Stillstand verboten

Die Stimmung bei den deutschen Winzergenossenschaften ist explosiv. Sie fühlen sich im Kampf um ein neues deutsches Weinrecht über den Tisch gezogen. In der Tat ist schwer zu erkennen, an welcher Stelle die neue Weinverordnung genossenschaftliche Züge trägt. Letztlich muss sie das aber auch nicht. Weingesetz und Weinverordnung legen die Richtlinien fest, nach denen alle Weinerzeuger arbeiten müssen. 

Ein großer Wurf ist die neue Weinverordnung dennoch auf keinen Fall. Das wird außer Politikern niemand behaupten. Offensichtliche handwerkliche Fehler werden eine baldige Anpassung notwendig machen. Dabei wird es aber nicht zu einer grundlegenden Reform kommen.

Der Vorwurf von Genossenschaften und Kellereien, dass sich die Weinguts-Vertreter nicht dafür interessieren, wo und wie der wesentliche Teil der deutschen Weinernte vermarktet wird, scheint berechtigt, doch auch Genossenschaften und Kellereien sprechen keineswegs mit einer Stimme.

Die Selbstvermarkter haben Recht, wenn sie sagen, dass sie mit ihrer Art der Vermarktung bessere Erlöse erzielen. Dem stehen jedoch auch andere Kosten gegenüber, und es scheint nicht zielführend, ein Weinguts-bezogenes Bezeichnungssystem dem ganzen, hochkonzentrierten Markt aufzuzwingen.

Letztlich müssen sich alle am Gesetz Mitwirkenden den Vorwurf gefallen lassen, wenig Mut, wenig Kompromissbereitschaft, wenig Weitsicht und keine Kreativität besessen zu haben. Das gilt auch für die Genossenschaften, was auch mit der Gesellschaftsform zu tun haben kann, in der das Ehrenamt für die strategischen Entscheidungen eine wichtige Rolle spielt, dem aber die Marktnähe mangelt.

In einigen Betrieben fehlt die Einsicht, dass Änderungen in der Vermarktung nötig sind. Manche bestätigen mit ihren Sortimenten Vorurteile gegen vermeintlich altbackene Genossenschaften. Sie müssen sich und ihre Sortimente auch ohne neue Vorschriften des Weingesetzes anpassen, wenn sie weiter bestehen wollen, denn die Kunden gehen mit der Zeit.

Clemens Gerke, stellvertretender Chefredakteur WEINWIRTSCHAFT
Clemens Gerke, stellvertretender Chefredakteur WEINWIRTSCHAFT

Im digitalen Zeitalter passieren Veränderungen schneller als jemals zuvor. Wer die Vergangenheit um ein paar alter Kunden willen verteidigt, ist schlecht beraten. Viele Genossenschaften wissen das. Gerade in Württemberg, wo die Abschaffung der Großlage die größten Konsequenzen hat, haben viele Betriebe schon lange vor der Verabschiedung der Weinverordnung damit begonnen, Alternativen zu entwickeln. 

Bei der Suche nach neuen Umsatzbringern bietet das neue Weingesetz leider für niemanden eine Hilfe. Die Profilierung der deutschen Herkünfte wurde wieder einmal vertagt. Wer glaubt, dass dies in den Schutzgemeinschaften in der näheren Zukunft gelingen wird, ist unverbesserlicher Optimist.

Fundamentalopposition der Genossenschaften ist nicht auszuschließen, auch wenn niemand davon profitiert. Ohne Impulse aus dem Weingesetz müssen die Genossenschaften selbst Lösungen entwickeln. Markenweine werden das beste Mittel sein. Weine, bei denen sie selbst als Absender im Mittelpunkt stehen. So können sie Regionalmarken schaffen, zu denen Weingütern die Größe und Kellereien die Vermarktungswege sowie die Authentizität fehlen.

Kreativen Ideen in der Vermarktung sind natürlich keine Grenzen gesetzt. Und auch Kooperationen können dabei eine Option werden. Die Dachmarken, die von der WZG kreiert werden, helfen Württembergs Genossenschaften und können ein Vorbild für andere Anbaugebiete sein. Wer sieht, in welch kurzer Zeit sich die Markgräfler Winzer grundlegend gewandelt haben, der kann an die Zukunft der Genossenschaften glauben.

Es muss jedoch allen Verantwortlichen klar sein, dass ihr Geschäftserfolg auf permanenter Veränderung von Strategien, Prozessen und Sortimenten beruht. Wer sich nicht verbessert, wird im Wettbewerb schlechter. Stillstand ist verboten.

Ausgabe 8/2024

Themen der Ausgabe

Württemberg

Die Bewirtschaftung zu teuer, die Bestockung sehr rot – die Weingärten im Ländle stehen vor Veränderungen.

Christof Queisser

Der Vorsitzende der Geschäftsführung von Rotkäppchen-Mumm im Interview.

Sommerwein

Wenn die Sonne scheint, muss es nicht immer weiß sein – wann Rotwein auch im Sommer passt.