. Man kennt ihn aus Funk, Fernsehen und verschiedenen Magazinen. Für uns schreibt er regelmäßig Kolumnen. "Auf den Geist getroffen" ist in Ausgabe 3/21 von MEININGERS WEINWELT erschienen.

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