Verschiedene Welten

Es ist eine simple Wahrheit, die allzu leicht in Vergessenheit gerät. Es gibt nicht die eine Weinwelt. Die Weinbranche ist wie eine zerbrochene Vase, und die einzelnen Scherben machen nicht den Eindruck als würden sie irgendwie zusammenpassen. Die Premium-Konzepte im LEH (ab S. 24) verdeutlichen, dass Premium-Wein im LEH etwas ganz anderes als Premium-Wein im Fachhandel bedeutet – zumindest unter Preisaspekten. Ein Fein-Wein-Spezialist würde die Grenze für Premium-Wein wieder anders ziehen. Wenn die drei Gruppen über Premium reden, sprechen sie komplett aneinander vorbei.

Dieses babylonische Sprachenunverständnis ist in der Weinbranche ein ständiger Begleiter. Nicht nur die Definition des Fein-Wein-Händlers lässt viel Spielraum offen, schon der Begriff Fachhandel tut dies. Wenn der eine von Fachhandel spricht und Getränkefachgroßhändler meint, würde sich der Weinfacheinzelhändler, so er den Gesprächspartner versteht, beleidigt abwenden. 

In Deutschland ist diese Zersplitterung besonders deutlich. Eigentlich bräuchte es ein großes Wörterbuch, das Begriffe und ihre Bedeutung bei Kellereien, Weingütern, Genossenschaften, Lebensmittel- Getränke- und Weinhändlern definiert und den Online-Handel in seiner Vielschichtigkeit nicht außen vor lässt.

Das unterschiedliche Verständnis, das die einzelnen Splitter vom Aussehen der Vase haben, sorgt für viel Unmut. Nichts hat das in den letzten Jahren deutlicher gezeigt als die Reform des Weingesetzes. Im Endeffekt scheint es keine Gewinner zu geben – nur mehr oder minder große Verlierer. Und diejenigen, die sich in dieser »Loose-Loose«-Diplomatie als die größeren Verlierer fühlen, schimpfen darauf, dass die vermeintlich weniger Geschädigten keine Ahnung von der Vase haben. Das stimmt und auch wieder nicht.

Clemens Gerke, stellvertretender Chefredakteur WEINWIRTSCHAFT
Clemens Gerke, stellvertretender Chefredakteur WEINWIRTSCHAFT

Eine bemerkenswerte Aussage für diese Ausgabe tätigte der Lebensmittelhändler Michael Glück: »Wir dürfen das Weinwissen unserer Kunden nicht unterschätzen«. Wann hat man das so und nicht anders herum gehört? In der zersplitterten Weinwelt stimmt auch dieser Satz. Wer sich mit Wein beschäftigt, stört sich nicht an der Komplexität des Bezeichnungsrechts. Er kennt den Unterschied zwischen Groß- und Einzellage und gerät nicht in Gefahr, aus Versehen einen Großlagenwein zu kaufen, in der Annahme, es handele sich um eine besonders hochwertige Einzellage. Umgekehrt ist dem Weinunkundigen der Unterschied zwischen Groß- und Einzellage herzlich egal. Er freut sich über alles, was ihm bei der Kaufentscheidung eine Orientierung bietet.

Ein Blick auf ausländische Weine zeigt, dass Marken die beste Orientierung zu bieten scheinen. Manche Herkünfte wie Prosecco haben es geschafft, sich als Marke zu etablieren, ebenso wie Primitivo als Rebsorte. Ähnlich argumentieren die Verfechter der Großlage, die diese mehr als Marke denn als Herkunft ansehen. Die regionale Bedeutung dieser Großlagen-Marke sollte jedoch hinter der Marke des Erzeugers zurückstehen. Gemeinsame Marken zu schaffen ist die größte Herausforderung, die es im Marketing gibt, und genau vor diese Aufgabe stellt das neue Weingesetz die so unterschiedlichen Protagonisten in den Schutzgemeinschaften.

Es ist unwahrscheinlich, dass die Splitter jemals zu einer harmonisch aussehenden Vase zusammenpassen. Speziell in Deutschland scheinen viele Verbindungsteile verloren gegangen. Es ist sogar schwer, alle in ein gemeinsames Konstrukt zu bringen. Aktuell sieht es so aus, dass die einzelnen Teile der Weinwelt sich weiter voneinander entfernen. Man braucht Optimismus, um zu erwarten, dass die Schutzgemeinschaften Rahmenbedingungen schaffen, von denen alle profitieren. Zwingende Grundvoraussetzung scheint ein Dolmetscher zu sein, der zwischen den Protagonisten vermitteln kann. Manchmal habe ich jedoch den Eindruck, dass die verschiedenen Bereiche der Weinwelt einander gar nicht verstehen wollen.

Ausgabe 8/2024

Themen der Ausgabe

Württemberg

Die Bewirtschaftung zu teuer, die Bestockung sehr rot – die Weingärten im Ländle stehen vor Veränderungen.

Christof Queisser

Der Vorsitzende der Geschäftsführung von Rotkäppchen-Mumm im Interview.

Sommerwein

Wenn die Sonne scheint, muss es nicht immer weiß sein – wann Rotwein auch im Sommer passt.